Wie die blauen Vögel ziehen

ARCHIVBILD: ZUGROUTE DER BLAURACKE ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA NACHVERFOLGT
ARCHIVBILD: ZUGROUTE DER BLAURACKE ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA NACHVERFOLGT(c) APA/MICHAEL TIEFENBACH
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Ornithologie.Die europäischen Populationen der stark bedrohten Blauracke wählen sehr unterschiedliche Wege ins südliche Afrika.

Der 35-jährige steirische Zoologe Michael Tiefenbach beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Blauracke. Dass genau er in Österreich der führende Experte für den schillernd türkis-blauen, etwa 30 Zentimeter großen Vogel ist, ist kein Zufall. Denn in seiner Heimat in der Südoststeiermark ist das letzte kleine Vorkommen des einstmals recht weit verbreiteten Höhlenbrüters in Österreich. Als Teil eines internationalen Teams hat er, über mehrere Jahre hinweg, die Zugrouten der europäischen Populationen des insektenfressenden Vogels erforscht. Im Moment ist er als Biologe für das Land Steiermark tätig.

GPS-Sender sind zu schwer

Genau drei Brutpaare der Blauracke gab es nach Angaben der Organisation Birdlife 2015 in Österreich, allesamt in einem ziemlich kleinen Gebiet im südoststeirischen Hügelland. Das nächstgelegene Vorkommen ist in Ungarn östlich der Donau. Dass sich eine so kleine Population in der Steiermark überhaupt hält, obwohl sie komplett isoliert ist, liegt an der Nistplatztreue der Vögel. Jedes Jahr Ende April oder Anfang Mai kehren sie wieder dorthin zurück, wo sie selbst geboren wurden. Im September ziehen sie wieder davon. Auf welchem Weg sie von und zu den Überwinterungsgebieten im südlichen Afrika kommen, war bislang unklar. Das Problem: Die klassische Methode, die Beringung, lieferte nur einzelne Zufallsfunde, eine Datenbasis, die für die Rekonstruktion von ganzen Zugrouten bei Weitem nicht ausreichte. GPS-Sender, wie sie sich für größere Zugvögel wie Störche schon länger bewährt haben, sind für die relativ kleinen Vögel zu schwer. Es musste also ein anderes System gefunden werden.

Und vor einigen Jahren wurde eine passende Methode entwickelt: Geolokatoren. Das sind kleine Sensoren, die anhand der Tageslänge den Breitengrad und anhand des Zeitpunkts von Sonnenauf- und -untergang den Längengrad messen. Dass es dabei noch immer Ungenauigkeiten von 100 bis 200 Kilometer gibt, sieht Tiefenbach nicht so problematisch. Es sei bei der Studie darum gegangen, die Gebiete des Zugs eingrenzen zu können – dafür reiche die Genauigkeit aus. Zudem werden die Messungen deutlich genauer, wenn die Vögel mehrere Tage im Gebiet blieben. Dann könnten mehrere Messungen kombiniert werden. Das größte Problem des Systems ist, dass diese Sensoren die Daten nicht senden. Die Vögel müssen also, nach ihrer Rückkehr nach Europa, noch einmal gefangen werden, damit die Sensoren gesammelt und die Daten ausgewertet werden können.

Sehr unterschiedliche Wege

Die Ergebnisse dieser Auswertung überraschten. Denn die europäischen Populationen nutzen Zugrouten von äußerst unterschiedlicher Qualität: Populationen aus dem Westen und Osten Europas bewegen sich über Meerengen und entlang der afrikanischen Küste, wie es für große Zugvögel typisch ist. Mitteleuropäische Blauracken aber fliegen geradeaus quer über das Mittelmeer und die Sahara, wie es die meisten ziehenden Singvögel tun. Auch die steirischen Exemplare zählen zu dieser zweiten Gruppe: Sie ziehen in ziemlich direkter Linie zwischen 15. und 25. Längengrad quer über das Mittelmeer und die Sahara in den Süden. Vor allem für die Blauracken aus dem Osten Europas zeigte sich, dass sie im Frühling eine ganz andere Route wählen als im Herbst. So überfliegen sie auf dem Weg nach Europa die Arabische Halbinsel, auf dem Weg zurück nach Afrika aber nicht.

Auch die Rastplätze auf dem Zug waren ein wichtiger Bestandteil der Forschung. Die österreichischen Vögel machen, genauso wie andere mitteleuropäische Exemplare, Rast im Tschadbecken. Das Gebiet um den extrem flachen Tschadsee, der knapp südlich der Sahara liegt, ist für viele insektenfressende Zugvögel ein wichtiger Rastplatz. Das könnte bald zum Problem werden. Denn der See droht komplett auszutrocknen.

Ungewisse Zukunft

Wie es mit den steirischen Blauracken weitergeht, ist indessen unklar. Schon ein Verlust von wenigen Individuen kann zum Erlöschen der gesamten Population führen. Und Verluste während des Zugs oder ein schlechter Bruterfolg, aufgrund von Wetterereignissen, können nicht verhindert werden.

Vor 60 Jahren hat es laut Birdlife in Österreich noch rund 400 Brutpaare gegeben. Wichtige Futterquellen für die Blauracke sind seitdem versiegt. Denn sie ist von Grünbrachen und großflächigen Weiden abhängig, wo sie viele große Insekten findet. Intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen, wie Maisäcker, eignen sich dagegen nicht. Genau solche sind aber in der Südoststeiermark seit den 1960er-Jahren vorherrschend. Der Naturschutz konzentriert sich daher auf die Förderung von Wiesenflächen. Denn es soll nicht das gleiche passieren wie in Deutschland: Dort ist die Art vor etwa 20 Jahren ausgestorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)

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