Thomas Morgenstern: "Süchtig nach Siegen? Nein!"

Thomas Morgenstern Suechtig nach
Thomas Morgenstern Suechtig nach(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Oliver Lerch)
  • Drucken

Eine zweijährige Durststrecke lehrte Skispringer Thomas Morgenstern Demut. Der Ehrgeizling wirkt befreit und atmet jetzt wieder Höhenluft. Über "Schulterklopfer" lacht er. Ein "Presse"-Interview.

Sie meldeten sich mit zwei Siegen in Lillehammer im Weltcup zurück. Ist das Gelbe Trikot nur eine Momentaufnahme?

Thomas Morgenstern: Es gibt mir Berge, wieder ganz oben dabei zu sein, der Saisonauftakt ist damit gelungen. Wie es weitergeht, ist offen, jetzt am Wochenende in Harrachov kann viel passieren. Herbeizaubern kannst nichts, erzwingen auch nicht – so macht mir Skispringen aber Spaß.

Zählen Erfolge, die man nach einem langen Tief landet, für Sportler mehr? Sie gewannen von Februar 2008 bis Jänner 2010 kein Springen und auch bei Olympia in Vancouver keine Einzelmedaille.

Das ist eine schwierige Frage, aber ja: Man genießt solche Siege nach einer Durststrecke ganz anders. Es hat einen anderen Wert, aber nicht materieller Natur. Es zeigt, dass man wirklich gut springt, dass meine Erfolge keine Ausrutscher waren. Als ich 2007 meine Siegesserie (Anm.: die ersten sechs Saisonbewerbe) feierte oder in Turin Olympiagold gewann, waren schon viele Emotionen im Spiel. Auch bei der vergangenen Tournee, als ich in Bischofshofen gewinnen konnte, dachte ich bereits, wieder auf dem Gipfel zu stehen. Aber erst jetzt lebe ich diese Gefühle im Auslauf aus – ohne Druck.

Gibt es eine Formel für den Sprung aus dem Tief? Vielleicht 100 Sprünge mit 100 verschiedenen Bindungen und Anzügen?

Diesen Weg muss leider jeder für sich selbst finden, da gibt es keine Anleitung. Ich kann anderen auch keine Tipps geben. Der Geduldsfaden darf nur nicht reißen, weil du immer, kurz vor dem Ziel, einen Schlag auf die Fresse bekommst. Du musst an dir, an deinem System, arbeiten. Und als Mensch musst du lernen, dir Fehler einzugestehen. Schlechte Sprünge darf man nicht persönlich nehmen.

Diese Rückkehr an die Weltspitze ist für Sie also auch eine Selbstbestätigung?

Natürlich. Bei mir ging es am Anfang meiner Karriere 2002 kometenhaft nach oben. Ich hatte mich etabliert, aber trotzdem zwei Jahre lang keinen Sieg gefeiert. Arg, das hat mich sehr gewurmt, weil ich immer knapp dran war, aber nie ganz oben stehen konnte. Ich war ein Ehrgeizling, nur auf das Ergebnis fixiert, ich wollte es unbedingt um jeden Preis schaffen und machte letztlich doch immer nur einen Schritt zurück. Wenn man weiß, wie es sich anfühlt, als Sieger auf dem Podest zu stehen, will man immer mehr. Nur wenn es nicht geht, versuchst es mit Krampf. Und dann beginnt das Nachdenken.

Das klingt nach einer Sucht. Müssen Sie noch immer unbedingt gewinnen?

Nein! Aus einem Erfolg lernst du nichts, daraus ziehst du selten Konsequenzen. Für viele mag es eine Sucht sein, für mich ist die Grundvoraussetzung aber der Spaß. Das klingt geschwollen, ist aber so. Das muss ich mir nicht mehr einreden. Warum bin ich denn Skispringer geworden? Weil es mein Leben ist, mein Hobby, mein Beruf. Siege sind nicht verpflichtend. Du kannst zweimal super springen und wirst nur Fünfter. Für Siegessüchtige ist das der Wahnsinn.

Geld spielt angesichts dieser Sichtweise nur eine untergeordnete Rolle für Sie.

Geld ist für mich kein Antrieb. Ich hätte vergangene Saison alles gegeben, um diese Emotionen, diese Aufmerksamkeit von 2006 wieder zu erleben. Geld kann das nicht aufwiegen.

Haben aber Negativserien nicht auch etwas Angenehmes? Man ist mit einem Schlag alle Schulterklopfer und Neider los.

So ist es, definitiv! Aber jetzt, in dieser Phase, bin ich wieder begehrt. Wennst verlierst, will keiner was von dir und wenn du gewinnst, bist du der Held. Das gehört zum Sport dazu, weil nur nach Ergebnislisten gewertet wird. Schade, denn das Persönliche kommt dabei immer zu kurz.

Welche Rolle spielt der ominöse, von Simon Ammann in Vancouver eingeführte, schiefe Bindungszapfen? Skispringer sollen ja sensible Wesen sein...

Der schiefe Zapfen ist doch in Wahrheit vollkommen wurscht! Er ist nur ein Baustein. Der eine will ihn, der andere nicht. Mir aber passt das System schon, ich habe im Sommer eine Umstellung vorgenommen. Ich musste aber meine Technik gottlob nicht komplett zerstören, sondern nur neu aufbauen. Auch andere setzen jetzt auf dieses Flugsystem. Nur überbewerten darf man es nicht.

Auch das neue Wind-Gate-System ist nicht unumstritten. Wie sehen die Springer diese Änderung, die Abbrüche und das Windpech verhindern soll?

Ich finde es nicht so verkehrt, weil es für alle gerechter geworden ist. Man kann so Wind und Pech relativ gut austarieren. Aber für Zuschauer ist es sicher ein Schmarren, weil nicht mehr automatisch der Weiteste gewinnt.

Wenn Sie nicht Ski springen, zieht es Sie als Pilot trotzdem in die Lüfte. Warum?

Es gehört für mich dazu, hoch oben fühle ich mich wohl. Das Privatleben passt, meine Freundin und ich sind in ein neues Haus gezogen. Ich spüre den Rückhalt, der tut gut. Und ich gehe liebend gern fliegen, mit einer einmotorigen Cessna. 80 Flugstunden habe ich schon absolviert, leider noch nicht mehr. Linienpilot wie Armin Kogler werde ich aber nicht, dafür fehlt mir dann doch der Zugang.

Apropos wohlfühlen. Viele Ihrer Kollegen stimmen sich mit Musik auf den Bewerb ein. Sie verweigern aber diese „Isolation“.

Ich bin da relativ unkompliziert. Manche haben halt ihre Rituale. Sie sind abergläubisch oder ziehen sich Lieder aus dem iPod vor dem Bewerb rein. Davon will ich mich eigentlich klar distanzieren. Warum soll ich plötzlich besser springen, wenn ich mir drei Lieder von meiner Lieblingsband angehört oder mir immer zuerst den linken Schuh angezogen habe? Es ist so wie immer: Ich nehme meine Ski und springe, Ende.

im HOCH Thomas Morgenstern, 24, meldete sich mit zwei Siegen im Springerweltcup zurück. Dem dreifachen Olympiasieger und viermaligen Weltmeister macht sein Beruf wieder Spaß. Der Kärntner will auch in Harrachov, Tschechien, punkten – ein Sieg ist für ihn aber keine „zwingende Verpflichtung“. Im TIEF Gregor Schlierenzauer, 20, und Sieger von 32 Weltcupbewerben, macht nach dem schwachen Saisonstart Pause.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.