Richard Strauss: Moderne mit Zuckerguss?

Richard Strauss
Richard Strauss(c) ORF
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Warum es vernünftiger ist, einem der großen Genies des 20. Jahrhunderts mit Realitätssinn beizukommen als mit politisch korrekten Fragestellungen und Etikettierungen.

Der Zelebrationen ist kein Ende. Auf das Verdi- und Wagner-Jahr 2013 folgen heuer die Gedenkveranstaltungen, mit denen die Musikwelt daran erinnert wird: Es ist 150 Jahre her, dass Richard Strauss geboren wurde, der letzte Komponist repertoiretauglicher Opern. Das wäre Anlass zu vielen ästhetisch-künstlerischen Betrachtungen. Es wird dennoch nicht ausbleiben, dass Kommentatoren vor allem die Rolle, die Strauss in den Jahren zwischen 1933 und 1945 zu spielen hatte, ausführlichst beleuchten. Doch ist zu sagen: Für die Stellung des Komponisten in der Musikgeschichte ist diese Diskussion belanglos.

In Wahrheit war Strauss der einzige Komponist neben Giacomo Puccini, dem es im 20. Jahrhundert gelungen ist, gleich mehrere Werke in den Kanon des Opernrepertoires zu integrieren. Diese Gegenüberstellung hätte Strauss selbst zwar nicht gern gehört. Puccinis Ästhetik widersprach seinem Kunstsinn nämlich empfindlich. Doch lehrt ein Blick auf die internationalen Opernspielpläne, dass der Italiener der einzige ebenbürtige Konkurrent war, solange man Giuseppe Verdis verblüffend ehrliches Diktum von der allein gültigen Messlatte im Opernbetrieb gelten lässt: den Kassenrapport.

Von Strauss haben es – in chronologischer Folge – „Salome“ (1905), „Elektra“ (1908) und der „Rosenkavalier“ (1911) geschafft, seit ihren Uraufführungen fixe Bestandteile der Opernprogramme in aller Welt zu bleiben, „Ariadne auf Naxos“ (1914/16) kommt als Stück für Connaisseurs hinzu, das ebenso wie „Arabella“ (1929/33) weniger oft gegeben wird, aber nie ganz aus dem Bewusstsein der Intendanten verschwand.

Prüfstein für jedes Opernensemble. Die „Frau ohne Schatten“ (1915/19), der neben Jules Massenets „Werther“ (1892) die einzig wirklich relevante Uraufführung galt, die je im Gebäude der Wiener Staatsoper am Ring stattgefunden hat, kommt hinzu als einer der großen Prüfsteine für die Leistungsfähigkeit eines Opernensembles bzw. eines Festivals – dieser Herausforderung stellt man sich quasi aus sportlichem Ehrgeiz wie einer Neueinstudierung von Wagners „Tristan“ – und erfreut damit jene zahlreichen Opernkenner, denen „die Frau“ als eines der absoluten Gipfelwerke der Musiktheater-Historie gilt.

Weitere Straussiana finden sich in den Spielplänen in größeren Abständen immer wieder, die wegen zwei schwer zu bewältigender Tenorpartien heikel zu besetzende „Daphne“ gehört dazu und auch das abgeklärte Alterswerk „Capriccio“, das einschlägigen Kommentatoren ein besonderer Dorn im Auge ist: Lässt doch der Komponist in diesem Werk in Zusammenarbeit mit seinem Ko-Librettisten, dem Dirigenten Clemens Krauss, eine Gesellschaft des Ancien Régime in einem Rokokoschloss nahe von Paris über die Frage diskutieren, ob in der Oper dem Text oder der Musik der Vorrang gebühren soll.

Die Frage bleibt nach zweieinviertel Stunden ungelöst. Das Stück stammt aus dem Jahr 1942; Mitten im Krieg! Hatte man da wirklich keine anderen Sorgen?

Ominöse Walzerseligkeit. Diese Frage ist – wie auch jene eingangs erwähnten Fragen – falsch gestellt. „Capriccio“ darf uns als Dokument der inneren Emigration eines Mannes gelten, der in seinen Jugendtagen Bannerträger der künstlerischen Moderne in Deutschland war und mit „Salome“ und „Elektra“ zwei Beispiele für die Tragfähigkeit avantgardistischer musikdramaturgischer Konzepte lieferte, deren Fortschrittlichkeit auch in der Rückschau unbestreitbar bleibt.

In einer Rückschau, die jene ominöse Walzerseligkeit des „Rosenkavaliers“ hinzudenken muss, mit der Strauss scheinbar zum Konterrevolutionär geworden war.

Tatsächlich verfügte Strauss in seinen Opern – wie auch in den frühen Tondichtungen vom himmelsstürmenden „Don Juan“ bis zur Selbstbespiegelung der „Sinfonia domestica“ und den Freuden und Gefahren einer Bergwanderung, die in der „Alpensinfonie“ zu Klang werden, über eine breite Palette von Möglichkeiten. Er hat seine „Farben“ immer neu, je nach künstlerischer Notwendigkeit, mit höchster Meisterschaft abgemischt.

Ein Handwerker. Kühne, dissonanzgeschwängerte Harmonik und ungenierter E-Dur-Zauber gehen bei ihm Hand in Hand. Dass das gelingt, hat etwas mit Können zu tun, mit einer souveränen Beherrschung des Handwerks – Genie allein genügt ja nicht zum künstlerischen Glück. Das wusste Strauss noch ziemlich gut.

Er dachte auch realistisch genug, um zu erkennen, worauf es seiner geliebten Opernkunst in Zukunft ankommen würde. Hie und da forderte er freilich auch die Gegenwart heraus, indem er das schier Unmögliche forderte. So viel Ausweis von Charakterfestigkeit in der Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs musste sein: Am Vorabend der Uraufführung seiner „Schweigsamen Frau“ (1935) erzwang er unter Androhung seiner Abreise aus der Uraufführungsstadt der meisten seiner Opern, Dresden, die Nennung des Namens des jüdischen Librettisten auf dem Abendplakat.

Er setzte sich durch. Das Publikum erfuhr, dass der Text von Stefan Zweig stammte – und die nationalsozialistischen Bonzen blieben dieser Premiere fern . . .

Im Übrigen vermengt das Strauss'sche Denken Kunst und Politik nur insofern, als er die integrative Kraft eines funktionierenden Kulturlebens für einen Staat erkannte. Dem entsprang der kühne Entschluss, in der Notzeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Geschicke der Wiener Staatsoper zu übernehmen.

An der Seite von Franz Schalk fungierte der Komponist und Dirigent Strauss als Direktor – und versicherte: Auch wenn aus der riesigen Habsburgermonarchie ein Kleinstaat hervorgegangen war, den viele nicht für lebensfähig hielten – aus seiner kulturellen Tradition könnte Österreich immer neue Kraft schöpfen.


„Testament“ in Sachen Oper. Den nämlichen Grundsätzen verpflichtet ist ein weiteres „kulturpolitisches Dokument“. Noch im April 1945 schickte Strauss an den Uraufführungsdirigenten der „schweigsamen Frau“, Karl Böhm, von dem er wusste, dass er wegen seiner kapellmeisterischen Qualitäten ein entscheidendes Wort im Musikleben nach dem Krieg mitzureden haben würde, ein „Testament“ in Sachen Zukunft der Oper. Sie würde, so viel stand für Strauss fest, ein Museumsbetrieb sein, in dem die wichtigsten Stücke des Repertoires immer aufs Neue fein herausgeputzt „ausgestellt“ würden.

Die Zukunft der Oper. Dieser „Dauerausstellung“ würden dann nach Maßgabe von Mode und Forscherneugier „Wechselausstellungen“ als Ergänzung dienen – Kleingeister kritisieren den Titelkatalog, den Strauss in sein Schreiben damals integrierte: Natürlich firmierte da neben Richard Wagner fast alles aus Straussens eigener Küche; und manches, was uns teuer ist, etwa Verdis „Don Carlos“, wird verdammt, weil „Veroperungen“ von Klassikern nach Meinung von Strauss auf der „deutschen Bühne“ nichts zu suchen hätten.

Das sind freilich Geschmacksfragen, die von Generation zu Generation neu aufgeworfen werden können. An der Richtigkeit der Museumsthese – und der Zweckmäßigkeit der für Wien verlangten Symbiose von Staatsoper und Theater an der Wien (!) – ändert das nichts.

Opernhäuser haben weltweit längst nur Überlebenschancen, wenn sie sich als musiktheatralische Partnerinstitute der großen Kunstbewahrungsstätten etablieren. Auf New Yorker Verhältnisse gemünzt: die MET neben MoMA und Metropolitan Museum. Genau das passiert; vergleichbar auch in Wien, auch in München.


Der Platz für Novitäten. Natürlich haben Uraufführungen in diesem System ihren Platz. Sie sind im Regelfall zu den Wechselausstellungen zu zählen, wobei jede Übernahme eines wirklich erfolgversprechenden Titels in die Dauerausstellung wünschenswert wäre.

Die These, dass nur Uraufführungen den Opernbetrieb für die Zukunft retten könnten, ist aber völlig falsch, entspringt einem zeitgeistigen Wunschdenken. Denn Strauss war, wie schon gesagt, der Letzte, der die Dauerausstellung wirklich zu bereichern vermochte. Das steht 150 Jahre nach seiner Geburt, 65 Jahre nach seinem Tod fest; zumindest für Beobachter, die sich keinen Illusionen hingeben – und die anlässlich eines Jubiläums eines Künstlers am liebsten über dessen Kunst diskutieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2014)

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Beim "Rosenkavalier" greift man ja doch wieder zu Vater Kleiber . . .

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