Pop

"Rock'n'Roll Heart": Lou Reed ist tot

Lou Reed ist tot
Lou Reed ist totREUTERS
  • Drucken

Nachruf. Der Gründer von Velvet Underground, der New Yorker, der das Spektrum der Rockmusik um viele düstere Farben erweiterte, ist 71-jährig gestorben. Er hinterlässt Klassiker von „Sweet Jane" bis „Walk On The Wild Side"

"Your Rock'n'Roll servant", so hatte sich Lou Reed bei seinem letzten Österreich-Auftritt, im Juli 2012 in Wiesen, vorgestellt, nach einem wilden Auftritt, bei dem er noch einmal alle Magie und Bitternis, alle Verzweiflung und Ekstase beschworen hatte, zu denen er fähig war, so lange sein „Rock'n'Roll Heart" in ihm schlug. Jetzt schlägt es nicht mehr, berichtet der „Rolling Stone": Lou Reed, der sich im Mai einer Lebertransplantation unterzogen hatte, ist 71-jährig gestorben.

Dem Rock'n'Roll hat er 1970 einen der besten Songs dieses Titels gewidmet: „Her life was saved by Rock'n'Roll", heißt es darin, und damit meinte er wohl auch sich selbst. Und er meinte damit Rebellion. Geboren in eine konservative jüdische Familie in Brooklyn, wurde er als Jugendlicher wegen Aufsässigkeit und homoerotischen Fantasien psychiatriert und mit Elektroschocks therapiert.
Er floh in die Musik, studierte Englisch (mit Abschluss!), gründete gemeinsam mit John Cale zunächst „The Primitives" und dann, 1965, eine der einflussreichsten Bands aller Zeiten: die von Andy Warhol geförderten Velvet Underground, über die es zurecht heißt, dass sie damals kaum 10.000 Menschen kannten, aber die haben alle später selbst eine Band gegründet . . .

„Heroin", aber auch „Pale Blue Eyes"

Velvet Underground passten in die Hippieseligkeit dieser Tage wie grelles weißes Licht auf eine pastellfarbene Tapete, wie ein Lederkostüm auf einem Haufen mit Patchouli getränkter Batikkleider. Schon das erste Album - mit Warhols berühmter Banane auf dem Cover - definierte, in welche abseitigen Gefilde Lou Reed, der alle Texte schrieb, das Spektrum des Rock'n'Roll zu erweitern aus war: In „Heroin" ging's um die tödlichen Verlockungen der Droge, in „Waiting For The Man" um einen Dealer, in „Venus In Furs" um Sadomasochismus, in „All Tomorrow's Parties" um die Langeweile, aus der es keine Entkommen gibt. Dazu passten elektrische Gitarren, deren Feedback kein Entrinnen ließ. Und natürlich die verstörende Bratsche von John Cale und das monotone Schlagzeug von Maureen Tucker.

Doch Reed schrieb für Velvet Underground auch Songs von tiefer Zärtlichkeit: „Pale Blue Eyes" etwa, diese Hymne auf die Treue in der Untreue, das in Hoffnung glühende „Beginning To See The Light", das jenseitige „Jesus" oder „Sweet Jane", wo er der Behauptung „Life is just to die" die Faszination der Liebe entgegenstellt. Ähnlich innig war „Perfect Day" auf seinem zweiten Soloalbum „Transformer" (1972), auf dem sich auch die ultimative Beschwörung des wilden Lebens findet: „Walk On The Wild Side", voller Anspielungen auf die suburbane Szene von New York.

Urbane Wüste: „New York"

Dieser Stadt, die er liebte und hasste, widmete er, der sich einen „NYC Man" nannte, auch sein vielleicht packendstes Soloalbum: „New York" (1989) zeichnet eine urbane Wüste, aus der es für die Ausgestoßenen kein Entkommen gibt („The bias of the father runs on through the son"), in der man nur noch - wie der Pedro in „Dirty Blvd." - vom Davonfliegen träumen kann. Ganz am Ende hört sogar die „Dime Store Mystery" auf.

Noch bitterer war das Folgealbum „Magic And Loss", in dem er den frühen Tod naher Freunde aufarbeitete. „There's a bit of magic in everything, and then some loss to even things out", heißt es im Titelsong, und das sagt schon: So pessimistisch Lou Reed war, der Zynismus war sein Feind. Er bekämpfte ihn auch mit der Macht des Lärms, den er seiner verzerrten Gitarre entlockte. Und mit dem Lärm an sich - auf seinem ärgsten Album, dem bis heute schockierenden „Metal Machine Music" (1975). Ein Jahr vor diesem war „Rock'n'Roll Animal" erschienen, die Live-LP, auf der er dem Glitter-Rock dieser Tage am nächsten war. Früh hat Lou Reed auch die düsteren Reize der Mauerstadt entdeckt: Das Album „Berlin" (1973) führte in eine Metropole der Dekadenz, wo die durchs Amphetamin seelisch vereiste Caroline mit der Hand durchs Fenster stoßen muss, um sich selbst zu spüren.

Lou Reed selbst hat keine Drogen ausgelassen, und wenn er „The Power Of Positive Drinking" besang (mit Zeilen wie „Some say liquor kills the cells in your head, and for that matter so does getting out of bed"), war das traurige Selbstironie eines Mannes, der verstand, dass und wie er sich selbst zerstörte.

Vor drei Jahren bei der Viennale

Klein, hager und verhutzelt, gehüllt in eine ledrige, speckige Jeansjacke, sah man ihn vor drei Jahren bei der Viennale: Er präsentierte eine Dokumentation über seine 100-jährige Cousine, das „red sheep" der Familie, gab sich einsilbig und grantig - und strahlte dabei eine sinistre Coolness aus, die ihn unnahbar machte.
Sie hat er an Tausende Bands vererbt, die bis heute in Proberäumen und auf Bühnen versuchen, die düsteren Seiten des Lebens in so intensiven Garagen-Rock zu packen, wie es Lou Reed verstand. Sie alle werden heute zu seinem Gedächtnis noch einmal singen: „Hey babe, take a walk on the wild side. And the coloured girls go: Doo doo doo, . . ."

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Lou Reed ist tot
Pop

Rocklegende Lou Reed ist tot

Der Sänger und Gitarrist hat mit der Band Velvet Underground und solo Musikgeschichte geschrieben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.