Die Marillen in der Birne

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Was unterscheidet die Wachauer Marille von einer Fälschung? Die Qualität. Auf dem Marillenkirtag in Spitz gibt es jedenfalls nur die Originale – in allen erdenklichen Formen und Verarbeitungen.

Mit Marillen ist es genau so wie mit Handtaschen, Autos oder teuren Uhren: Sie werden gern gefälscht. Besonders in der Wachau, wo die Marille neben dem Wein längst zum kulinarischen Aushängeschild einer Region geworden ist, findet man auch Früchte, die nur behaupten, aus dieser Gegend zu sein. Auf den ersten Blick sind sie für Laien nur schwer vom Original zu unterscheiden.

Deshalb hilft es zu wissen, wann die Ernte in der Wachau beginnt. Einige Händler bieten am Straßenrand die „Original Wachauer Marille“ nämlich schon an, wenn die echten Wachauer Marillen noch auf ihren Bäumen reifen. Die Wachauer spotten über diese Fake-Marillen, die aus Ungarn stammen.

Nur Touristen fallen darauf herein. Und auch da ist es nicht anders als bei den Taschen: Es sind die Details, die das Original vom Imitat unterscheiden. Der Geschmack, die Farbe, die Fasrigkeit. Die echte Wachauer Marille steht jedenfalls schon seit 1996 unter EU-Schutz. Sie ist größer als sonst, das Fruchtfleisch ungemein saftig und süß und stark orangefarben, was die Wachauer Marille von anderen deutlich unterscheidet.

Dass ihre Aromastoffe so intensiv sind, hängt mit dem speziellen Klima der Wachau zusammen. Die feuchtheißen Tage in der Donau-Kessellage und die kühlen Nächte, die der Nordwind aus dem Waldviertel bringt, scheinen ideal zu sein. „Warum so viel Aufwand für eine so kleine Frucht?“, fragt König Marillus in seiner Ansprache auf dem Dorfplatz in Spitz. Natürlich nur ironisch, selbstverständlich ist er überzeugt von dieser Frucht und bittet, man soll nur das Original von den rund 200 ansässigen Obstbauern kaufen. Dann tanzt er mit seiner Prinzessin. Der dreitägige Marillenkirtag in Spitz ist längst ein Klassiker: Seit rund 50 Jahren wird er jeden Juli veranstaltet. Und am Sonntag, dem Abschlusstag, steht ein Umzug auf dem Programm. Der Schützenverein marschiert mit seinen schicken blauen Stutzen und den robusten braunen Kalmuck-Jacken auf, und ein Riesenmarillenknödel aus Pappmaché wird durchs Dorf geschoben. Am Ende des Umzugs erscheint der König mit seiner Begleiterin, Prinzessin Aprikosia. Früher kam das königliche Paar, meist ein wirkliches Paar aus dem hiesigen Trachtentanzverein, ganz altmodisch in einer Pferdekutsche. Aber seitdem die Pferde, von der Zuschauermenge überfordert, einmal durchgegangen sind, fährt man zeitgemäß und standesbewusst ein: in einem stylishen Cabrio. Auf dem Kopf tragen König und Prinzessin rote Kronen – natürlich mit echten Marillen.

Original Wachauer Trachten

Der Marillenkirtag ist eine gute Gelegenheit, die Wachauer Tracht und ihre regionalen Besonderheiten wie die prächtigen Steinfedern auf den Hüten der Männer kennenzulernen. Ansonsten ist das Fest vor allem eines: ein kulinarischer Overkill. Verkauft werden an den diversen Ständen Marillen in allen erdenklichen Formen. Als herrlich saftige und ungemein preisgünstige Knödeln aus dem Marillenautomaten – in dem sich freilich zwei Wachauerinnen befinden, die die Knödeln durch einen Spalt reichen. Es gibt Marillenschokolade und Marillenkuchen. Noch beliebter ist allerdings die flüssige Form, vom Marillenschnaps bis zur Marillenmousse im Sekt.

Wem das zu stressig ist, der besucht einen der zahlreichen Ab-Hof-Verkäufe, dort wird man nicht nur individuell bedient, sondern fast zum Marillenexperten ausgebildet. Ötz ist ein ruhiges kleines Dorf, in dem die Familie Kausl wohnt. Ihr Marillenhof besitzt 250 Bäume, der älteste ist bereits 60 Jahre alt. „Die ungarische Marille ist viel gröber und fasriger als die Wachauer“, erklärt Kausl senior. Er fachsimpelt über Marillen wie andere über Wein. Über gute und schlechte Jahrgänge, spezielle Aromen und ob der Frost der Frucht schadet.

Stimmt schon, die Marille hat einiges mit dem Wein gemeinsam: Je mehr die Pflanze leidet, desto besser schmeckt sie. Die dünne Erdschicht direkt auf dem Steinboden stärkt die Aromabildung bei den Marillen. Auch Trockenheit ist wichtig: Nichts ist schlechter für den Geschmack als Regen kurz vor der Ernte. Das schwemmt die Früchte auf. Kausl senior spricht nur über ein Thema lieber als über seine Marillen: den hauseigenen Whisky, der natürlich auch verkostet werden muss.

Während der Marillenkirtag auf Hochtouren läuft, sind viele der umliegenden Höfe, die sonst regionale Produkte verkaufen, geschlossen. Schließlich müssen sie ihre Stände auf dem Fest betreuen. Aber man hat schließlich Vertrauen in die Ehrlichkeit der Marillenliebhaber.

Vor der Tür einzelner Höfe werden einfach Marillenkartons abgepackt, eine Liste zeigt den Kaufwilligen die Preise: „Das Geld bitte einfach in den Briefkasten werfen“, steht da. Wenn das nicht innovativ ist: In der Wachau gibt es sogar Selbstbedienungs-Take-away-Marillen! Mit Originalzertifikat, versteht sich.

Ganz spitz auf Marillen

Spitzer Marillenkirtag: 20. bis 22. Juli, an diesen Tagen macht auch das Musikfestival „Glatt und verkehrt“ in Spitz Station. Infos: 02713/23 63, info@spitz-wachau.at
www.spitz-wachau.com/de/default.asp?tt=SPITZ_R8&id=99005

Regionale Produkte bekommt man auf dem Marillenhof Kausl in Ötz, auch eigene Schnäpse und selbst gebrannte Whiskys sind erhältlich, www.marillenhof.at
Auch der Weinhof Aufreiter verkauft die Original-Marillen und regionale Produkte, etwa Marillenschokolade www.weinhof.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2012)

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