Afghanistan: Wählen unter Terror und Zensur

Taliban fighters pose with weapons while detaining a man for campaigning for presidential candidate
Taliban fighters pose with weapons while detaining a man for campaigning for presidential candidate(c) REUTERS (STRINGER/AFGHANISTAN)
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Präsidentenwahlen im Land am Hindukusch: Schafft es Hamid Karzai im ersten Wahlgang? Die Taliban drohen in einer Einschüchterungs-Kampagne mit Angriffen, die Regierung verhängt eine Nachrichtensperre.

Die Taliban haben vor der heute stattfindenden Präsidentenwahl den Druck erhöht. Die durchschnittliche Zahl der Angriffe von Aufständischen ist nach Angaben des Nato-Sprechers Eric Tremblay in den vergangenen vier Tagen von 32 auf 48 pro Tag gestiegen. Die Taliban rufen seit Tagen zum Wahlboykott auf, seit mindestens einer Woche kleben sie Plakate an die Häuserwände und Türen und warnen davor, zu den Urnen zu gehen.

Mit einer Einschüchterungskampagne verleihen sie ihren Drohungen Nachdruck: In der afghanischen Hauptstadt Kabul sowie in der südlichen Provinz Uruzgan sind am Dienstag 17 Menschen ums Leben gekommen, darunter ein Nato-Soldat und zwei afghanische UNO-Mitarbeiter. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hat die etwa 17 Millionen stimmberechtigten Afghanen aufgerufen, an den Wahlen teilzunehmen.

Zensur am Wahltag

Ein Sicherheitsaufgebot von 200.000 afghanischen und 100.000 ausländischen Soldaten und Polizisten soll die rund 7000 Wahllokale absichern. Die Nato rechnet damit, dass „bei weniger als einem Prozent“ der Wahllokale die Gefahr eines Angriffs besteht, die Nato-Verantwortlichen erklären, dass sie die Situation im Griff hätten.

Die afghanische Regierung reagierte auf die Eskalation vor der Wahl mit einem Verbot für Journalisten, über Gewaltakte zu berichten. Der Nationale Sicherheitsrat Afghanistans, der das Verbot verhängt hatte, will damit verhindern, dass sich die Wahlberechtigten aus Angst nicht an die Urnen wagen, hieß es. Journalisten sprechen von Zensur und verurteilen die Maßnahmen.

Beobachter nahmen noch bis vor wenigen Wochen die Wiederwahl von Präsident Hamid Karzai als gesichert an, doch Abdullah Abdullah – Karzais wichtigster Gegenkandidat – hat in den vergangenen Wochen an Terrain gewonnen und könnte Karzai einen zweiten Wahlgang aufzwingen.

Wie auch immer die Wahl ausgeht: Die Probleme Afghanistans bleiben vielfältig und scheinen nahezu unlösbar. Sollen die westlichen Mächte mit den Taliban verhandeln, wie das zuletzt in einem Text im renommierten US-Außenpolitikfachmagazin „Foreign Affairs“ vorgeschlagen wurde? Es sollte doch möglich sein, einzelne Talibanführer dazu zu bringen, auszuscheren und sich hinter die Regierung in Kabul zu stellen, schreiben sie. Doch die Taliban sind kein monolithischer Block, ein solches Unterfangen wäre schwierig, langwierig und komplex.

Opium oder Taliban

Ähnlich komplex stellt sich der Kampf gegen den Opiumanbau dar: Afghanistan ist mit Abstand der wichtigste Opiumproduzent der Welt (Opium ist der Grundstoff für eine ganze Reihe von Rauschmitteln, etwa Heroin). Wie viel Sinn hat es, Opiumfelder zu zerstören oder den Bauern zu helfen, alternative Feldfrüchte – etwa Weizen – anzubauen? Immer, wenn etwa in der Provinz Nangagar weniger Schlafmohn angebaut wurde, stieg gleichzeitig die Zahl der Angriffe von Aufständischen. Die Alternativen für die Bauern schienen also zu sein: entweder Opiumkultur oder „Dienst“ bei den Taliban.

(c) Die Presse / HR

Die wichtigste Kernfrage bleibt auch nach der Wahl ungelöst: Kann ein multiethnischer, zersplitterter Staat effizient von einer Zentralregierung geführt werden? Der Stamm der Paschtunen macht 42 Prozent der afghanischen Bevölkerung (33 Millionen) aus, Tadschiken bilden 24 Prozent. Im Zweifel vergab Präsident Hamid Karzai Posten und Pöstchen nach dem ethnischen Proporz und nicht nach der Kompetenz der Kandidaten, zudem blühte und blüht die Korruption. In einem Kommentar in der „New York Times“ schrieb ein früherer afghanischer Mitarbeiter einer Hilfsorganisation: „Fortschritt kann es nur geben, wenn Karzai am Donnerstag die Wahlen verliert. Das würde nicht nur den Afghanen den Glauben daran geben, dass ihr System funktioniert, sondern auch den USA und den westlichen Nationen zeigen, dass wir Afghanen in der Lage sind, einen Machtwechsel nicht durch einen Coup, Krieg oder Gewalt herbeizuführen, sondern mit dem Stimmzettel.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2009)

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