EU-Bericht: Brüssel lobt deutsches Exportwunder

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In zwölf europäischen Staaten laufen Defizite in der Handelsbilanz, Immobilienpreise oder private Schulden gefährlich stark aus dem Ruder. In Österreich sieht man derzeit noch keine besonderen Ungleichgewichte.

Strassburg. Ist Deutschlands Wirtschaftsstärke schuld an der Wirtschaftskrise in den Mittelmeerländern? Dieser Vorwurf erschallt nicht erst seit Beginn der Wirtschaftskrise ohne Unterlass und in steigender Lautstärke aus Paris, Rom, Madrid und Athen.

Eine neuer, erstmals erstellter Bericht der Europäischen Kommission verwirft diese These von Grund auf. Während des letzten Jahrzehnts habe Deutschland zwar dauerhafte Leistungsbilanzüberschüsse erzielt, heißt es im ersten Bericht über makroökonomische Ungleichgewichte: „Doch in den jüngsten Jahren hat sich die Binnennachfrage langsam verstärkt und eine schrittweise Verkleinerung des Überschusses in der Leistungsbilanz unterstützt.“

Noch deutlicher ist Olli Rehn, Vizepräsident der Kommission, und in dieser für Wirtschaft, Finanzen und den Euro zuständig: „Wir brauchen Länder in Europa, die ein starkes Exportwachstum haben und global bestehen können.“

Immobilienblase in Nordstaaten

In zwölf Staaten der Union hingegen laufen wichtige ökonomische Indikatoren nach Ansicht der Kommission so stark aus dem Ruder, dass sie sich die Gründe dafür in den nächsten Monaten genauer ansehen will. Das sind Belgien, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden, Slowenien, Spanien, Ungarn und Zypern.

Während der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelmeerländern hinlänglich bekannt ist, erhält das Entstehen einer Immobilienblase samt hoher privater Schuldenquote in nordischen Staaten wie Finnland, Schweden oder Dänemark noch nicht die ihm gebührende politische Aufmerksamkeit. „Wir haben dort einen sehr starken Anstieg der Immobilienpreise, verbunden mit einem Anstieg der privaten Verschuldung“, warnte Rehn. Die Niederlande sei ein „Grenzfall“.

Dieser Befund ist wichtig. Denn Spanien und Irland kamen nicht wegen sorgloser staatlicher Schuldenpolitik in die Bredouille, sondern wurden Opfer des Platzens von Immobilienblasen und hohen privaten Schulden. Jene Länder, die sich schon in internationalen Kredit- und Reformprogrammen befinden oder solche erst kurz hinter sich haben – also Griechenland, Irland, Lettland, Portugal – wurden nicht ausdrücklich erwähnt. Sie stehen ohnehin schon unter ständiger genauer Überwachung der Kommission.

Österreich verliert Marktanteile

In Österreich sieht die Brüsseler Behörde derzeit noch keine besonders schweren Ungleichgewichte. Allerdings zeigt der Bericht, dass die österreichischen Exporteure in den Jahren 2005 bis 2010 14,8 Prozent ihres Anteils am Weltmarkt verloren haben. Das ist fast doppelt so viel wie in den Niederlanden oder in Deutschland.

Interessant an dieser Statistik ist der Hinweis der Kommission, dass dieser Verlust an internationalen Marktanteilen auch dadurch nicht verhindert werden konnte, dass die Lohn-Stück-Kosten im selben Zeitraum nur moderat anstiegen.

Denn die Marktanteilsverluste trafen mit Ausnahme des ausgeprägten Finanzstandortes Luxemburgs alle „alten“ EU-Staaten. Das ist Ausdruck der Verschiebung in die Schwellenländer, was sich auch am starken Exportwachstum von europäischen aufstrebenden Volkswirtschaften wie Polen (plus 20,1 Prozent) oder der Slowakei (plus 32,6 Prozent) zeigt.

Der Bericht ist übrigens nicht zahnlos: Sollten sich die zwölf kritisierten Staaten dauerhaft den Empfehlungen der Kommission widersetzen, kann sie die Verhängung einer Geldbuße von 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung vorschlagen. Die tritt gleichsam „halb automatisch“ ein, denn nur eine qualifizierte Mehrheit aller Finanzminister kann sie abwenden.

Auf einen Blick

Zwölf EU-Staaten müssen laut neuem Bericht der EU-Kommission große Ungleichgewichte in ihren Volkswirtschaften ausgleichen.

Die Mittelmeerstaaten sind vor allem von einem starken Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit betroffen. Das ist schon Teil der Debatte in Europa. Weniger Aufmerksamkeit erhält aber das Entstehen einer Immobilienblase in den nordischen Staaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2012)

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