Türkei: Homosexualität als Todesurteil

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14 Monate nach dem "Ehrenmord" an einem 26-jährigen schwulen Türken beginnt der Prozess gegen den Vater, der auf der Flucht ist. Der Freund des Opfers hat wenig Vertrauen in die türkische Justiz.

Istanbul/Wien (ag, zoe). Der Physikstudent Ahmet Yildiz wurde im Juli 2008 vor seiner Wohnung in Istanbul erschossen. Von seinem Vater. Denn die Familie des 26-Jährigen wollte nicht akzeptieren, dass ihr erwachsener Sohn bekennender Homosexueller war. Um die Schmach zu beenden, erschoss der Vater den Sohn.

Gestern, Montag, hat an einem Gericht in Istanbul-Üsküdar der Prozess gegen den Gemüsehändler Yahya Yildiz begonnen. Der 49-Jährige wird des „Ehrenmordes“ an seinem Sohn angeklagt. Einziger Makel an dem Verfahren: Es findet ohne den Anklagten statt, der Vater hat sich abgesetzt, vermutlich in den Nordirak.

Seit sich Ahmet Yildiz, der am Tag nach seiner Ermordung die Lehramtsprüfung gehabt hätte, 2007 offen zu seiner Sexualität bekannt hatte, begannen die Anfeindungen aus seiner Familie. Für die Gemüsehändler aus Ostanatolien wäre es in Ordnung gewesen, wenn er sich heimlich mit Männern getroffen hätte und nach außen hin den Schein gewahrt hätte.

Doch der Sohn begann sich auch noch in der Homoszene in Istanbul zu engagieren. Dann ging es mit Drohanrufen los. Immer wieder standen Verwandte vor der Tür, die versuchten, ihn zu einer „Therapie“ zu überreden. Als er schließlich gar Morddrohungen bekam, erstattete der Student Anzeige, die von der Polizei aber abgeschmettert wurde.

Als die tödlichen Schüsse fielen, befand sich sein Lebensgefährte Ibrahim Can, ein 44 Jahre alter türkischstämmiger Deutscher, gerade in Yildiz' Wohnung. Can, der nach dem Mord die Türkei verließ, jetzt aber zum Prozessauftakt nach Istanbul gereist ist, glaubt nicht daran, dass der Vater seinen Lebensgefährten allein ermordete. Alles spreche dafür, dass ein weiteres Familienmitglied an der Ermordung beteiligt gewesen sei.

Er und eine Nachbarin berichten, dass zwei Autos vom Tatort flüchteten. Die Nachbarin saß während der Tat gerade in einem Café vor dem Gebäude und wurde durch einen der Schüsse verletzt.

Kultur der Scham

Homosexuelle haben in der Türkei einen schweren Stand: Erst im März hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zu einem besseren Schutz durch ein Antidiskriminierungsgesetz aufgerufen. Oft nehmen weder Polizei noch die Staatsanwaltschaft Anzeigen ernst. Es gebe ein Klima der Gewalt.

„Wenn der Sohn schwul ist, ist er nichts mehr wert“, sagt der Kölner Ibrahim Can. Er kritisiert die Kultur der Scham und des Leugnens und fordert: „Die türkische Gesellschaft ist nicht ehrlich mit sich selbst. Sie muss sich mit den Rechten der Schwulen abfinden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2009)

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