Eiskunstlauf: Pirouette aus der Sinnkrise

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Kanada gilt als die Heimat des Eiskunstlaufs, von dieser Begeisterung will Viktor Pfeifer profitieren und einen Platz im Mittelfeld beziehen. Im Mittelpunkt steht mit dem Russen Jewgeni Pluschenko ein anderer.

VANCOUVER. „Manchmal hat man das Gefühl, dass man nicht mehr atmen kann, die Muskeln zucken nur noch.“ Wenn der Eiskunstläufer Viktor Pfeifer von seinem harten Training erzählt, findet er zwar drastische Worte, doch sie klingen, könnte man fast sagen, als wäre ihm das durchaus angenehm. „Alles aus sich herauszuholen, ist zwar verdammt anstrengend und oft auch schmerzhaft, aber es schafft auch große Befriedigung“, sagt der 22-jährige Vorarlberger mit Wohnsitz in den USA. Nun ist er in Vancouver, um bei den Winterspielen alles herauszuholen.

„Wenn ich meine Leistung bringe, ist ein Platz im Mittelfeld realistisch“, sagt er. Mittelfeld im Eiskunstlauf, das ist ein Platz zwischen 12 und 24. Bei den Europameisterschaften vor wenigen Wochen ist er 17. geworden. „Aber da habe ich Fehler gemacht. Da wäre mehr drinnen gewesen“, meint er. „Vielleicht sogar ein Platz unter den besten zehn.“

Trotz seiner 22 Jahre sind es seine zweiten Spiele. Und er hat bereits Tiefschläge hinter sich, die für mehr als eine Karriere reichen würden. Vor zwei Jahren war der sensible Student in ein Loch gefallen. Zuerst in ein sportliches, dann auch ein psychisches. Und lange Zeit schien es, als würde er da gar nicht mehr rauskommen. „Ich war finanziell und persönlich am Ende“, gibt er unumwunden zu, während er den Paaren beim Training zusieht. Hier im Trout Lake Centre hat er soeben sein Training absolviert. 40 Minuten auf dem Eis. Dann Dehnungsübungen. Pfeifer wirkt zufrieden.

Verunsichert in Amerika

Als Neunjähriger hat er mit dem Eislaufen begonnen und schnell wurde daraus Eiskunstlaufen. Mit 15 war Pfeifer österreichischer Meister. Mit 18 war er Österreichs jüngster Teilnehmer bei den Spielen in Turin. Mit 19 war er am Ende. Er war zu Uschi Keszler in die USA gegangen. Die berühmte Trainerin sollte ihn an die Weltspitze führen. Doch es klappte nicht. Die neuen Trainingsmethoden führten nur zur Verunsicherung.

Irgendwann hatte Pfeifer aufgehört, er tat nichts mehr. Verlor das Stipendium, die Wohnung. „Ich bin bei einem Freund untergekommen“, erzählt er. Aufs Eis ging Pfeifer nur noch, wenn er Privatstunden gab. So hielt er sich mit Ach und Krach über Wasser.

„Natürlich hätte ich jederzeit zurück nach Österreich gehen können“, sagt er. Doch er sagt es in einem Ton, der keinen Zweifel zulässt: Eher wäre er in den USA verreckt als heimzukehren und einzugestehen, dass er zum Eiskunstlauf doch nicht taugt.

Im Dezember 2008 traf er Priscilla Hill. „Ich habe kein Geld, ich habe seit Langem nicht mehr trainiert, aber ich will es noch einmal versuchen“, hat er der Trainerin gesagt. Sie hat es versucht. Mit einem Athleten, der selbst das Trainieren neu lernen musste. Der lernen musste, wieder Vertrauen in sich selbst zu haben.

Hoffnungsfroh in Kanada

„Die Spitze war noch nie so dicht und breit wie hier“, sagt er und schaut wieder auf das Eis. Am Dienstag beginnt der Wettkampf und Pfeifer meint, dass sechs oder sieben Läufer Gold erringen können. Natürlich sind die Augen auf den großen Jewgeni Pluschenko gerichtet. Der 27-Jährige hatte nach seinem Sieg in Turin eine künstlerische Pause eingelegt, musste sich mehreren Knieoperationen unterziehen und kam erst Ende des vergangenen Jahres zurück. Und wie: Bei der EM in Tallinn Ende Jänner wurde er zum sechsten Mal Europameister.

Auch Pfeifer kehrte zurück. Im Vorjahr absolvierte er wieder Wettkämpfe. „Es war schlimm“, erinnert er sich an miserable Sprünge zurück. Doch es ging stetig bergauf. Im September erbrachte er in Oberstdorf das Olympialimit.

In Vancouver strahlt er vor Selbstvertrauen. „Hier ist so eine Begeisterung, das steckt an“, meint er. So mancher Kanadier ist bereit, für das Eiskunstlaufticket 5000 Dollar oder sogar mehr hinzublättern. Hier ist der Eiskunstlauf zu Hause. Und bei den ersten Trainings hatte Pfeifer sogar Probleme mit dem Eis, weil es zu perfekt war. Am Dienstag beim Kurzprogramm will er „den Moment wieder genießen können“. Freilich sei das nicht ein Genießen im herkömmlichen Sinn. Bei Olympia genießt Pfeifer auch das Gefühl, nicht mehr atmen zu können . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2010)

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