Die Zweiteilung der USA: Pleitewelle in den Kommunen

Pleitewelle Kommunen
Pleitewelle Kommunen(c) REUTERS (REBECCA COOK)
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Von der Ost- bis zur Westküste ächzen kleinere und mittlere Städte unter Konkurs und finanziellem Notstand. Hohe Gagen, Pensionen oder teure Projekte stürzten sie in den Ruin.

Wien. Michigans Route 1 führt von Pontiac – dem Namensgeber einer US-Automarke – südöstlich schnurstracks zum glitzernden Glaswolkenkratzer des GM-Hauptquartiers, direkt am Detroit River, an der kanadischen Grenze. Wie an einer Perlenkette sind hier die Problemstädte und die Nobelvororte aufgefädelt, die paradigmatisch die Zweiteilung der USA markieren. Denn neben einer politischen Spaltung existiert auch eine ökonomische. Schwer zu sagen, welche tiefer klafft.

Nordwestlich von Detroit breiten sich die einstigen Boomstädte des Wirtschaftswunders wie Flint oder Pontiac, die mittlerweile wegen der Schließung der Fabriken und des Wegzugs der Bewohner unter einem finanziellen Notstand ächzen, aus. Die tristen Main Roads, in denen einzig die Pfandleihgeschäfte florieren, die vielen leer stehenden Läden und überdimensionierten Sportarenen verleihen ihr ein ramponiertes Bild. Ein kanadischer Investor riss sich in Pontiac das Football-Stadion für eine halbe Million Dollar unter den Nagel, der Betonkomplex des Phoenix Center dämmert vor sich hin.

Jenseits der Eight Mile Road, der vom Rapper Eminem besungenen Grenze zwischen „guter“ und „schlechter“ Nachbarschaft, liegt Bloomfield Hills. Hier, im Grünen, in einer hügeligen, mit Villen besprenkelten Waldlandschaft, wuchs der frühere republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney auf – als Sohn eines Automanagers und Gouverneurs. Privatschulen, Country Clubs und Golfkurse schmiegen sich harmonisch an die Landschaft. „Die Eight Mile Road trennt die Millionäre vom Maschinenraum“, sagt Pfandleiher Ron Sheeby.

USA driften auseinander

Die USA driften zunehmend auseinander – nicht nur zwischen den Reichenenklaven an Ost- und Westküste, sondern auch innerhalb der Bundesstaaten. Jerry Brown, Arnold Schwarzeneggers demokratischer Nachfolger als Kaliforniens Gouverneur, hat das Steuer zwar herumgerissen. Die Budgetmisere verringerte sich signifikant, aber viele Städte im „Golden State“ stehen wegen finanzieller Kalamitäten unter Zwangsverwaltung.

In Vallejo, an der San Francisco Bay, überwacht ein Sanierungsexperte den städtischen Haushalt. Der Bürgermeister und der Stadtrat sind de facto entmachtet. Der Krisenmanager hat das Kontingent der städtischen Bediensteten schlagartig um bis zu 40 Prozent reduziert, er hat Kurzarbeit im öffentlichen Dienst eingeführt und der Stadt einen radikalen Sparkurs verordnet. Das Rathaus ist an Freitagen kaum noch besetzt. Polizei und Feuerwehr können nicht mehr jedem Notfall nachkommen, die Kriminalitätsrate ist gestiegen – und auch die Zahl der Brände. Die Innenstadt ist heruntergekommen, die Main Road der 120.000-Einwohner-Stadt gleicht einer Geisterstadt – wie vielerorts in kleineren und mittleren US-Städten.

Vallejo hatte schon im Jahr 2008 Konkurs erklärt. Die Schließung des Marinestützpunkts hat die Stadt einträgliche Einnahmen und Arbeitsplätze gekostet, ein Ersatz fand sich nicht. In Kalifornien sind zumindest 100 Städte von einer Pleite bedroht, schätzt die California State University.

Es ist ein Muster, das sich quer durch die USA zeigt: von San Bernardino und Stockton in Kalifornien, die im Vorjahr Bankrott angemeldet haben, bis nach Rhode Island in Neuengland. Mancherorts leisteten sich Städte teure Prestigeprojekte, anderswo genehmigten sich städtische Angestellte Jahresgagen von 300.000 Dollar. Hohe Gehälter – Feuerwehrleute streichen zuweilen mehr als 100.000 Dollar jährlich ein –, großzügige Pensionen und eine spendable Gesundheitsversorgung haben die Kommunen in den Ruin gestürzt. Die starken Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes haben das Maximum herausgeholt – ähnlich wie einst die Gewerkschaft der Autoarbeiter.

Auf einen Blick

„Chapter Nine“: Analog zum „Chapter Eleven“ für Wirtschaftsunternehmen – etwa für GM und Chrysler im Jahr 2008 – regelt „Chapter Nine“ den Konkurs von Städten. Der Gouverneur des jeweiligen Bundesstaates setzt einen Konkursverwalter ein, der den Prozess überwacht. Im kalifornischen Vallejo, an der San Francisco Bay gelegen, verordnete ein Krisenmanager der 120.000-Einwohner-Stadt einen radikalen Sparkurs. Er reduzierte den Personalstand von Polizei und Feuerwehr um fast 40 Prozent. Die Pleite ist nun überwunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2013)

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