Atommüll in Seibersdorf: Ein Provisorium

Atommuell Seibersdorf Provisorium
Atommuell Seibersdorf Provisorium(c) Norbert Rief
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In Seibersdorf wird "provisorisch" Österreichs Atommüll zwischengelagert. Mittlerweile schon so lange, dass viel davon nicht mehr radioaktiv ist. In 18 Jahren soll es ein Endlager geben. Irgendwo in Österreich.

Seibersdorf, der Bürgermeister möge es verzeihen, ist keine bemerkenswerte Stadt. Der Hauptplatz besteht aus einer Kirche, dem Gasthaus Hirschbeck und einem aufgelassenen Lebensmittelgeschäft. Nichts würde die 1400-Einwohner-Gemeinde von irgendeinem anderen der vielen Straßendörfer in Niederösterreich unterscheiden, wäre da nicht eine Sache: „Ja“, erklärt ein älterer Herr auf dem Hauptplatz, „Österreichs Atommüll liegt bei uns“. Irgendwo in der Stimme glaubt man, ein klein wenig Stolz zu hören.

Seit 1974 wird schwach- und mittelradioaktiver Abfall (keine Brennstäbe) im früheren „Österreichischen Forschungszentrum Seibersdorf“, das jetzt modern „Austrian Institute of Technology“ heißt, gesammelt, verarbeitet und auch gelagert. Nicht ganz freiwillig: Vor 20 Jahren stand man schon einmal knapp davor, ein Endlager für die radioaktiven Abfälle zu finden. Doch dann scheute die Politik, und seither ist die Zwischenlagerung eine Dauerlösung geworden.


Frist bis 2030. „Unsere hoch aktive Regierung arbeitet sicher mit Nachdruck an der Lösung des Problems“, sagt Seibersdorfs Bürgermeister Franz Ehrenhofer, und wer es nicht geahnt hat: Das ist sarkastisch gemeint. 38 Jahre lang habe man das Provisorium ertragen, jetzt hat die Gemeinde dem Bund noch einmal eine Frist von 18 Jahren gesetzt. „Bis 2030 muss eine Lösung gefunden sein, dann muss der radioaktive Abfall weg aus unserer Gemeinde.“

Dann beginnt vielleicht auch in Österreich das große Rittern um ein Endlager, wie in Spanien. Dort feierten vor einigen Tagen die 500 Einwohner von Villar de Cañas ein großes Fest, weil ihr Dorf als Standort für ein Atommüllendlager ausgesucht wurde. „Das ist wie ein Lottogewinn“, jubelte Bürgermeister José Maria Saiz. Mit dem Atommüll kämen nämlich Investitionen, Arbeitsplätze und Ausgleichszahlungen. „Das ist die Rettung für unseren Ort.“

Auch Seibersdorf lebt nicht schlecht von den Abfällen, die ein paar Kilometer außerhalb der Gemeinde vor sich hin strahlen. Seit 1992 erhielt die Gemeinde jedes Jahr 372.000 Euro Entschädigung, wie viel es bis 2030 sind, will weder der Bürgermeister noch das politisch zuständige Lebensministerium sagen. Bei einem Jahresbudget von 5,2 Millionen Euro sind die Zahlungen aber sicher nicht zu unterschätzen. Vor allem, weil der Bund beim AIT ordentlich gespart hat: 2008 nahm die Gemeinde vom Forschungszentrum noch 639.000 Euro an Kommunalsteuer ein, einige Umstrukturierungen später sind es im Budget 2012 nur noch 150.000 Euro.

„Das Geld von den Atommüllzahlungen wollen sicher alle haben“, meint Ehrenhofer, „aber den Müll will niemand nehmen“. Wie 1992, als das Forschungszentrum bereits vier Gemeinden in Österreich gefunden hatte, die nach geologischen Gesichtspunkten für eine Endlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen geeignet waren: Bosruck-Süd (Steiermark), Gößgraben (Kärnten), Perweis und Sitzenberg-Gutenbrunn (beide Niederösterreich).

Nach einem Aufschrei der betroffenen Gemeinden und Länder, und weil gerade Präsidentschaftswahlkampf war, stoppte der damalige Wissenschaftsminister Erhard Busek die weitere Suche. Auch der engagierte Peter Krejsa, der damals die Nuklearabteilung des Forschungszentrums leitete, konnte die Sache trotz kreativer Ideen (angedacht war etwa eine Lagerstätte gestaltet vom Künstler Anton Lehmden) nicht mehr in Gang bringen.

Am Ende beschloss die Regierung eine „provisorische Lagerung“ der Atommüllfässer in Seibersdorf bis 2012. Damit habe man genug Zeit (20 Jahre!), Überzeugungsarbeit zu leisten und ein Endlager zu finden. Vor einigen Jahren gab man sich mit einem neuen Vertrag noch einmal Zeit bis 2030...

„Es ist recht unspektakulär“, warnt Günter Hillebrand, Chef des „Nuclear Engineering Seibersdorf“ (NES), das Österreichs Atommüll verarbeitet. In einer großen Lagerhalle steht Fass an Fass. 11.200 Stück sind es insgesamt, aufgeteilt auf drei Lagerhallen. Vornehmlich gelbe, einige silberne, ein paar blaue. Das ist Österreichs Atomabfall. „80 bis 90 Prozent sind extrem niedrig aktiv“, erklärt Roman Beyerknecht, der die Aufarbeitung leitet, und gibt dem Laien ein recht anschauliches Bild: „Ich kann 20 Jahre auf einem Fass sitzen, und es ist nicht gefährlich.“

Der Atommüll kommt hauptsächlich aus der Medizin (unter anderem von der Strahlentherapie), vom Forschungszentrum selbst und der Industrie. Die Verursacher zahlen recht ordentlich für den strahlenden Abfall: Ein Kilogramm Müll endlagerfertig zu machen, kostet zwischen 56 und 1054 Euro. Dazu kommen 11.000 Euro pro Fass an den Bund als Vorauszahlung für den Bau des Endlagers. Man kann davon ausgehen, dass der Finanzminister die bisher abgelieferten 18 Millionen Euro nicht für ein Endlager-Konto beiseitegelegt, sondern bereits für Pensionszuschüsse ausgegeben hat.


Endlager in Deutschland? „2030 brauchen wir auf jeden Fall ein Endlager, weil dann unsere Lagerkapazitäten erschöpft sind“, sagt Hillebrand, und auch der Bürgermeister meint, dass es der Bevölkerung bald reicht. Früher hätten noch mehr Einheimische im AIT gearbeitet, da sei auch das Verständnis größer gewesen. Mittlerweile wurde Personal abgebaut. Und die Ablehnung steht indirekt proportional zur Zahl der Beschäftigten: Je weniger einheimische Familien vom AIT profitieren, umso größer wird der Widerstand. Möglicherweise bildet sich sogar irgendwann eine Bürgerinitiative gegen das Atommüll-Zwischenlager.

In 18 Jahren soll es also tatsächlich ein Endlager geben. Irgendwo in Österreich. Oder man hofft bis dahin auf die Nachbarstaaten: In Deutschland soll beispielsweise bis 2018 ein Endlager nahe Hannover fertiggestellt sein. Möglicherweise nimmt auch Villar de Cañas gegen entsprechende Bezahlung ein paar Fässer aus Österreich.

Einen Vorteil hat das lange Provisorium jedenfalls: Einige Fässer mit schwach radioaktivem Abfall sind mittlerweile schon derart lange im Zwischenlager, dass die Strahlung weitestgehend abgeklungen ist. Sie können jetzt als normaler Abfall entsorgt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2012)

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