Samoa: Ein Land streicht einen Tag

(c) AP (Alastair Grant)
  • Drucken

Die kleine Republik Samoa im Südpazifik lässt den 30. Dezember ausfallen, um künftig in einer neuen Zeitzone zu existieren. Man erwartet sich wirtschaftliche Vorteile. In Samoa leben etwa 200.000 Menschen.

Apia/Wien/Dpa/Wg. Der Südseeinselstaat Samoa springt diese Woche sozusagen in die Zukunft: Die Inselgruppe nordöstlich von Fidschi, auf der rund 200.000 Menschen zwischen Palmen und kitschweißen Sandstränden leben, hat den 30.Dezember einfach aus ihrem Kalender gestrichen – und geht am Donnerstag, den 29.Dezember um 24 Uhr, unmittelbar auf Samstag, den 31.Dezember über.

Genauer gesagt geschieht das, indem das Land südlich des Äquators, das aus zwei größeren und acht kleineren Inseln mit einer Gesamtfläche von gut 2900 Quadratkilometern (etwas größer als Vorarlberg) besteht, von der östlichen auf die westliche Seite der internationalen Datumsgrenze wechselt. Diese wird einfach neu gezogen (Karte). Womit sich Samoa auch in die Lage versetzt, als einer der ersten Staaten Neujahr zu begrüßen: Ist es in Österreich am Silvestertag elf Uhr vormittags, rasen auf Samoa, 15.000 Kilometer entfernt, schon die Raketen in die schwüle Luft. Bisher war das umgekehrt: Da war Samoa einer der letzten Orte, wo ein Kalendertag auf Erden endete. Künftig liegt Samoa in der Zeitzone UTC plus13 Stunden.

Die Sache mit der Datumsgrenze

An dem Ganzen ist die Datumsgrenze schuld. Das ist eine Linie, die zwischen den Polen großteils entlang des 180. Längengrades im Pazifik verläuft. Sie scheidet Kalendertage voneinander, und zwar um 24 Stunden: Quert man die Linie per Schiff oder Flugzeug von Ost nach West, muss man 24 Stunden zur geltenden Zeit addieren, quert man von West nach Ost, zieht man 24 Stunden ab. Ist es also gleich westlich der Datumslinie, etwa auf Tonga, zum Beispiel Mittwoch, neun Uhr früh, ist es auf Samoa, jetzt noch gleich im Osten der Linie, zwar ebenfalls neun in der Früh – aber es ist erst Dienstag.

Grund sind die Eigenarten von Erdrotation und Zeitzonen. Zuerst spürten die Teilnehmer der Weltumseglung von Ferdinand Magellan das Problem: Als sie 1522 nach drei Jahren Fahrt von Osten und um Afrika wieder Spanien erreichten, sahen sie, dass man hier einen Tag vorn lag; sie hatten laut Logbuch einen Tag „verloren“ und fürchteten nun um ihre Seelen, da sie glaubten, christliche Feiertage verpasst zu haben.

Der Astronom Nikolaus Kopernikus löste das Rätsel: Wer gen Westen die Erde einmal umrundet und in jeder Zeitzone die Uhr zurückdreht, verliert subjektiv einen Tag. Bei Ostumkreisungen gewinnt er einen. Beides ergibt keinen Sinn und verwirrt Handel und Verkehr, also wurde 1884 bei der „Meridian-Konferenz“ in Washington eine Linie bestimmt, bei deren Querung sich das Datum je nach Richtung um einen ausgleichenden Tag verschiebt. Und weil der Pazifik so leer ist, zog man hier die Linie.

Der Sprung über die Datumsgrenze hat für Samoa, von 1900 bis 1914 deutsche Kolonie, gute Gründe. „Der Wechsel der Zeitzone macht unsere Geschäftskontakte nach Neuseeland, Australien und Asien einfacher“, sagt Premierminister Tuilaepa Sailele Malielegaoi.

Australien wichtiger als die USA

Samoa ist nämlich schon einmal in die andere, östliche Richtung gesprungen: 1892, im Glauben, „zeitliche Nähe“ zur aufkommenden Pazifikmacht USA zahle sich aus. Jetzt aber laufen die Wirtschaftsströme in anderer Richtung, Asien, Australien und Neuseeland liegen westlich der Datumsgrenze und sind Hauptgeschäftspartner Samoas. Bisher war der Freitag in Samoa aber Samstag in Neuseeland/Australien, der dortige Montag war noch Samoa-Sonntag. Ab 31.Dezember haben jetzt alle diese Länder denselben Wochentag.

„Klar sind die Leute aufgeregt“, sagt Regierungssprecher Uale Papalii in Samoas Hauptstadt Apia. „Ich selbst bin entspannt, man muss ja nur den Kalender umstellen.“ Im Gebetshaus der Regierung gibt es am Donnerstag, den 29. Dezember um Mitternacht (11h MEZ) eine Zeremonie. Dann kommt der große Sprung nach vorn. Die Post feiert das mit Sondermarken.

(c) DiePresse

Bis 1995 war die Datumsgrenze sogar durch den nahen Inselstaat Kiribati, der sich in Ost-West-Richtung über 5000 Kilometer erstreckt, gelaufen. Dann verordnete die Regierung ihrem Land einheitliche „westliche Zeit“ und sorgte für eine von mehreren Ausbuchtungen der Datumsgrenze. Samoa und die Tokelau-Inseln bilden eine andere Anomalie. „Bisher waren wir die, die den letzten Sonnenuntergang des Jahres erlebten, nun gehören wir zu jenen, die den ersten Sonnenaufgang erleben“, sagt Samoas Regierungssprecher Papalii.

Die Sorgen der Bäckerin

Nur die 775 Menschen, die laut Samoas Behörden an einem 30. Dezember geboren wurden, sind nicht begeistert, sagt der gebürtige Deutsche Roland Kubik (73), der seit Jahren hier lebt; immerhin fallen sie um einen Geburtstag um. „Und eine Bekannte mit einer Bäckerei ärgert sich, dass diese Arbeitswoche vier Tage hat, sie ihre Angestellte aber voll bezahlen muss.“ Auch die Freikirchler der „Siebenten-Tags-Adventisten“ sind böse. „Gott wird nicht akzeptieren, dass wir einen Tag aus dem Kalender streichen“, schrieb Kirchenvertreterin Noeline Cutts an die Zeitung „Samoa Observer“. „Wir beten weiter am siebten Tag der Woche.“

Kolonie Tokelau will folgen

Die neuseeländische Kolonie Tokelau 500 Kilometer weiter nördlich (1500 Einwohner) will Samoa in die neue Zeit folgen. „Es ist unser Tor zur Welt“, sagt der Personalleiter des Regierungsbüros von Tokelau in Samoas Hauptstadt Apia, Kele Lui. „Wir müssen dasselbe Datum haben.“ Tokelau hat keinen Flughafen, von Samoa dauert die Schiffsfahrt 26 Stunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.