Wo Kinder gerne in die Schule gehen

Roszner
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Reportage. Besuch bei einer Volksschule, die nach der Jenaplan-Pädagogik unterrichtet.

WIEN. Der achtjährige Marvin übt im Mathematikraum das kleine Ein-mal-Eins: „Ich schummel' gar nicht.“ Dass er dazu den Taschenrechner verwendet, stuft die neunjährige Madita sehr wohl als Schummeln ein: „Den sollen wir nur zum Kontrollieren nehmen“.

Gleich mehrere Ideen Peter Petersens, der 1927 sein pädagogisches Konzept „Jenaplan“ schuf, tauchen in dieser Szene aus der Praxisvolksschule der Pädagogischen Hochschule Wien auf: Das selbstständige Benutzen von Hilfsmitteln, das gegenseitige Unterstützen und Helfen, die Altersunterschiede.

27 Kinder zwischen sechs und zehn Jahren werden in der Jenaplan-Klasse von mehreren Lehrerinnen betreut: Ingrid Heger, Barbara Holub und Sybille Roszner arbeiten seit vielen Jahren nach Petersens Pädagogik. Erst vor wenigen Jahren wurde das Konzept dieser Mehrstufenklasse in der Praxisvolksschule umgesetzt, in der nicht nur beim Alter Heterogenität herrscht. Als Integrationsklasse haben die Kinder ein Mädchen mit Down-Syndrom und einen fast blinden Bub fest in ihre Gemeinschaft eingebunden.

Eltern werden eingebunden

Die unterschiedlichen Herkünfte der Kinder repräsentieren den Durchschnitt in Wiener Volksschulen. Doch im Unterschied zu anderen Schulen müssen Förderunterricht und Deutschkurse hier nicht extra abgehalten werden, sie sind integrativer Bestandteil des Unterrichts. „Bei der Jenaplan- Pädagogik steht die Erziehungsidee im Vordergrund“, sagt Sybille Roszner. „Wichtig ist der soziale Rahmen. Wenn der nicht passt, kann kein Kind arbeiten. Wir beziehen auch die Eltern stark ein. Diese fragen uns oft, warum ihre Kinder so gerne in die Schule gehen. Um ihnen zu zeigen, wie ein Schultag abläuft, haben wir schon Eltern im Rahmen eines Elternabends einen Schulvormittag durchspielen lassen.“

Roszner sitzt am Lehrertisch im hinteren Eck des Deutschraumes und beantwortet die Fragen der „Presse“, während die Kinder Schlange stehen, um Fragen zu den Deutsch-Themen zu stellen. Die restlichen Tische stehen nicht in Reihen, es gibt Gemeinschaftstische, an denen ein Erstklassler gerade den Buchstaben G übt und eine Viertklässlerin ihren Erlebnisaufsatz korrigiert.

Nebenan, im Mathematikraum, arbeitet Barbara Holub mit den Schülern, die sich freiwillig entschieden haben, ihre Arbeitsphase mit Mathematik zu verbringen. „Die Kinder sprechen von sich als Dritt- oder Viertklässler, aber die Kurse werden nach Lernniveau eingeteilt. Unsere Lernzielmappen richten sich nach dem Lehrplan, im vierten Lernjahr haben die Schüler auch Schularbeiten“, berichtet Holub.

Individuelle Beurteilung

Bei der Beurteilung wird individuell vorgegangen, manche bekommen verbale Beurteilungen, andere das Lernfortschrittsdokument und zusätzlich wird ab dem dritten Lernjahr ein Ziffernzeugnis ausgestellt. Im Lernfortschrittsdokument dürfen zuerst die Kinder sich selbst einschätzen – pro Fach gibt es mehrere Kategorien und auch soziale Fähigkeiten stehen darin. Danach kommt die Beurteilung durch die Lehrerinnen. „Jeden Monat kriegen wir einen Arbeitsplan mit den Aufgaben für Deutsch, Mathematik und Weltorientierung – das ist Sachunterricht – und wenn wir etwas fertig haben, kriegen wir ein Hakerl“, erklärt die zehnjährige Kübra. Dass das Konzept von Peter Petersen sehr aktuell ist, betont auch Erziehungswissenschaftlerin Susanne Herker von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule in Graz: „Vom Ministerium wurden fünf Qualitätsbereiche für moderne Schulen vorgegeben (www.qis.at). Diese Kriterien von Lehre und Lernen stehen auch bei Jenaplan im Vordergrund. Wir haben erstmals eine altersheterogene Klasse in der Praxisschule Graz und sehen schon nach zehn Wochen positive Auswirkungen. Vieles, was Ralf Laging in seiner aktuellen Studie über altersgemischtes Lernen schreibt, zeigt sich: Die soziale Entwicklung und Toleranz der Schüler ist viel höher.“

Kind-orientierte Methode

Eine weitere Initiative des Unterrichtsministeriums nennt sich „25plus. Individualisierung des Lehrens und Lernens“: „Auch das erfüllt der Jenaplan. Innerhalb der Gemeinschaft wird auf die Stärken und Schwächen der Einzelnen eingegangen“, so Herker. „Die Methoden Petersens sind ja nichts Neues. Es bedeutet nur eine konsequente Strukturierung nach kind-orientierten pädagogischen Prinzipien.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2007)


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