Codewort "Allahu akbar": Wie die Blitzoffensive ablief

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Die Angaben über den Verlauf der Kämpfe sind widersprüchlich und nicht zuverlässig. Der Rebellen-Durchbruch gelang überraschend schnell. Die Nato leistete dabei entscheidende Hilfe, nicht nur aus der Luft.

Tripolis/Ag/Red. Noch liegt der Nebel des Krieges über Tripolis, die Angaben über den Verlauf der Kämpfe sind widersprüchlich, ungenau und nicht zuverlässig.

In einer bemerkenswerten Blitzoffensive ist es den libyschen Rebellen am Wochenende gelungen, in die Hauptstadt Tripolis vorzudringen.

Ermöglicht wurde der rasche Vorstoß nach Angaben eines Diplomaten durch die enge Zusammenarbeit zwischen Rebellen und der Nato. Zwei Faktoren hätten zusammengespielt:


•Durch ständige Luftaufklärung des von der libyschen Armee kontrollierten Gebiets habe die Nato sich ein recht zuverlässiges Bild von den Bewegungen der Gaddafi-loyalen Truppen verschaffen können. Zudem habe sich die Kommunikation zwischen den Kommandanten der Nato-Luftstreitkräfte und den Rebellen stetig verbessert. „Die Rebellen haben unsere Telefonnummer“, meint ein ungenannt bleiben wollender Nato-Diplomat gegenüber der „New York Times.“ Dadurch seien die Nato-Luftschläge gezielter erfolgt. Die erfolgreiche Zurückschlagung einer Gegenoffensive in Zawiyah durch die Nato am Sonntag sei ebenfalls auf die enge Kooperation zwischen Nato-Lufteinheiten und den Rebellen zurückzuführen. In Militärkreisen ist auch von Nato-„Forward Air Controllern“(Fliegerleitoffizieren) die Rede, die gemeinsam mit den Rebellen an vorderster Front eingebettet seien, um die Luftoperationen auf die Aktionen der Rebellen abzustimmen.

Flugzeuge flogen seit März unter Nato-Kommando insgesamt 19.877 Einsätze, wie das Bündnis am Montag mitteilte. Davon waren 7505 Gefechtsmissionen, also erfolgte oder beabsichtigte Angriffe auf Ziele. Insgesamt wurden dem Bündnis zufolge am Sonntag Libyen-weit 126 Einsätze geflogen, davon 46 als Gefechtsmissionen.

•Ein zweiter wichtiger Faktor sei die Entsendung von Spezialeinheiten, die die Aufständischen bei der Beschaffung von Nachschub und bei der Truppenausbildung unterstützten haben, gewesen.

Erschienen die Militäroperationen der Nato und der Rebellen im Verlauf des Libyen-Konflikts oftmals unkoordiniert und chaotisch, verbesserte sich die Lage für die Rebellen in den vergangenen Wochen. Der Sturm auf Tripolis am Wochenende schien gut vorbereitet: Die Rebellen stießen nicht nur auf dem Landweg gegen die libysche Hauptstadt vor, sondern es wurden auch Soldaten mit Booten von Misrata aus angelandet. Es gibt keine Informationen, wie viele Bewaffnete an dieser Operation beteiligt waren (siehe Seite 1).

Seit Wochen seien heimlich bewaffnete Zellen gebildet worden, berichtete eine BBC-Mitarbeiterin in Tripolis. Nach ihren Angaben hätten sich Oppositionelle schon seit längerer Zeit bewaffnet: „Desertierte libysche Soldaten haben ihre Waffen – zu einem recht hohen Preis, sollte man hinzufügen – verkauft“, schrieb sie am Montag. Nach der Rede des Vorsitzenden des Übergangsrats, Mustafa Abdul Jalil, sei das Codewort für den Beginn der Aktionen in Tripolis wieder und wieder im Radio und auf Lautsprechern zu hören gewesen: „Allahu akbar – Gott ist groß!“ Daraufhin hätten diese Aufständischen in verschiedenen Vierteln der Stadt losgeschlagen. Nach Auskunft des Rebellen-Befehlshabers Fawzi Bukatif seien diese Zellen von kleinen, in Benghazi ausgebildeten Rebellen-Kampfgruppen unterstützt worden.

Der Sturm auf Tripolis

Die Entscheidung in der Schlacht um Tripolis kam am Sonntag: Aus Richtung Zawiyah kommend überrollten die Aufständischen eine Basis der Gaddafi-loyalen Khamis-Brigade – offizielle Bezeichnung: 32. gepanzerte Brigade des bewaffneten Volkes. Dort stießen sie entgegen ihren eigenen Erwartungen nicht auf nennenswerten Widerstand. Augenzeugen berichteten von Zerstörungen durch Nato-Bombardements auf dem Kasernengelände.

Offenbar sorgten Nato-Kampfflugzeuge und Hubschrauber dafür, dass die Strecke von Zawiyah nach Tripolis für die Rebellen frei war. Alles deutet darauf hin, dass sich die Einheiten rechtzeitig vor dem Eintreffen der Rebellen weitgehend kampflos zurückgezogen hätten. Die Khamis-Brigade stand übrigens unter dem Befehl von Gaddafis jüngstem Sohn, Khamis Gaddafi, von dem es bereits im März hieß, er sei bei einem Luftangriff ums Leben gekommen. Am 5.August hatte ein Rebellensprecher erneut behauptet, er sei ums Leben gekommen, was aus dem Gaddafi-Lager postwendend dementiert wurde. Bis heute gibt es keine gesicherten Informationen über den Verbleib von Khamis Gaddafi. Heftige Kämpfe wurden auch rund um das von Journalisten bewohnte Rixos-Hotel gemeldet.

Moussa Ibrahim, der Sprecher der Gaddafi-Regierung meinte, dass bei den Kämpfen in und um Tripolis 1300 Menschen getötet worden seien – eine Zahl, die von unabhängigen Quellen nicht bestätigt werden kann.

Nach der Eroberung der Telefonzentrale hat der Nationale Übergangsrat eine SMS an alle Handybesitzer geschickt: „Die Stunde Null hat begonnen“, heißt es darin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2011)

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