Der Maestro aus Mailand, Chef der Scala, der Wiener Staatsoper und der Berliner Philharmoniker, Gründervater des Festivals Wien modern, starb 80-jährig in Bologna, wo er zuletzt das Orchestra Mozart aus Jugendlichen gründete.
Der italienische Dirigent Claudio Abbado ist tot. Der 80-Jährige starb am 20. Jänner in seiner Wohnung in Bologna nach langem Krebsleiden. Mit Österreich verbinden den in Mailand geborenen Abbado enge Beziehungen: Er studierte in Wien, wurde 1965 mit einer Mahler-Aufführung bei den Salzburger Festspielen international bekannt, war Musikdirektor der Wiener Staatsoper, Generalmusikdirektor in Wien und hatte von 1994 bis 2002 die künstlerische Leitung der Salzburger Osterfestspiele inne. Und er gründete das Festival für Neue Musik, Wien Modern. (c) EPA (Riccardo Musacchio)
Claudio Abbado wurde am 26. Juni 1933 in Mailand als Sohn einer Musikerfamilie geboren. Schon als Achtjähriger hatte er das Ziel, Dirigent zu werden. Er studierte zunächst am Konservatorium Giuseppe Verdi in Mailand Orchesterleitung, Klavier und Komposition. Dann wechselte er zu Hans Swarowsky an die Wiener Musikakademie, wo er neben Zubin Mehta als wichtigster Schüler des großen Wiener "Dirigentenmachers" galt. Foto: Abbado 1968 (c) imago stock&people (imago stock&people)
1965 gelang ihm mit den Wiener Philharmonikern, von Karajan empfohlen, ein entscheidender Durchbruch mit Mahlers "Auferstehungssymphonie". Foto: Abbado mit Alfred Brendel 1979 (c) imago stock&people (imago stock&people)
1958 gewann Abbado den Kussewitzky-Preis in Tanglewood/USA. Bereits 1966 dirigierte er bei den Salzburger Festspielen. 1968 wurde er leitender Dirigent und später künstlerischer Leiter der Mailänder Scala. Foto: Abbado 1985 (c) imago stock&people (imago stock&people)
Abbado übernahm bald weitere künstlerische Aufgaben - als ständiger Gastdirigent der Wiener Philharmoniker (ab 1971) und des London Symphony Orchestra (ab 1988 auch Musikdirektor). In den achtziger Jahren zog er sich Abbado allmählich von Mailand zurück. Foto: Claudio Abbado mit dem tschechischen Dirigenten Karel Ančerl 1968 (c) imago stock&people (imago stock&people)
1986 übernahm er mit der eigens für ihn geschaffenen Position eines Musikdirektors der Wiener Staatsoper und der Wiener Philharmoniker eine neue Aufgabe. Ein Jahr später wurde er zum Generalmusikdirektor der Bundeshauptstadt ernannt. (c) imago stock&people (imago stock&people)
In Wien setzte sich Abbado für Werke außerhalb des gängigen Repertoires ein, was ihm den Vorwurf eintrug, sich hauptsächlich mit "Nebenwerken" zu beschäftigen und sich zu sehr für "Schwierigstes und Rares" zu engagieren. (c) Reuters Photographer / Reuters
Als Konzertdirigent bot Abbado in Wien sein riesiges, stilistisch weit gefächertes, zumeist auswendig beherrschtes Repertoire von Antonio Vivaldi bis Wolfgang Rihm an. Zudem gründete er 1988 das Festival "Wien modern" und betreute das Gustav-Mahler-Jugend-Orchester. (c) imago stock&people (imago stock&people)
Von 1989 bis 2002 war Abbado Chefdirigent und künstlerischer Leiter der Berliner Philharmoniker. Bis 2014 wäre sein Vertrag als Leiter des von ihm gegründeten Lucerne Festival Orchestras gelaufen. (c) APA (DPA/Sophie Tummescheit)
Seine Stellung als Musikdirektor und Dirigent der Wiener Staatsoper kündigte Abbado im Oktober 1991 aus gesundheitlichen Gründen. Mit "Arbeitsüberlastung" begründete Abbado seinen Rückzug. (c) imago stock&people (imago stock&people)
Zwei Mal, 1988 und 1991, stand Abbado beim Neujahrskonzert am Pult. (c) imago stock&people (imago stock&people)
Er gründete mehrere Orchester: 1978 das European Community Youth Orchestra, 1986 das Gustav Mahler Jugendorchester, aus denen 1981 das Chamber Orchestra of Europe bzw. 1997 das Mahler Chamber Orchestra hervorgingen. 2004 gründete er das Orchestra Mozart. (c) EPA (Urs Flueeler)
Scala-Intendant Stephane Lissner umwarb Abbado 2005 für eine Rückkehr als Musikdirektor am Mailänder Opernhaus, der Dirigent lehnte jedoch ab. Trotzdem verbanden Abbado zuletzt wieder enge Bande mit der Scala: Am 30. Oktober 2012 dirigierte Abbado nach 20 Jahren wieder ein Konzert an der Scala. (c) AP (HANS EDINGER)
Auch in Wien hat er ab 2011 nach jahrelanger Absenz wieder am Pult gestanden. Zuletzt musste er seine angesetzten Konzerte allerdings bereits aus gesundheitlichen Gründen absagen. (c) EPA (Adalberto Roque)
Bereits vor zehn Jahren war Abbado an Magenkrebs erkankt. Durch den Schmerz habe er Komponisten besser verstehen können, die viel erlitten und daraus Meisterwerke geschaffen hätten, sagte er vergangenes Jahr. (c) ORF (-)
Weltstar mit Österreichbezug
Sein Name galt wohl auch vielen, die in ihrem Leben kein Konzert besuchen, als Synonym für klassische Musik. Die Funktionen, die Claudio Abbado in seinem langen Künstlerleben einnahm, zählten zu den gewichtigsten, die das internationale Musikbusiness zu vergeben hat – ob in seiner Heimat Chef der Mailänder Scala, in England Leiter des London Symphony Orchestra, in Wien Chefdirigent der Staatsoper, in Berlin der Philharmoniker, in Salzburg Spiritus Rector der Osterfestspiele . . .
Höher konnte man jeweils nicht steigen, und doch verlor Abbado nie das Image des liebenswert unengagierten, gar nicht ehrgeizigen Musikanten, der nur seine Zuneigung zur Musik lebte. Wo immer ihm eine Leitungsfunktion zufiel, gewann man den Eindruck, sie wäre dem Dirigenten geradezu aufgedrängt worden. Unvergesslich die Ernennung zum Nachfolger Herbert von Karajans in Berlin: Monatelang war Abbados Name an der Gerüchtebörse nicht einmal genannt worden – anlässlich des entscheidenden Konklaves tauchte er erst auf, als das Rennen entschieden war.
Traumwandlerisch zum Karajan-Erbe
Die Berliner Philharmoniker haben ihren langjährigen Chefdirigenten Claudio Abbado als außerordentlichen Musiker und Menschen gewürdigt. Der Tod Abbados sei ein "unendlich schwerer Verlust", erklärte das Orchester am Montag auf seiner Homepage. "Seine Liebe zur Musik und seine unstillbare Neugier waren uns Inspiration und haben unser musikalisches Schaffen seit seinen ersten Konzerten mit uns im Jahr 1966 geprägt. Wir sind stolz, ihn zu unseren Chefdirigenten zählen zu können und Teil seines musikalischen Erbes zu sein." (c) EPA (Michele Naccari)
Auch die Wiener Staatsoper trauert um den Dirigenten und ihren ehemaligen Generalmusikdirektor (1986 bis 1991). Zum Gedenken hisst die Staatsoper die schwarze Flagge. (c) imago stock&people (imago stock&people)
"Die Musikwelt hat heute einen der ganz Großen verloren", so Staatsoperndirektor Dominique Meyer, der sich "persönlich trief betroffen" zeigte. Die Konzerte mit Abbado, die er erleben durfte, werde er "nie vergessen", so Meyer. "Er hat aber nicht nur künstlerisch tiefe, bedeutende Spuren etwa in Mailand, Wien, Berlin, Salzburg und zuletzt Luzern hinterlassen, sondern auch nachhaltige strukturelle Visionen in die Tat umgesetzt und somit Generationen von Musikern geprägt." (c) Die Presse (Clemens Fabry)
Als Assistent von Abbado in dessen Zeit an der Wiener Staatsoper war der heutige Generalmusikdirektor, Franz Welser-Möst tätig. Von ihm, "der ein sehr umgänglicher und kollegialer Künstler war, konnte ich in meiner Zeit als sein Assistent wichtige musikalische Standpunkte kennenlernen und ins Leben mitnehmen", so Welser-Möst heute. "Ich habe ihn für sein enormes Arbeitspensum sehr bewundert, genauso wie für seine Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, mit der er Projekte anging, die ihm ein Anliegen waren." Mit dem Festival "Wien Modern" und dem Gustav Mahler Jugendorchester habe er zwei "Meilensteine" gesetzt, "die in Wien stets an ihn erinnern werden". (c) EPA (HERBERT NEUBAUER)
Einen seiner "nicht nur beruflich sondern auch privat besten Freunde" hat Musikvereins-Chef Thomas Angyan mit dem Tod von Abbado verloren. "Mit seinem Einsatz für die Neue Musik hat er in Wien unendlich viel bewirkt - in einer Stadt wo die Neue Musik nicht zum Alltag gehört hat", so Angyan. Zuletzt habe er Abbado im Dezember in Bologna besucht. Obwohl Abbados Tod ein "schlimmer Verlust" für die ganze Musikwelt sei, müsse man es "auch so sehen, dass ihm nach seiner schweren Krankheit im Jahr 2000 noch dreizehn Jahre geschenkt wurden, in denen er uns noch so viel Musik gegeben hat, die uns bleiben wird. Dafür muss man eigentlich dankbar sein." (c) APA (HELMUT FOHRINGER)
Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) würdigte den verstorbenen Claudio Abbado heute als einen der "bedeutendsten Dirigenten der Gegenwart, der es wie kaum jemand anderer verstanden hat, einen unvergleichlichen Klang zu erzeugen". Durch seine enge Verbundenheit mit Wien und Salzburg werde er "auch für Österreich unvergesslich bleiben". (c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
"Maestro Abbado zählte zu den führenden Dirigentenpersönlichkeiten unserer Zeit", so Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). "Obwohl musikalisch auf der ganzen Welt zu Hause, hatte er eine besonders starke Bindung zu Wien, ob als Student, als Musikdirektor der Wiener Staatsoper oder als Generalmusikdirektor der Bundeshauptstadt Wien - ein Titel, der eigens für ihn geschaffen wurde." Neben seinem unermüdlichen Einsatz für die Jugend habe Abbado "viele Grenzen überschritten und neue Brücken geschlagen. Sein Einsatz - vor allem auch für die Neue Musik - hat das Musikleben in Wien nachhaltig geprägt und das Wiener Publikum viele Jahrzehnte begeistert". (c) DRie Presse (Michaela Bruckberger)
Mit Abbado ist eine "der ganz großen, ganz wichtigen Persönlichkeiten für diese Stadt" gestorben, betont auch Konzerthaus-Direktor Matthias Naske. "Er hat unendlich viel für das kulturelle Leben gemacht und uns in unserer Entwicklung sehr geholfen, Altem und Neuem mit gleichem Mut und gleicher Leichtheit in der Rezeption entgegenzusehen." Als "wichtigen Wegbereiter", aber auch als "ganz wunderbaren Menschen" wird Naske, den mit Abbado seit der gemeinsamen Zeit beim Gustav Mahler Jugendorchester eine "langjährige Freundschaft" verband, den Dirigenten in Erinnerung behalten. "Er hat einerseits unglaublich viel bewegt und über seinen Charme die Menschen für seine Sache gewonnen - aber andererseits immer der Sache gedient. Er war immer auf der Suche nach einer musikalischen Wahrheit - die ihn auch so stark und so faszinierend gemacht hat." (c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
Zu den ersten Kondolenzschreiben, die die Familie Abbado erhielt, zählt jenes von Italiens Premier Enrico Letta. "Mit seinem Talent, seiner Hingabe und den außerordentlichen Resultaten, die Abbado im Laufe seiner langen Karriere auf nationaler und internationaler Ebene errungen hat, war er ein Bezugspunkt für ganz Italien und weit darüber hinaus. Die Welt der Musik und der Kultur verliert einen absoluten Protagonisten. Uns bleiben sein Zeugnis und Beispiel, ein Beispiel vor allem für die jungen Leute, für die sich Claudio Abbado so sehr eingesetzt hat“, schrieb Letta. (c) imago/Insidefoto (imago stock&people)
Italiens Präsident Giorgio Napolitano hob die Willensstärke hervor, mit der Abbado die Krebskrankheit bekämpft habe, an der er schon seit Jahren litt. Abbado habe in Europa und in der ganzen Welt die große Musiktradition Italiens geehrt und mit seiner tiefen Sensibilität neue Wege für eine reichere Entwicklung in den Beziehungen zwischen Kultur und Gesellschaft beschritten, kommentierte der italienische Präsident. (c) REUTERS (HANDOUT)
Um Abbado trauert auch sein Kollege Riccardo Muti. "Abbado ist ein großartiger Musiker, der jahrzehntelang die Geschichte der Orchesterleitung in den internationalen Institutionen geprägt hat. Er war ein großartiger Zeuge der wahren italienischen und europäischen Kultur in der Welt. Er hat mit Mut gegen eine lange und schreckliche Krankheit gekämpft und dabei die Strenge und Ernsthaftigkeit bewiesen, die sein Leben als Musiker und Dirigent gekennzeichnet haben", kommentierte Muti. (c) APA/EPA/Angel Medina G. (Angel Medina G.)
"Ich war Abbados Assistent und habe ihn zuerst als Lehrer und dann als Freund für den Rest meines Lebens erlebt. Abbado hat das Beste unserer Musiktradition im Ausland vertreten. Seit heute ist Italien ärmer", kommentierte der Dirigent Riccardo Chailly. Der 60-jährige Mailänder wird ab 1. Jänner 2015 den israelisch-argentinischen Kollegen Daniel Barenboim als Musikdirektor ersetzen. (c) EPA (JAN�WOITAS)
Betroffen zeigte sich auch der britische Stardirigent italienischer Abstammung, Antonio Pappano. "Abbado war für Italien und die Welt ein einmaliger und visionärer Geist. Er war von jedem Standpunkt aus betrachtet ein Gigant. Er war wie ein König Midas. Alles, womit er sich beschäftigte, strahlte mit einem kraftvollen Licht", so Pappano. (c) REUTERS (� POOL New / Reuters)
Tiefe Bestürzung löste Abbados Tod im Mozart-Orchester aus, das der Stardirigent 2004 zur Förderung junger Talente gegründet hatte. "Bis Donnerstag hatte Abbado noch eine Schumann-Symphonie einstudiert. Er dirigierte mit 80 Jahren wie mit 18. Er hatte ein Orchester mit jungen Menschen gebildet, die für die Musik lebten. Er war einer der wenigen Dirigenten, der die Musik aus den Fesseln der Erde befreien konnte", kommentierte Massimo Biscardi, Kunstdirektor des Mozart-Orchesters. (c) APA/EPA/JAVIER DEL REAL (JAVIER DEL REAL)
Dirigenten-Kollege Christian Thielemann ist "tief traurig". Viele Aufführungen unter Abbados Leitung seien ihm in "unvergesslicher Erinnerung. Ich habe es immer bewundert, wie es ihm gelang, in seinen Interpretationen Emotion und Intellekt miteinander zu verbinden." Für Thielemann war Abbado "ein außergewöhnlicher Opern- und Konzertdirigent und zugleich ein ungemein sympathischer und bescheidener Kollege. Sein Tod ist ein großer Verlust für die Musikwelt." Auch Osterfestspiel-Intendant Peter Alward betont, dass die klassische Musikwelt "einen ihrer größten Interpreten" verloren habe. "Diejenigen, die das Glück hatten, mit ihm arbeiten zu dürfen, konnten nicht umhin, von den höchsten Maßstäben, die er an sich und andere anlegte, sowie von seinem Charisma nachhaltig positiv beeinflusst zu werden. Es ist ein Glücksfall, dass so vieles von seiner Arbeit für die Nachwelt bewahrt werden konnte, zum großen Vorteil künftiger Generationen." (c) REUTERS (� Tony Gentile / Reuters)
Daniel Barenboim würdigte Abbado als "Pionier". Abbado habe eine enge Beziehung mit dem Geist der Musik gehabt, über die Grenzen der musikalischen Genres hinweg, erklärte der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper. "Ich kannte Claudio Abbado seit Anfang der 50er Jahre. 1956 absolvierten wir gemeinsam einen Dirigierkurs in Siena und seitdem verband uns eine lange musikalische und menschliche Freundschaft", sagte Barenboim. Er hob Abbados Einsatz für die zeitgenössische Musik sowie die Gründung zahlreicher Jugendorchester hervor. "In dieser Hinsicht war er ein Pionier, der während seiner gesamten Karriere mit jungen Musikern arbeitete, sie forderte und förderte", sagte Barenboim. (c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
Scala-Intendant Stephane Lissner zeigte sich tief betrübt. "Abbado hat uns verlassen, doch in Wahrheit stimmt das nicht. Er wird immer in diesem Theater sein. Die Erinnerung an sein Konzert vom 30. Oktober 2012 liegt immer noch in der Luft. Die Zeichen seiner 18 Jahre hier sind noch sichtbar", so Lissner. In 18 Jahren an der Scala habe Abbado 362 Opern, 216 Konzerte und sechs Ballette dirigiert, in seiner Karriere habe er Musiker und Regisseure mit Liebe fürs Risiko gewählt. "Mit Loyalität hat der mit ihnen Beschlüsse und Erfolge geteilt", erklärte Lissner. Zu Beginn des am Montagabend stattfindenden Konzerts des Scala-Orchesters unter der Leitung der Dirigentin Susanna Malkki wurde eine Schweigeminute zu Ehren Abbados abgehalten. (c) APA (Roland Schlager)
''Unendlich schwerer Verlust''
„Ja, hatte Abbado denn die Berliner Philharmoniker überhaupt oft genug dirigiert?“, lautete die erste Frage, die Kommentatoren nach dem Coup stellten. Er hatte. Jedenfalls oft genug, um dem Orchester klargemacht zu haben, welches das wichtigste Wort war, das seine Karriere von Anbeginn begleitet hatte: Erfolg. Was immer dieser Mann angriff, die Rezensenten wie das Publikum reagierten mit Begeisterung – sogar dort, wo Kassandrarufe das geradezu notwendige Scheitern hervorzurufen geneigt waren.
Davon kann man gerade hierzulande ein Lied singen, denn Unternehmungen wie die Gründung des Festivals Wien modern galten traditionsgemäß als Rohrkrepierer. Was sollte dabei schon herauskommen, wenn sich Musiker – seien es auch Spitzenkräfte – wochenlang versammelten, um ausschließlich zeitgenössische Musik aufzuführen?
Ein Vierteljahrhundert später ist die Konzertreihe aus dem heimischen Musikleben kaum mehr wegzudenken. Man ist daran gewöhnt, sich während der Saison auch mit Neuem auseinanderzusetzen. Das hat, wie man mittlerweile weiß, auch weitreichende Folgen für die Programmgestaltung im Wiener Musikleben jenseits der „modernen“ Wochen gehabt.
Nicht, dass es zuvor nicht zahllose Initiativen für die Klangavantgarde gegeben hätte. Doch erst Abbados Engagement verhalf dem guten Vorsatz zum adäquaten Ergebnis.
Das war stets das Geheimnis um diesen Mann: Mitarbeiter berichten von geradezu aussichtslosen Anordnungen des Musikdirektors der Staatsoper. Die von Abbado gewünschte Besetzung war nicht zu realisieren, weil Sänger X hier, Sängerin Y da schon unter Vertrag standen. Die Aufführung nahte, hier und da wurde umbesetzt, in Wien sangen unter Abbado X und Y Verdi oder Mozart, Mussorgsky, Debussy und immer wieder Rossini.
Wie er das schaffte, war so unklar wie die Antwort auf die Frage, warum das Publikum auch bei unpopulären Repertoire-Entscheidungen stets mit Sympathie reagierte. In diesem Sinn gelang es dem Leiter der Berliner Philharmoniker, an eine programmatische Leitidee seines Vorgängers, Karajan, anzuschließen, der in den Sechziger- und frühen Siebzigerjahren ganz konsequent Werke der musikalischen Moderne und von Zeitgenossen einbaute. Abbado setzte die durch Karajans Krankheit unterbrochene Linie fort und legte damit den Grundstein für die Arbeit seines eigenen Nachfolgers, Simon Rattle. Drei Jahrzehnte nach Karajans Tod steht der Name Berliner Philharmoniker für ein völlig anderes Konzept der Musikvermittlung. Es wäre ohne Abbado undenkbar.
Abbados Wirkung auf die folgende Dirigentengeneration war eminent. Man bewunderte vor allem auch die rückhaltlose Hingabe der Orchestermusiker. Rattle schwärmte gesprächsweise einmal, die Wiener Philharmoniker nie so schön spielen gehört zu haben wie anlässlich der Aufführung von Bruckners Vierter unter Abbado. Kirill Petrenko weiß Ähnliches über eine Aufführung der Vierten Mahler mit dem Luzerner Festspielorchester zu berichten.
Tatsächlich, das war Abbados anderes Mysterium, gelang es ihm am Abend, inspirative Kräfte zu mobilisieren, die selbst Eingeweihte während der Proben nicht annähernd geahnt hätten. Diese Spontaneität wollte Abbado dann eben nicht nur Brahms oder Beethoven im Konzert, Rossini oder Verdi im Opernhaus widmen. Er wollte sie auch den Zeitgenossen zugutekommen lassen.
Im Dienste der musizierenden Jugend
So schrieb er nicht nur als kongenialer Interpret von Belcanto-Musikdramen Geschichte, sondern auch mit Aktionen, die er nicht selten an der Seite des auch politisch ähnlich engagierten Pianisten und Freundes Maurizio Pollini unternahm: Man musizierte Mozart, aber auch Luigi Nono. Das sicherte übrigens auch Zuwendung der Journalistik über die Feuilletonseiten hinaus.
Es waren keineswegs nur die Jahre an der Staatsoper, vielmehr auch die nie erlahmende Lust an Gründungen von Jugendorchestern, die Wiens Bürgermeister Zilk dazu bewogen, Claudio Abbado den Titel eines Wiener Generalmusikdirektors zu verleihen. Gerade das in den Achtzigerjahren, noch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs gewagte Experiment mit dem Gustav Mahler Orchester, das Jugendliche aus allen Teilen der ehemaligen Habsburger-Monarchie vereinigte, erwies sich als dauerhaft – musikalisch hatte man damals schon demonstriert, dass Grenzen so festzementiert, wie sie scheinen, nicht sein müssen.
Daten und Fakten
In Mailand kam der Sohn eines Geigers und einer Klavierlehrerin am 26. Juni 1933 zur Welt. In der legendären Wiener Klasse von Hans Swarowsky holte er sich nach den Studien in Mailand den letzten Schliff als Dirigent. Die erste Opernaufführung Abbados galt Prokofieffs „Liebe zu den drei Orangen“ in Triest. Leitende Positionen bekleidete Abbado als Chefdirigent der Mailänder Scala (1971–1986), des London Symphony Orchestra (1979–1987), der Wiener Staatsoper (1986–1992), der Berliner Philharmoniker (1989–2002), der Salzburger Osterfestspiele (1994–2002). Er gründete u. a. das Gustav Mahler Jugendorchester und das Orchestra Mozart und half beim Wiederaufbau des Lucerne Festival Orchestra. Außerdem war er Gründervater des Festivals Wien modern.