Serbien, ein Land sucht nach Orientierung

(c) Die Presse (Helmar Dumbs)
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Die Serben sind zerrissen zwischen der Sehnsucht nach Europa und dem Gefühl, im Kosovo verraten zu werden.

Bis auf Weißrussland drängt es fast alle europäischen Nationen, die noch draußen sind, an die Futtertröge von Europas Wohlstands-Bündnis. Doch ausgerechnet die von Kriegsfolgen und Visa-Restriktionen gebeutelten Serben drohen sich bei der bevorstehenden Richtungswahl auf dem anvisierten Weg in die Europäische Union selbst ein Bein zu stellen. Sollten sie mit Tomislav Nikolic ausgerechnet einen nach Moskau orientierten Nationalisten zum Präsidenten wählen, dürften sich nicht nur die gespannten Beziehungen zu den einstigen Brudervölkern des zerfallenen Jugoslawien verschlechtern: Eine nationalistische Zeitenwende wäre für Serbiens EU-Ambitionen ein herber Rückschlag.

Kräftig gestutzt sucht Serbiens flügellahmer Doppeladler in seinem geschrumpften Reich seit dem Fall des Milosevic-Regimes vor acht Jahren nach einer neuen Orientierung. Doch nur der Wunsch nach Veränderung eint die Bevölkerung des zerrissenen und isolierten Landes. Zwei Herzen pochen in des Wappenvogels gerupfter Brust. Fast drei Viertel der Bevölkerung befürworten laut Umfragen die Annäherung an die EU. Gleichzeitig finden nationalistische und populistische Parolen zunehmend Anklang.

Wie ist das zu erklären? Was veranlasst die Hälfte der Bevölkerung dazu, ausgerechnet einen Vertreter jener aggressiven Politik zu ihrem Hoffnungsträger zu küren, die den Niedergang ihres Landes in den 90er-Jahren besiegelte?

Kosovo: Verlustängste und Wut

Es ist der vermutlich vergebliche Kampf gegen den drohenden Verlust des Kosovo, der den Stimmenstreit nachdrücklich überlagerte. Fast alle Präsidentschaftsanwärter bliesen mit ähnlicher Inbrunst ins patriotische Horn.

Den meisten Serben ist die faktisch längst losgelöste Provinz zwar vollkommen unbekannt. Doch die Medien verstärkten schon seit Monaten das Gefühl, beim Kampf um das geschichtsträchtige Amselfeld von der Staatengemeinschaft unter Bruch des Völkerrechts wieder einmal verraten zu werden. Wo nationales Pathos parteiübergreifend trieft, fällt es Nationalisten leichter, sich in der vermeintlichen Mitte – und als wählbar zu positionieren.

Gestörtes Verhältnis zum Krieg

Die Spaltung des Landes ist allerdings nicht neu: Schon bei der letzten Wahl war Nikolic nur knapp gegen den heutigen Präsident Tadic gescheitert. Es ist zwar nur der harte Kern seiner Anhänger, der mit den Postern von Kriegsverbrechern um Stimmen buhlt. Doch das gebrochene Verhältnis vieler Landsleute zum Krieg wissen die Nationalisten zu nutzen. Die Ansicht, zu Unrecht die Alleinschuld für Kriegsgräuel und Vertreibungen aufgebürdet zu bekommen, teilen auch Serben, die sich keineswegs zu Bewundern von Kriegsverbrechern wie Ratko Mladic oder Radovan Karadzicrechnen.

Vorherrschendes Opfergefühl

Auch die Erinnerung an das Nato-Bombardement lässt viele Serben noch immer skeptisch in Richtung Westen blicken. Das vorherrschende Opfer-Gefühl, alleine die Kriegsfolgen ausbaden zu müssen, wird nicht nur durch widersprüchliches Auftreten des UN-Kriegsverbrecher-Tribunal gegenüber Angeklagten aus Kroatien, Bosnien oder dem Kosovo verstärkt. Auch die EU scheint beim Umgang mit Belgrad mit einem anderen Maß als bei den bereits begonnen Beitritts-Verhandlungen mit Zagreb zu messen.

Im Krieg hatten die meisten der früheren Bundesstaaten Jugoslawiens mit der Unabhängigkeit ein klares Ziel. Serbische Soldaten starben hingegen erst für den Erhalt des Föderalstaats, danach für den vermeintlichen Schutz serbischer Minderheiten – oder die vage Idee eines Großserbien.

Traum von der Blockfreiheit

Nach Kriegsende propagierten die demokratischen Kräfte die Hinwendung zum Westen, die Nationalisten die Anlehnung an den Osten. Die jahrelange Isolation verschlechterte derweil nicht nur die Lebensbedingungen, sondern verstärkte auch die Orientierungslosigkeit vieler Serben. Von den EU-Partnern fühlen sie sich unverstanden und ungewollt – und ersehnen doch die Öffnung nach Westen. Gleichzeitig verspüren sie nicht nur kulturelle Bande mit dem orthodoxen Osten: Noch immer findet das von Nikolic aufgewärmte Modell des blockfreien Wanderers zwischen der östlichen und westlichen Welt in Serbien bei den letzten Anhängern des verschwundenen Jugoslawien einen gewissen Anklang.

Verarmte Wendeverlierer

Doch es sind weniger ideologische Gründe, die den Nationalisten bei dieser Präsidentschaftswahl ganz neue Wählerschichten erschlossen haben. Dem Heer junger Arbeitsloser und verarmter Wendeverlierer erscheint die Verheißung einer fernen EU-Zukunft nur noch als leeres Versprechen.

Mit dem Leben der Großstadt-Yuppies des Belgrader Politiker-Jetsets hat ihre Erfahrungswelt genauso wenig gemein wie mit dem protzig zur Schau gestellten Reichtum windiger Wende-Gewinnler. Ganze Landstriche sind im Süden und Osten des Landes verarmt. Doch wo bittere Alltagsnot grassiert, findet sich stets ein fruchtbarer Nährboden für die Heilsbotschaften von Populisten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2008)

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