Die Schweizer segneten eine Verfassungsänderung ab, nach der rechtskräftig verurteilte Ausländer aus dem Land müssen. Die Regierung fürchtet nun Schaden für die Schweizer Reputation.
Bern/Wg/Ag. Rund ein Jahr nachdem sich das Schweizer Stimmvolk in einer weltweit umstrittenen Abstimmung für ein verfassungsmäßiges Bauverbot für Minarette ausgesprochen hat, wurden am Sonntag in einer Volksabstimmung schärfere Regelungen für die Ausweisung straffälliger Ausländer beschlossen: Nach Hochrechnungen vom Abend stimmten 53 Prozent der Wähler für die von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) vorgeschlagene Verfassungsänderung.
Demnach muss Artikel 121 der Bundesverfassung novelliert werden. So sollen Ausländer unabhängig von ihrem fremdenrechtlichen Status – also etwa Flüchtlinge aus Afrika gleichermaßen wie zugezogene Unternehmer aus den USA oder EU-Bürger – ohne weiteres Verfahren in ihre Länder verbracht werden, wenn sie rechtskräftig wegen schwerer Delikte wie Mord, Vergewaltigung oder Drogenhandel verurteilt werden. Die genaue Deliktsliste soll noch vom Parlament fixiert werden. Ausgewiesen sollen auch Personen werden, die das Sozialsystem missbrauchen.
Viermal mehr Abschiebungen?
Rund 47 Prozent erreichte ein milderer Gegenvorschlag der Regierung. Der lief auch auf eine Verschärfung hinaus und hätte eine Ausweisung schon wegen weniger schwerer Delikte ermöglicht; allerdings erwähnte er völkerrechtliche Schranken für Abschiebungen und verzichtete auf die Ausweiseautomatik des SVP-Entwurfs.
Diese macht die Abschiebung völlig unabhängig von persönlichen Umständen des Täters, etwa von seinem Alter, seinem Familienstand, seiner Integration in die Schweizer Gesellschaft und der Gefahr, dass er weitere Delikte begehen könnte. Insgesamt dürfte sich die jährliche Zahl an Ausweisungen etwa vervierfachen.
Laut Regierung verstößt die Abschiebeautomatik ohne Prüfung im Einzelfall gegen Verträge zur Personenverkehrsfreizügigkeit mit der EU. Sie könne auch die Europäische Menschenrechtskonvention verletzen, wenn man Kinder oder Familienväter ohne Rücksicht auf die Familie ausweise.
Im Vorfeld verbreitete Befürchtungen, die Initiative könne auch Ausweisungen von Menschen in Staaten legitimieren, in denen die Gefahr besteht, dass sie gefoltert werden, werden sich nicht bewahrheiten: Jene Bestimmung der Schweizer Verfassung, die das im Gefolge völkerrechtlicher Verträge verbietet, wird nicht angetastet.
Die SVP hatte an Heimatgefühl und Ängste appelliert. Plakate zeigten ein weißes Schaf, das einen schwarzen Artgenossen von der Schweizer Fahne kickt.
Keine höheren Steuern für Reiche
Bei einer zweiten Abstimmung wurde eine Steuererhöhung für Reiche verworfen. Die Initiative der Sozialdemokraten forderte landesweit einheitliche Mindeststeuern für Jahreseinkommen über umgerechnet 190.000 Euro und Vermögen von mehr als 1,5 Mio. Euro. Das hätte in Niedrigsteuerkantonen wie Zug oder Schwyz Steuererhöhungen für Reiche bewirkt (in der Schweiz ist Einkommensteuer Kantonssache). Die Wirtschaftsverbände waren dagegen Sturm gelaufen, bekannte Unternehmer hatten mit ihrem Wegzug gedroht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2010)