Sven-Eric Bechtolf: "Nein, leider, ich bin zu blöde"

Sven-Eric Bechtolf
Sven-Eric Bechtolf(c) APA (Helmut Graf)
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Der Schauspieler und Regisseur erklärt der "Presse", warum er kein Intellektueller ist, wie er zum Theater kam und was er in Salzburg tun will. Im Burgtheater spielt er ab 6. Februar in "Quai West" den Maurice Koch.

„Die Presse“: Sie sind Schauspieler, Regisseur und ab Herbst 2011 Theaterdirektor der Salzburger Festspiele. Wird das Ihr Leben ändern?

Sven-Eric Bechtolf: Ich lebe schon Jahrzehnte so zweigleisig, manchmal auch dreigleisig, wenn ich etwas schreibe. Ich hatte von mir nur sehr kurz das Berufsbild „Schauspieler“. Manchmal muss man das eine zugunsten des anderen zurückstecken. Derzeit spiele ich noch, bald aber wird es eine Pause geben.

Zuletzt waren Sie in Wien weniger zu sehen.

Bechtolf: Ich war früher im festen Engagement, jetzt haben wir einen freieren Vertrag. Wegen sonstiger Verpflichtungen kann ich mich nicht auf festvertraglicher Basis einem seriösen Haus zumuten. Obwohl das Burgtheater mir so etwas wie Heimat bedeutet.

Sie haben drei Direktoren an diesem Haus gekannt: Peymann, Bachler und Hartmann. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Bechtolf: Das ist ja eine furchtbar komplizierte Frage. Das müssen Sie in 50 Jahren die Theaterwissenschaftler oder Historiker fragen. Ich bin Zeitzeuge und daher blind.

Salzburg scheint für Ihre Umtriebigkeit ideal zu sein: Die Saison ist zeitlich begrenzt.

Bechtolf: Die Arbeit ist machbar und trotzdem sehr zeitaufwendig. Wir bringen pro Jahr sieben bis acht Produktionen heraus. Das entspricht dem Jahresaufkommen eines Stadttheaters. Es macht aber jetzt schon viel Spaß.

Sie können Ihr Programm relativ frei gestalten. Was schwebt Ihnen vor? Haben Sie schon schlaflose Nächte?

Bechtolf: Nein. Man trifft erst eine sehr subjektive Auswahl, entwirft den idealen Spielplan, dann kommt die Prosa des Alltags. Salzburg hat auch eine gewisse Repräsentationspflicht. Allzu gleichgestaltig dürfen wir nicht daherkommen. Das Haus unseres Herrn hat aber Gott sei Dank viele Wohnungen.

Welche Strategien haben Sie für Salzburg? Man wird Sie beneiden um diese Aufgabe. Wie vergleicht sich das mit Bayreuth?

Bechtolf: Ich bin nicht Intendant, sondern Abteilungsleiter. Der Fokus liegt selbstverständlich auf Alexander Pereira: Im Opernprogramm muss er sich mit Bayreuth vergleichen lassen, wobei der Vergleich hinkt, weil in Bayreuth nur ein einziger Komponist gespielt wird. Die Festspiele sind wahrscheinlich das wichtigste europäische Festival, wobei die Schauspielabteilung noch nicht so zentral unter Beobachtung steht. Aber natürlich versucht man, die besten Leute zu holen, und das müssen nicht immer die besten bekannten Leute sein, sondern die, an die man glaubt. Ich finde auch, man sollte sich internationalisieren, über den Tellerrand schauen. Die Bedingungen im Theater sind ja außerhalb des deutschsprachigen Raums sehr viel härter, als wir das gewohnt sind, zum Beispiel in England und Spanien, wo ich gearbeitet habe. Trotzdem gibt es dort Großartiges zu sehen.

Werden Sie auch selbst inszenieren?

Bechtolf: In der Oper ja, im Schauspiel erst mal nicht, ich will die Ressourcen nicht alleine kapern, sondern eher ein Ermöglicher sein als ein Selbstnutzer. Das gehört mit zu der Verantwortung, die ich trage.


Das machen Sie also anders als Matthias Hartmann, der im Burgtheater vor allem sich selbst als Regisseur in Szene setzt.

Bechtolf: Das ist etwas völlig anderes. Für das Burgtheater ist es wichtig, dass wieder ein inszenierender Intendant mit allen Abteilungen des Hauses in einer vitalen Verbindung steht. Meiner Ansicht nach macht er das sehr richtig.

Sie arbeiten hier an der Burg wieder mit Andrea Breth zusammen, spielen unter ihrer Regie in „Quai West“. Was schätzen Sie an ihr?

Bechtolf: Dass sie mit Autoren unterschiedlichster Provenienz neugierig, respektvoll und nahezu archäologisch umgeht, ohne ihnen Gewalt anzutun. Sie findet durch unablässiges Hineinhorchen und Hineinforschen auch in klassischen Stücken Dinge, die zuvor kaum gesehen worden sind. Sie hat eine große Seriosität und Ernsthaftigkeit auch in modernen Stücken, das wird im saloppen Zeitgeist sonst oft übersehen. Auch ihre Art, mit den Schauspielern zu arbeiten, schätze ich sehr. Fraglos ist Andrea die wichtigste Regisseurin für mich.

In „Quai West“ von Bernard-Marie Koltès haben Sie bereits einmal vor langer Zeit in Bochum gespielt, 1986.

Bechtolf: Andrea Breth war damals in Bochum Hausregisseurin, sie kennt diese Aufführung also – und fand sie damals nicht besonders toll. Für mich ist diese Inszenierung in einem Nebel versunken. Ich kann es nicht mehr beurteilen. Wir waren damals viel unerfahrener mit solchen rätselhaften Werken. Moderne Stücke verschwinden wieder recht schnell, wenn sie nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen. Das ist im Fall von Koltès nicht so: Er war in „Quai West“ geradezu prophetisch. Es ist gut, ihn jetzt „wiederzuentdecken“, er hat eine längere Lebensdauer, als man geglaubt hat. Vermutlich weil er wirklich ein Dichter ist. In „Quai West“ untersucht er den Einfluss des Markts, des Deals und des Tausches bis ins Innerste seiner Figuren. Bis sie sich durch ihre Bedürfnisse und ihre Taktik, sie zu befriedigen, konstituieren. Schönheit sei die einzige Moral, hat er in einem Interview gesagt. Er ist ein enigmatischer Schriftsteller, ohne Sozialkitsch oder Moralismus.

Sehen Sie sich als Intellektueller?

Bechtolf: Nein, leider, ich bin zu blöde. Wünschelrutengänger bin ich freilich auch keiner, obwohl ich viel intuitiv entscheide. Ich kenne überhaupt nur ganz wenige Intellektuelle und bin voll kleinlauter Bewunderung, wenn ich ihnen gegenüberstehe.

Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Bechtolf: Das geschah zwangsläufig. Ich hatte einen Urgroßvater, der war sozusagen das schwarze Schaf der Familie. Er zauberte und baute ein Marionettentheater. Das kam dann in den Besitz meiner Mutter, und mein Bruder hat damit Aufführungen veranstaltet. Dann wurde ihm die Wirkungsstätte zu klein, und er hat uns Geschwister als Marionetten benutzt. Als kleiner Junge erringt man so leichte Erfolge bei älteren Damen, das will man dann weiter betreiben. Theaterbesuche haben mich zusätzlich angeregt, „Peterchens Mondfahrt“ etwa. Bei „Hänsel und Gretel“ habe ich schreiend den Saal verlassen. Der Schauspielwunsch hat sich sehr schnell bei mir eingestellt. Die übrigen von uns sind Hamburger Geschäftsleute geworden, ich bin meinem Traum treu geblieben.

Hatten Sie nie eine Krise, in der Sie sich sagten, jetzt lasse ich das alles?

Bechtolf: Das Leben ist ohnehin eine Dauerkrise. Ich halte es für einen Irrtum, dass man einen befriedigenden Status quo erreichen kann. Vor großen Krisen bin ich aber Gott sei Dank bislang verschont geblieben. Es gibt immerhin zwischendurch beglückende Momente. Meinen Beruf habe ich jedenfalls, trotz einiger Qualen, nicht infrage gestellt.

Was mögen Sie im Theater überhaupt nicht?

Bechtolf: Lustige Kostüme.

Gibt es Fertigkeiten, bei denen Sie neidlos sagen: „Nein, das kann ich nicht“?

Bechtolf: Alle! Jeder, der nachweislich irgendetwas beherrscht, findet meine volle Bewunderung. Ein wirklich guter Kellner, Maler, Pianist oder Chirurg ist äußerst selten und daher kostbar! Bei uns gibt es ja keine objektiven Maßstäbe zur Beurteilung der Leistung, die gibt es in anderen Berufen sehr wohl. Ich wäre auch gerne ein guter Skifahrer geworden, aber es war mir halt nicht vergönnt.

Ab 2011 in Salzburg

Sven-Eric Bechtolf, geb. 1957 in Darmstadt, übernimmt im Herbst 2011, unter der neuen Intendanz von Alexander Pereira, die Theaterdirektion der Salzburger Festspiele. Der Schauspieler, Regisseur und Autor reüssierte u. a. im Burgtheater, im Zürcher Schauspielhaus und im Schauspielhaus Bochum. Als Regisseur hat er sich zuletzt verstärkt dem Musiktheater zugewandt.

Im Burgtheater spielt Bechtolf ab 6. Februar unter der Regie von Andrea Breth in „Quai West“ den Maurice Koch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2010)

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