Auf Goldhaufen schlafen

(c) Clemens Fabry
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Das Streben nach Gold ist ein unverzichtbares Element der Literaturgeschichte, das spiegelbildlich für das menschliche Streben nach dem Göttlichen steht. Eine kleine Geschichte des Geldes.

Sigmund Freud hat es einfach und deutlich gesagt. Alle großen Wünsche der Menschheit wurden zuerst den Göttern als deren Eigenschaften zugeschrieben, in Mythen und Märchen. Allwissenheit, Allgegenwart, Fliegenkönnen, ohne Krankheit leben, ohne Tod, zu den Sternen reisen, die schönsten Frauen, die schönsten Männer mit einem Wink ins eigene Bett holen, auf große Entfernung töten, über alle Erdbewohner regieren . . . Und als die Götter das alles besaßen, in Mythen und Märchen, begann die gewaltige Arbeit der Menschen, ihnen gleich zu werden. Aus Eifersucht. Sie ist die Basis der Zivilisation. Erstaunlich viel davon wurde bereits erreicht. Zu diesen Wünschen gehört auch das Gold, Gold in Massen, Berge von Gold. Zeus konnte sich selbst in einen Goldregen verwandeln. In dieser Gestalt hat er die schöne Danaë beschlafen. Daneben brauchte er keine Zahlungsmittel. Die volkstümlichen Formen der Mythen dagegen, die Märchen und Sagen, kultivieren den Menschheitstraum vom ungeheuren Gold in bunter Vielfalt. Die einfachsten Geschichten handeln vom vergrabenen Schatz, den ein armer Teufel findet, um ein für alle Mal reich zu sein. Komplexer sind schon jene Erzählungen, in denen ein Medium der Goldproduktion erscheint. Aladins Wunderlampe zum Beispiel, der geldscheißende Esel, das Huhn mit dem täglichen goldenen Ei oder der Zauberbeutel, der niemals leer wird. In Gottfried Kellers „Sieben Legenden" kommt ein Buch vor, das man nur zu lesen braucht, und schon kollern die Goldstücke zwischen den Seiten heraus. Die schlichtesten Märchen enden meist so, dass einer mit dem gewaltigen Geld dann auch glücklich wird bis zu seinem Lebensende und überdies noch eine schöne Prinzessin als Zugabe kriegt. Die

Kehrseite der Medaille. Je höher aber die künstlerische Verfeinerung des Erzählens wird, als umso komplexer, doppeldeutiger, gegenläufiger erweist sich der grenzenlose Gewinn. Schon die Besitzerin jenes legendären Huhns in der äsopischen Fabel holt sich einen Katzenjammer, weil sie alles auf einmal haben will und das Huhn schlachtet, um den vermuteten Goldapparat in dessen Bauch zu gewinnen. Sie findet aber nur die üblichen Eingeweide, und aus ist's mit den polierten Eiern.

Adelbert von Chamissos unsterbliche Geschichte von Peter Schlemihl wiederum handelt vom Besitz des magischen Beutels, aus dem die goldenen Dukaten rollen, sobald man ihn schüttelt. Schlemihl hat für das angenehme Ding allerdings seinen Schatten hergeben müssen, was dazu führt, dass er von allen Menschen verachtet und geächtet wird. In einer archetypischen Szene kommt es tatsächlich zum Schlaf auf dem Geldhaufen, aber es ist kein wohliger Schlummer: Ich zog den unglücklichen Säckel aus meiner Brust hervor, und mit einer Art Wut, die, wie eine flackernde Feuersbrunst, sich in mir durch sich selbst mehrte, zog ich Gold daraus, und Gold, und Gold, und immer mehr Gold, und streute es auf den Estrich und schritt darüber hin und ließ es klirren und warf, mein armes Herz an dem Glanze, an dem Klange weidend, immer des Metalles mehr zu dem Metalle, bis ich ermüdet selbst auf das reiche Lager sank und schwelgend darin wühlte, mich darüber wälzte . . . und darauf übermannte mich der Schlaf. Damit ist ein Maßstab gesetzt. Er hängt durchaus mit dem mythischen Denken zusammen. Denn der Wille, den Göttern gleich zu werden, trägt in den Erzähltraditionen auch das Zeichen der Hybris. Er kann sich furchtbar rächen. „Gestehe, dass ich glücklich bin!", sagt Polykrates, der Herrscher von Samos, in Schillers Ballade zu seinem Freund, als er diesem seine Reichtümer zeigt. Und genau von da an geht es mit ihm bergab. Die Menschheit als Ganzes schert sich um solche Warnungen allerdings wenig. Sie bleibt unbekümmert bei ihrem Vorhaben, die Götter in allen Dingen einzuholen. Es ist das überragende Projekt des Planeten.

Der entspannte Onkel Dagobert. Unbekümmert ist auch der heute weltweit berühmteste Fall des maßlosen Goldbesitzes, ein Mikromythos von eminenter Vitalität, Dagobert Duck, im Original Scrooge McDuck genannt. Jeder kennt die Bilder von seinen Goldvorräten, und wie Dagobert diesen Besitz genießt, darin eintaucht und herumpflügt als Schwimmer im gelben Metall. Der Mann - respektive Erpel - markiert das eine Ende der Skala, an dessen anderem Ende der tragische Untergang durch das gelbe Metall steht. In der großen Literatur kann sich der unbegrenzte Besitz mit unterschiedlichen Problemfeldern vernetzen. Shakespeares „Timon von Athen", die Hauptfigur in einem seiner finstersten Stücke, war einst reich, hat alle Freunde beschenkt, wurde darüber arm und von diesen Freunden umgehend verstoßen. Nun will er von den Menschen nichts mehr wissen. Er hasst und verachtet gleich alle zusammen und verkriecht sich in die tiefen Wälder. Dort findet er plötzlich Gold, klumpenweise, mehr als er je hatte und je brauchen kann. Aber er will nicht mehr zurück unter die anderen, das Menschenpack.

Er braucht den neuen Besitz nur, um in Athen Schaden anrichten zu lassen, und stirbt unversöhnt. Der illusionslose Blick, der bei Shakespeare so oft aufflackert und noch seine lieblichsten Figuren unheimlich machen kann, gerät hier zu einem schwarzen Manifest gegen die Gattung, die sich für die Krone der Schöpfung hält. Im zweiten Teil des „Faust" verbindet sich die Märchen- und Zauberwelt mit der modernen Finanzwirtschaft. Goethe war schockiert über das Papiergeld, das die Französische Revolution gleich nach ihrer Machtübernahme in die Welt setzte. Diese Assignaten, kleine Papierscheine, waren, wie die Regierung erklärte, voll gedeckt durch die Kirchengüter, die der neue Staat annektiert hatte. Und sie zirkulierten denn auch ganz fröhlich, und viele machten ein schönes Geld damit. Aber der Verlockung, immer mehr davon zu drucken, konnte auch eine Revolutionsregierung nicht widerstehen, sodass die Assignaten immer zahlreicher und ihr Wert immer geringer wurde. Schließlich fraßen sie die Vermögen auf, die sie hätten vermehren helfen sollen. Das heutige Finanzsystem war geboren.

Mephisto, Vater aller Blasen. Goethe machte daraus eine Erfindung des Teufels. Mephisto flüstert dem König, den die Geldnot beutelt, zu, er solle Papiergeld drucken lassen und erklären, es sei gedeckt durch die vielen Schätze, die ja ganz gewiss vielerorts im Boden vergraben lägen. Und nun entsteht genau das, was man heute eine Finanzblase nennt. Die Bezeichnung leitet sich von der Eigenschaft aller Blasen her, früher oder später zu platzen. „Faust II", das Werk, das viele Leute für abstrus halten, war die erste literarische Analyse jenes Prozesses, der seither immer wieder viele Leute reich, unvergleichlich mehr von ihnen aber arm gemacht hat. Wien hat dafür einst den berühmten Namen gefunden. Am 9. Mai 1873 brach die Wiener Börse zusammen, im Anschluss an den faulen Boom der Gründerzeit, von hier sprang die Katastrophe nach Berlin über, dann nach Paris und London, schließlich nach New York. Da jener 9. Mai ein Freitag war, nannte man ihn „Schwarzen Freitag" - ein Name, der seither für diese wiederkehrenden Ereignisse verwendet wird, auch dann, wenn sie gar nicht auf einen Freitag fallen. Mit der Finanzwirtschaft war auch die Gestalt des Mannes entstanden, der auf Goldhaufen schläft. Die Banker, die sich 50, 60, 70 Millionen im Jahr auszahlen lassen, Geld, dessen Realwert mit Gewissheit von anderen Leuten erarbeitet wurde, unterscheiden sich von den goldscheißenden Eseln der Märchen nur dadurch, dass diese ihre Ausscheidungen niemandem wegnehmen.

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