Russland: „Wir nehmen so viel Geld vom Staat wie möglich“

Pjotr Aven
Pjotr Aven (c) Aven
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Ein Gespräch mit dem russischen Oligarchen Pjotr Aven über die russische Finanzwelt, die Relativität einer Milliarde und die Chancen Russlands gestärkt aus der Krise zu gehen.

Moskau. Er gilt als einer der renommiertesten Banker Russlands. Seit 1994 lenkt Pjotr Aven die Geschicke der Alfa-Bank und hat sie als Russlands größte Privatbank etabliert. Von den Wänden seines Büros prangen Gemälde aus seiner Kunstsammlung. Zu jeder anderen Zeit würde hier Beschaulichkeit herrschen. Weil die Finanzwelt draußen aber in Aufruhr ist, ist auch in der Alfa-Bank Hektik eingezogen. Zeit und Lust scheint Multimilliardär Aven für ein Interview nicht zu haben. Offenbar aus Reverenz vor Österreich macht er eine Ausnahme. Schließlich hat er sich mit dem Kärntner Johann Jonach soeben einen der erfahrensten Banker in Osteuropa als CEO geholt. Die konservative Strategie Avens führte dazu, dass die Bank heute besser dasteht als die meisten der über 1100 russischen Banken. Aber die Übergangszeit zur Beruhigung des Marktes ist erst noch zu managen, damit wir „gestärkt aus den Turbulenzen hervorgehen“, wovon Aven überzeugt ist.

Die Presse: Beginnen wir beim Schönen, bei der Kunst. Soll man jetzt kaufen?

Pjotr Aven: Es ist noch nicht klar, wie sich der Markt verhalten wird. Einstweilen verlaufen die Auktionen erfolgreich. Jetzt wissen die Leute ja nicht, wohin sie ihr Geld legen sollen. Nach den großen Auktionen im November in London wird einiges klarer werden.

Wenn wir die unterschiedlichen Bedingungen in Russland und im Westen hernehmen: Wie unterscheiden sich die Entwicklung der Finanzkrise und ihre Folgen?

Aven: Im Westen ist es eine reale Krise, gegründet auf „faulen“ Krediten. In Russland ist es eine Liquiditätskrise. Westliche Investoren haben Geld abgezogen. Jetzt geht die Krise wahrscheinlich auf die reale Ökonomie über.

Sehen Sie Parallelen zur berühmten Krise mit dem Rubelcrash 1998?

Aven: Nein. 1998 hatte der Staat wenige Reserven, aber Schulden. Jetzt ist es umgekehrt. Wir haben eine Liquiditätskrise, aufgrund der Schulden der Firmen, die nicht mehr refinanzieren können. Kein echter Grund für eine Abwertung.

In welcher Phase der Krise befinden wir uns?

Aven: Ganz am Anfang. Ich mag das Wort Krise nicht, weil ich nicht sehe, dass etwas Katastrophales eintreten wird. In ein paar Jahren beginnt ein neues Wachstum.

Wie sehr steht die globale Finanzarchitektur infrage?

Aven: Sie steht infrage und wird künftig nicht mehr ohne die großen Ökonomien wie Russland auskommen. Ich hatte viel mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu tun. Schon bei unserer Krise 1998 haben wir gesehen, dass dieses System nicht optimal arbeitet. Zumindest damals war der IWF politisiert. Immer haben die G7 entschieden, nicht immer ökonomisch oder vernünftig.

Hat Russlands Finanzsystem auch eigene Schwächen, die den Fortschritt der Krise gefördert haben?

Aven: Wir haben viele schwache Banken und wenig Vertrauen. Jede Schwankung wirkt sich stark aus. Das Finanzsystem ist relativ brüchig. Der Vorteil ist, dass die Hypotheken nur drei Prozent des BIP ausmachen, also hier keine Blase droht. Eine große Schwäche ist, dass wir keine privaten Pensionsfonds haben und es an institutionellen Investoren fehlt. Und das System der Refinanzierung der Banken in der Zentralbank befindet sich noch nicht im 21. Jahrhundert.

Die Krise führt zur ausständigen Konsolidierung auf dem in 1100 Banken zersplitterten Sektor. Zu Ihnen kommen gewiss schon Massen von angeschlagenen Banken?

Aven: Einige kommen. Ich hoffe, dass es mehr werden, denn ich bin ein Gegner der kleinen Banken. 200 Banken wären für Russland ausreichend. Wir prüfen einige Übernahmekandidaten.

Beunruhigt Sie, dass sich der Staat durch die Stützungsinterventionen noch stärker in der Wirtschaft und im Bankensektor ausbreitet?

Aven: Mir gefällt das nicht. Ich hoffe auf eine temporäre Erscheinung, fürchte aber, dass Aktiva in den Händen des Staates bleiben.

Der Staat pumpt fast sechs Billionen Rubel (175 Mrd. Euro) in die russische Wirtschaft – fast so viel wie die gesamten Budgetausgaben 2008. Ist das nicht überhöht?

Aven: Auch mit etwas weniger Liquidität hätte man viel Effizientes tun können. Etwa ernsthafte Garantien für den Interbankenmarkt. Die Zentralbank hätte das Recht dazu. Aber der Staat verhält sich insgesamt situationsadäquat.

Wie viel Geld vom Staat werden Sie in Anspruch nehmen?

Aven: Wir nehmen so viel Geld vom Staat wie möglich.

Wladimir Putin meint, dass Privatbanken die Finanzpolitik des Staates unterstützen müssen, wenn sie sein Geld in Anspruch nehmen. Wie sitzt man auf zwei Stühlen?

Aven: Wenn man Geld vom Staat erhält, muss man auch dem Staat helfen. Eine gerechte Symmetrie.

Putin kritisierte, dass Banken die Hilfsgelder nur mit überhöhten Zinsen oder gar nicht weitergeben. Stattdessen Dollars aufkaufen und so den Rubel weiter schwächen.

Aven: Wir überhöhen die Kreditzinsen nicht. Es besteht eine Vertrauenskrise. Geld sickert langsam durch. Deswegen sollte der Staat Garantien für den Interbankenmarkt und für gute Klienten abgeben.

Hat die Oligarchenschicht, zu der Sie gehören, Vermögen verloren?

Aven: Ehrlich gesagt, denke ich wenig darüber nach.

Sie selber haben stark verloren?

Aven: Ja, natürlich.

Wirkt sich das auf die Psyche aus?

Aven: Kein bisschen. Mehr schon, dass wir viel arbeiten. Mich haben Zeitschriften auf 5,5 Mrd. Dollar geschätzt, womit sie sich nicht sehr verschätzt haben. Jetzt wird man zwei Mrd. Dollar schreiben.

Wann wollen Sie das alte Vermögen wieder hergestellt haben?

Aven: In einigen Jahren. Russland ist nicht Westeuropa, wo man langfristig plant.

Hilft das beim Verdauen der Krise?

Aven: Natürlich. Es ist ein traditioneller Teil unserer Kultur. Hier ist das Gefühl der Stabilität weitaus geringer entwickelt als im Westen.

Wer wird neben dem Staat von der Krise gewinnen?

Aven: Nur die, die darauf vorbereitet waren. Wir als Bank gehen sicher gestärkt aus der Krise hervor, hundertprozentig.

Und Russland?

Aven: Es hat gute Chancen auf eine schnelle Überwindung der Krise. Es hat keine Schulden und einen Finanzmarkt, der nicht so entwickelt ist wie im Westen. Etwas umzubauen ist immer schwieriger, als etwas erst zu errichten.

ZUR PERSON

Pjotr Aven studierte Ökonomie und forschte 1989 bis 1991 am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg bei Wien, ehe er als Wirtschaftsminister in die erste postsowjetische Regierung berufen wurde. Seit 1994 ist der heute 53-Jährige Präsident der Alfa-Bank, hält 13,76 Prozent an ihr und ist damit Anteilseigner bei den meisten Unternehmen der Alfa-Gruppe. Laut „Forbes“ liegt er mit 5,5 Mrd. Dollar auf Platz 29 der russischen Reichenliste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2008)

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