Finnland: Verlockend duften die Lachse

Finnland Verlockend duften Lachse
Finnland Verlockend duften Lachse(c) EPA
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Bären fürchten sich mehr vor Menschen als umgekehrt. In der ostfinnischen Taiga kann man Braunbären, aber auch Wölfe, Luchse und Vielfraße völlig gefahrlos in freier Wildbahn beobachten.

Der Teerschnaps hilft. Auch wenn er schmeckt, wie er aussieht. Grausig. Schwarzbraun. Ölig. Nach verkohltem Holz. Kein Wunder: Das Gesöff wird aus dem Harz ostfinnischer Kiefern, Fichten oder Birken gewonnen. Aber wenn zehn Menschen in einer Holzhütte ohne Frischluftzufuhr einen Nachmittag und eine ganze Nacht verbringen sollen, braucht es etwas Alkohol.

Stundenlang auf Holzstühlen vor einer kleinen Sichtluke zu sitzen und dabei nur leise flüstern zu dürfen – wieso macht man das überhaupt? Die Braunbären sind es, die unsere bunt zusammengewürfelte Gruppe in diese Lodge in the middle of nowhere verschlagen hat. Oder besser: In die ostfinnische Wildmark, das streng gesicherte Grenzgebiet zu Russland, kommt man als Normalsterblicher nicht ohne Spezialgenehmigung. Oder wird verdächtigt, über die grüne Grenze nach Russland wandern zu wollen. Weil hier in der Wildnis noch weniger Menschen anzutreffen sind als im ohnehin schon spärlich bevölkerten Finnland (mit 15,3 Einwohnern pro Quadratkilometer), lieben die Tiere das Gebiet: Bären, Luchse, Wölfe und Vielfraße sind hier in freier Wildbahn anzutreffen. Dass wir mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit einen Braunbären sehen würden, hat uns Kari Kemppainen vom Boreal Wildlife Center versprochen. Er muss es wissen: Der preisgekrönte Naturfilmer verbringt bis zu 200 Tage im Jahr in der Wildnis von Kuhmo und kennt fast jedes Tier in diesem Revier.

Tourismus schützt Bären

Mit seinen Dokumentarfilmen, aber auch mit dem Organisieren von Bearwatching-Touren will er seinen Schützlingen helfen. „In den finnischen Wäldern leben heute rund 1000 Bären. Doch leider ist ihre Existenz stark gefährdet.“

Der Lebensraum der Menschen breitet sich immer mehr aus, und auch in Finnland empfinden die meisten Einheimischen die Bären als Bedrohung. „Mit unserer Form von sanftem Tourismus wollen wir einerseits den Besuchern die Einzigartigkeit dieser Wildtiere vor Augen führen und andererseits der Bevölkerung zeigen, dass man mit Bären auch leben kann, ohne sie gleich abzuschießen“, erklärt Kemppainen.

Damit die Tiere auch wirklich kommen, hat der vierschrötige Naturbursche die Waldlichtung vor unserer Hütte ordentlich präpariert: Lachse und andere Fische sind hier an verschiedenen Stellen ausgelegt – außerdem Hundefutter und andere Fleischkonserven.

Angst vor Menschen

Nun heißt es warten. Bis sich unser Geruch, den wir auf dem kurzen Spaziergang vom Jeep zur Hütte verströmt haben, verflüchtigt hat. Und bis die Dämmerung hereinbricht. Als sich die ersten Krähen auf die Köder stürzen, werden wir unruhig. Hoffentlich lassen sie den Bären noch etwas übrig. Doch unser Guide beruhigt. „Die Vögel sind ein gutes Zeichen. Sie signalisieren den anderen Tieren, dass es eine Futterquelle gibt.“

Und tatsächlich: Eine halbe, dreiviertel Stunde später taucht der erste Braunbär auf. Sein großer pelziger Körper ist im Zwielicht und vor dem Braun der Bäume gar nicht so leicht auszumachen. Es dauert, bis ihn alle von uns lokalisiert haben. Doch dann lässt er uns nicht mehr los: Die trägen, tapsigen Bewegungen faszinieren, er scheint es gar nicht eilig zu haben, zu seinem Fisch zu kommen. Rund zwanzig Meter ist er von der Hütte entfernt, schaut immer wieder in unsere Richtung. Keiner wagt es, sich zu bewegen. „Bären sind kurzsichtig, sie können uns auf diese Distanz nicht sehen“, beruhigt Guide Jussi. „Angst haben sie vor allem vor Menschengeruch. Wenn einer die Hütte verlässt, würde der Bär sofort flüchten.“

Ausprobieren mag das keiner, auch wenn Bärenattacken auf Menschen extrem selten sind. Dazu sind die gewaltigen Tiere – Männchen werden rund zwei Meter groß und 400 Kilo schwer – viel zu furchtsam. Nur zwischen eine Bärenmutter und ihr Junges sollte man nicht geraten – das könnte gefährlich werden.

Vielfraße in Sicht!

Zwei Braunbärinnen mit Nachwuchs lassen sich später auch noch blicken. Ganz unbefangen tollen die Kleinen vor unseren Augen herum, während die Mütter argwöhnisch die Männchen in der Umgebung beäugen. „Wenn es um die Kleinen geht, können die Bärenweibchen richtig aggressiv werden – sie töten sogar männliche Artgenossen, wenn sie sich dem Wurf zu sehr nähern“, berichtet unser Guide. Insgesamt zwölf Braunbären sollten wir an diesem Abend zu sehen bekommen. Normalerweise ist es selten, so viele Tiere friedlich auf einer Lichtung beieinander zu sehen. Doch jetzt, nach dem Sommer, sind die Bären von den vielen Beeren und Waldfrüchten gut genährt.

Die Nacht wird daher ruhig. Die Bären lassen sich gemütlich auf der Lichtung nieder, nur hin und wieder hört man ein Schmatzen oder das Gerangel zweier Jungtiere. Wir haben daher auch Zeit für ein wenig Schlaf auf den eng aneinandergereihten Stockbetten. Denn in der Morgendämmerung sollten wir wieder an unseren Beobachtungsplätzen sein. Da könnten noch andere Tiere auftauchen, um sich über die Essensreste der Bären herzumachen.

So bekommen wir unsere ersten Vielfraße zu Gesicht, flinke, hundegroße Tiere, die ihrem Namen alle Ehre machen. Sobald alles Futter weg ist und die Sonne herauskommt, verziehen sich die Tier. Und wir treten den Rückweg an: glücklich über das Erlebte und glücklich, wieder etwas Frischluft atmen zu können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2010)

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