Cees Nooteboom: "Ist dies etwa der Tod?"

Cees Nooteboom
Cees Nooteboom(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Melancholie des Alterns: In Cees Nootebooms neuen Erzählungen klingt alles nach Abschied. „Nachts kommen die Füchse“ ist ein gelassenes Buch über Liebe und Freundschaft.

In diesen acht schmalen Prosatexten herrscht immerzu Nachsaison. Es ist kalt. Das Meer wird bedrohlich aufgewühlt. Es lauert die Natur. Einmal wird ein Deutscher, der im Furor nach draußen in ein Unwetter läuft, vom Blitz erschlagen. Diese Texte erzählen zum Beispiel von einem trunksüchtigen Vizekonsul an der ligurischen Küste und seiner Clique (besser gesagt erinnert sich der Erzähler an den Charakterkopf „Heinz“, längst tot), oder vom Leben einer alten Exilantin in Spanien („Ende September“), die ihren Nächsten nachtrauert, während sie ihre Zeit in verlassenen Lokalen mit nörgelnden Kellnern verbringt, den Gin Tonic immer in rettender Nähe.

Der Eingangstext arbeitet eine Zufallsbegegnung vor einem halben Menschenleben in Venedig auf („Gondeln“), aus der dann doch nichts Richtiges wurde, die Coda bringt nur Trauer. Eine Beinahe-Liebesbeziehung wird rituell beendet, indem der Erzähler alte, retournierte Briefe der Verstorbenen zerreißt und ins Meer wirft. Zwei Leben, die nicht zueinander fanden, treiben davon, bis man sie nicht mehr sieht.


Aus dem Schattenreich. Zwei melancholische Geschichten, „Paula“ und „Paula II“, werden aus verschiedenen Perspektiven erzählt – einmal von einem Mann, der das Versagen einer Beziehung eingesteht, einmal von der Verstorbenen, die sich verwundert aus dem Schattenreich meldet. Vor Jahren gehörten auch sie zu einer bunten Clique, die Karten spielte, trank, liebte. Paula fiel einem Hotelbrand zum Opfer: „Ich bin zwar gestorben, aber ich bin nicht tot“, sagt sie, ehe sie zu einer diskreten Liebeserklärung ansetzt. Das ist eine wunderliche, sentimentale Geschichte, bis hart an der Grenze zur Peinlichkeit, aber virtuos im Spiel mit Fiktionen, voll agnostischer Mystik, über eine Frau, die sich im allerletzten Moment entdeckt, die von einer großen Liebe zu sich selbst erfasst wird: „Ist dies etwa der Tod?“, zitiert die Verstorbene aus den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss. Wandermüde sind diese Menschen, tief im Abendrot.

Ist es der Tod? Noch nicht ganz, aber der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom (*1931), der hierzulande durch seinen Roman „Rituale“ (dt. 1985) und die Novelle „Die folgende Geschichte“ (1991) berühmt geworden ist, ein Meister feinster Formen, weltgewandt, weitgereist, am Mittelmeer wie auch in Amsterdam zu Hause, hat nun ein (von Helga von Beuningen bestenes übersetztes) Buch über Abschiede geschrieben, unaufdringlich und doch so intensiv, dass diese Episoden, die sich in Lebensbilanzen verwandeln, unverhofft rühren: „Es scheint so viel, das Leben, und doch weiß man erst hinterher, wie fadenscheinig es ist.“


Die Angst vor dem Nichts. Da hört man den Puppenspieler durch, der seine Figuren zum Sprechen und dadurch auch in ein scheinbares Leben bringt. Auslöser für die Erinnerungen sind meist Orte, Schilder oder Schnappschüsse, die vor Jahrzehnten gemacht wurden: „Und wer mich betrachtet auf diesem Foto, was sieht der?“, fragt ein Erzähler. „Das Gleiche. Nichts“, lautet die Antwort. Diese Angst vor dem Nichts formuliert Paulas vereinsamter Freund in einem Satz, den seine Großmutter ihm als Kind gesagt hat: „Nachts kommen die Füchse“. Das ist ein Satz für einen Mann, „der einmal am Tag nicht mehr leben will“.

Die Protagonisten dieser Prosa scheinen vielfältige Charaktere zu sein, und doch sind alle ihre Äußerungen von einem ähnlichen melancholischen und zugleich kritischen Ton getragen, der diese Texte zu einem Ganzen webt. Nooteboom berichtet aus dem Reich der Toten. In alten Mythen heißt es, dass ein Verstorbener erst dann tot sei, wenn die Hinterbliebenen aufhören, an diese Person zu denken. Die Literatur aber will tiefe, tiefe Ewigkeit. In diesem Sinne sind auch Nootebooms Stories ein tapferer Versuch, gegen das Vergessen anzuschreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2009)

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