Ersin Erçin: "Madame Plassnik blockiert die Türkei"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ersin Erçin, Kandidat der Türkei für den OSZE-Generalsekretär, im Gespräch mit der "Presse" über seine Konkurrentin Ursula Plassnik und warum die Zeit für einen türkischen Chefposten gekommen ist.

Die Presse:Ist Ihre Konkurrentin Ursula Plassnik qualifiziert für den Job des OSZE-Generalsekretärs?

Esin Erçin: Zweifellos hat sie einen exzellenten Lebenslauf, sie ist sogar überqualifiziert. Die einzige Schwäche ihrer Kandidatur: Österreich ist das Sitzland der OSZE. Wien hat wirtschaftlich und politisch enorm von der Organisation profitiert. Man erwartet daher, dass Österreich keine Kandidaten für Führungspositionen nominiert.

Ihre Nominierung wurde als erste bekannt. Warum will die Türkei den OSZE-Chef stellen?

Die Türkei ist bestrebt, eine neue Kultur des Friedens in ihrer Region und darüber hinaus zu schaffen. Wir haben mit Syrien die gegenseitige Visumpflicht aufgehoben, hoffen auf Normalisierung mit Armenien, die Zypern-Gespräche gehen weiter. Wir wollen unsere Erfahrungen teilen, Expertise anderen OSZE-Ländern zur Verfügung stellen. Man hat die Türkei schon zu lange warten lassen an der Schwelle zur EU. Die Türkei mag geografisch weiter östlich liegen, politisch aber sind wir westlich verortet. Wir wollen eine Rolle in der europäischen Sicherheitsstruktur spielen.

Der OSZE-Chefposten als Trostpflaster zur EU-Mitgliedschaft Ihres Landes?

Nein. Aber die Türkei ist frustriert, weil wir seit 1965 warten. Als Kandidat für den OSZE-Chefposten war ich der erste Anwärter – bereits vor neun Monaten. Dann kam im letzten Moment Madame Plassnik. Sie ist in der Türkei bekannt als Person, die die türkische EU-Integration blockiert. Jetzt versucht sie, den türkischen Kandidaten in einer anderen europäischen Organisation zu blockieren, in der die Türkei ein Gründungsmitglied ist. Nun gibt es einen türkischen Kandidaten gegen drei EU-Kandidaten, angeführt von Madame Plassnik. Die Führungsposition der OSZE soll offenbar nach den bisherigen vier Chefs aus EU-Ländern wieder in ein EU-Land transferiert werden. Viele der Mitgliedstaaten östlich von Wien sind befremdet. Sie haben den Eindruck, dass die EU-Staaten aus der OSZE den verlängerten Arm der Europäischen Union machen wollen.

Was genau meinen Sie damit?

Die EU-Länder denken, sie seien immun gegenüber Kritik, und sie belehren den Rest der Welt östlich von Wien über das Thema Menschenrechte. Doch Österreich ist auch nicht perfekt. Niemand ist perfekt. Wir sollten fair sein. Man benötigt Fairness, um die anderen Länder zu Veränderungen zu bewegen.

Im Falle Weißrusslands, das nach den Präsidentenwahlen die Opposition erbittert verfolgte, dürfte Fairness schwierig sein.

Die Rhetorik und der Druck sollten sanfter sein. Menschenrechtsthemen sollten im Fokus der OSZE bleiben, aber wir sollten geduldiger sein. Die OSZE sollte weiter das „Gewissen des Kontinents“ bleiben, aber wir müssen verhindern, dass wir noch mehr Einsatzorte unserer Missionen verlieren – wie es etwa in Minsk passiert ist.

Wie beurteilt die Türkei die Ereignisse in Nordafrika und im Nahen Osten?

Wir haben nicht den Anspruch, ein Modellland zu sein. Jeder Staat hat seinen eigenen Entwicklungsweg. Aber wir sind womöglich ein Quell der Inspiration für die Menschen dort. Unsere politische Führung hat sich fast umgehend auf die Seite der Bevölkerung gestellt. Wir sind da sehr konsistent.

Wie sehen Sie das Verhalten der EU?

Die EU ist immer spät dran mit ihrer Reaktion. Sie ist zu vorsichtig. So kann man keine aktive Außenpolitik machen.

Welcher Herrscher könnte als nächster fallen?

Das ist eine spekulative Frage.

Aber eine interessante.

Ich glaube nicht, dass es nur bei Libyen bleiben wird. Aber solange in anderen Ländern die alten Herrscher im Amt sind, kann ich dazu nichts sagen. Wir sollten die derzeitigen Präsidenten akzeptieren, solange ihr Volk nicht gegen sie ist.

Zur Person

Ersin Erçin begann seine Karriere als Diplomat 1982. Derzeit ist er Botschafter der Türkei in Brasilien; seit 2010 ist er Sicherheitsberater von Präsident Abdullah Gül.

Seine OSZE-Kandidatur wird von den zentralasiatischen Staaten, Kaukasus- und Balkanländern unterstützt, sowie „einigen kleineren EU-Staaten“, so Erçin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2011)

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