Pop

Triumph der Lolita de luxe mit Sixties-Flair

Triumph Lolita luxe SixtiesFlair
Triumph Lolita luxe SixtiesFlair(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
  • Drucken

Lana Del Rey begeisterte bei ihrem ersten Konzert in Wien mit beseeltem Pathos und Amerikanismen.

Zwei protzige, pseudosteinerne Löwen säumten das Tableau, auf dem die sinnliche Retrokunstfigur erwartet wurde. Das Bühnenbild erinnerte an mediterrane Villen am Fuße eines Vulkans. Mädchen mit reichlich Blumenkränzen im Haar warten auf das Erscheinen von Lana Del Rey, jener jungen Dame, die vierzig Jahre Frauenemanzipation mit ein paar spitzen Schreien, ganz viel hingebungsvollem Schnurren und einer konsequenten Instagram-Ästhetik vergessen macht.

Del Rey drehte zunächst an der Schraube der kunstvollen Verzögerung. Erstmal musste sich ihre Streichersektion die Finger blutig spielen, ehe man die wunderbar gespenstische Stimme der verehrten Künstlerin aus der Ferne vernahm. Keine zwei Minuten später stand sie in voller Pracht da und sang von verborgenen Wirklichkeiten: „My pussy tastes like Pepsi-Cola.“ Aha! Was für eine Metapher! Dann haucht sie das Bekenntnis, auf entschieden ältere Männer zu stehen. Mit einem solchen plante sie im Song „Cola“ die Flucht in den großen Sonnenschein.


Eine Portion David Lynch. Nicht viel später erzittert sie im Vibrato des alten Schlagers „Blue Velvet“. Lana Del Rey sieht tatsächlich aus, als wäre sie geradewegs aus einem David-Lynch-Film in die schnöde Realität herübergestöckelt. Wie in dessen Serie „Twin Peaks“ lauert hinter der glänzenden All-American-Heile-Welt-Fassade ganz viel Abgründiges. Mit gefährlich kurzem, ausgestelltem Rock wagte sie sich gleich anfangs hinunter zu ihren leidenschaftlichen Fans. Ließ sich betatschen und fotografieren, sang und hauchte dazu ungebrochen mysteriös. Die „Frankfurter Allgemeine“ schrieb einmal, sie sähe aus, als wäre sie aus Nancy Sinatras Kleiderschrank herausgefallen. Impertinenz!

Lana Del Rey trägt doch auf der Bühne vorzugsweise textile Kunstwerke der Grazerin Lena Hoschek, die seit fünf, sechs Jahren mit ihrem am Styling der Hollywoodgrößen der Vierziger- und Fünfzigerjahre orientierten Design international für Furore sorgt. „Retro“, zischen Lana Del Reys Feinde auch, wenn sie in ihren melancholischen Liedern klingt wie eine Timi Yuro auf Valium. Als Lizzy Grant, damals noch in Jeans und T-Shirt, war Lana Del Rey ungerechterweise ein Flop. 2009 brachte sie ein beeindruckendes Album heraus, von dem leider niemand etwas wissen wollte. Dabei waren so herausragende Songs wie „Queen of the Gas Station“ und „Pawn Shop Blues“ darauf, die bereits alle Ingredienzien der späteren Erfolgsformel in sich trugen. Sie träumte damals schon von Rausch und Exzess und sprach ihre Männer – politisch höchst unkorrekt – mit „Daddy“ an. So gesehen wehte zum ganzen nachgestellten Glamour der frühen Sechzigerjahre auch ein wenig der Mief einer versunkenen Ära herein. Mit dem herrlich artifiziellen Filmchen zu „Video Games“ erfand sich Lizzy Grant 2011 neu.


Ganz schön renitent. Ab sofort hieß sie, ein wenig kapriziös, Lana Del Rey und stilisierte sich zu einer „Gangster-Nancy-Sinatra“. Die einen liebten sie auf Anhieb, die anderen sonderten moralinsauer Gift ab. Ihre Lippen seien aufgespritzt, hieß es da, sie schriebe ihre Lieder nicht selbst, und überhaupt sei sie nicht authentisch. Vorwürfe, die eine Louise Ciccone und eine Stefanie Germanotti nie gehört haben. Bei ihnen wurde gefeiert, dass sie sich mit einem oder mehreren Alter Egos als Madonna und Lady Gaga jeweils neu erfunden haben. Vielleicht war Lana Del Reys Fehler, dass es nicht vollständig gelang, ihre frühere Manifestation als Lizzy Grant zu verbergen. Im digitalen Zeitalter ein Bild ungeschehen zu machen ist halt Sisyphusarbeit mit ungesichertem Ausgang.

Egal, letztlich war ihr Album „Born to Die“ ein globaler Erfolg. Musikalisch anders, aber irgendwie doch ähnlich wie Retro-Soulstress Amy Winehouse, lockte Lana Del Rey in ein künstliches Paradies, in dem das Auftoupierte, das Pathetische, das künstlich Aromatisierte und Geigenumflorte regierte. Genau das zelebrierte sie an diesem schönen Abend mit dramatischen Liedern wie „Blue Jeans“ und „Without You“. Del Reys Melancholie birgt nicht zu wenig Renitenz.

Ein goldrichtiger Griff glückte ihr mit der intensiven Coverversion von Nirvanas „Heart-Shaped Box“, einer tiefen Verbeugung vor einem jüngeren amerikanischen Mythos. Das laszive „Summertime Sadness“, das aufmüpfige „Ride“, das sich ein wenig pseudojazzig gebende „Million Dollar Man“, egal was sie schnurrte, hauchte oder mit spitzen Schreien ornamentierte, es war ein Genuss.

Ganz am Ende brachte sie mit „Video Games“ und dem entzückenden „National Anthem“ ihre anerkanntesten musikalischen Großtaten. „Money is the anthem of success“, piepste sie da. Mittlerweile muss sie es ja wissen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.