Hochgatterer will ein neues Bild von Casanova zeigen

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Paulus Hochgatterer schreibt für die Sommerspiele Melk sein erstes Theaterstück. Über Casanova. Wie vermeidet man das Klischee? Ein Gespräch mit dem Autor und mit Intendant Alexander Hauer.

Sommerfestspiele gibt es wie Sand am Meer. Wer da noch auffallen will, muss sich besonders positionieren. Alexander Hauer, Intendant der Sommerspiele Melk, versucht das mit einem Spielplan abseits von
Nestroy und Shakespeare. War in den vergangenen Jahren oft Sperriges wie die Nibelungen oder die Apokalypse des Johannes auf dem Programm, so wurde 2008 als Kontrast ein, nach Eigendefinition, sehr „praller und sinnlicher" Stoff gewählt. „Casanova -
Giacomo brennt" heißt das Stück, das Autor Paulus Hochgatterer im Auftrag der Melker Sommerspiele geschrieben hat. Durch die Wahl des renommierten Schriftstellers, der ja im Hauptberuf Psychiater ist, verspricht man sich vor allem eine Neupositionierung und tiefenpsychologische Beleuchtung der Figur abseits gängiger Klischees.

Herr Hauer, im Pressetext steht: „Casanovas Zeitalter eignet sich auch heute noch, erst recht vor der Kulisse des Stiftes Melk, als emotionaler Cyberspace ..". Was heißt das überhaupt?

Hauer: Wir versuchen immer, einen Bezug zur Kulisse herzustellen. Ein Pater des Stiftes hat einmal gesagt, die Malereien, die Fresken sind wie ein barocker Cyberspace. Wenn man sich vorstellt, was das für den barocken Menschen, also die ärmere Landbevölkerung bedeutet haben muss: Die waren ja damals bis zum Hals streng bekleidet und kommen dann in eine Kirche, wo lauter nackte Menschen und Engel herumschweben und wo eine dreidimensionale Welt vorgegaukelt wird. Das muss wie eine Droge gewirkt haben. Und ich glaube, dass sich dieser sinnliche Casanova-Stoff einfach für Projektionen und virtuelle Welten, in die wir abdriften können, optimal eignet.

Herr Hochgatterer, Ihre Bücher sind nicht besonders dialoglastig, sie bestechen eher durch eine detailreiche Beschreibung von Situationen und Menschen. Theater - eine neue Herausforderung?

Hochgatterer: Das ist total aufregend. Das mit den Dialogen ist natürlich eine Schwierigkeit und ich habe am Anfang in den ersten Fassungen den Fehler gemacht, den wahrscheinlich alle machen, nämlich viel zu viele Regiebemerkungen hineingeschrieben. Aus der völlig unsinnigen Idee heraus, man muss wie in einer Erzählung alles ganz genau beschreiben und vorgeben, und das ist natürlich Quatsch. Befreit habe ich mich erst gefühlt, nachdem Alexander mir gesagt hat, dass es sowohl für die Regisseure als auch für gewisse Schauspieler nichts Lästigeres und Furchtbares gibt als detaillierte Regiebemerkungen des Autors.

Was ist für Sie die Essenz des Casanova-Themas?

Hochgatterer: Die Essenz ist für mich, dass er ein im höchsten Maße leidenschaftlicher Mensch gewesen sein muss, der sich für alles, was ihm in der Welt begegnet ist, über die Maßen interessiert hat. Und dem sein Leben viel zu kurz geworden ist - zuerst um es zu leben und dann um es aufzuschreiben. Er hat die Autobiografie ja irgendwann abgebrochen, weil er einfach viel zu viel erlebt hat.

Und wie lautet Ihre Diagnose?

Hochgatterer: Im psychiatrischen Sinne könnte man sagen, das war ein ganz klassischer Hyperaktiver, der in einem anderen Tempo gelebt hat als die Menschen seiner Zeit, was ihm auch Schwierigkeiten eingebracht hat.

Casanova ist zu einer Art Marke geworden. Letztlich wollen doch alle Männer gerne ein bisschen „Casanova" sein. Wie erklären Sie sich die Sehnsucht nach so
einer Figur?

Hauer: Also das größere Interesse weckt diese Figur eindeutig bei den Frauen.

Hochgatterer: Ich glaube, er ist jetzt so interessant, weil er das leistet, was wir alle nicht mehr leisten können, nämlich in seiner Hyperaktivität und seiner Fähigkeit viele Dinge gleichzeitig und rasch hintereinander zu tun.

Das wäre die Anforderung unserer Zeit, aber wir alle können es nicht.

Hauer: Der Grund ist sicher, dass alle damit ihre eigene große Sehnsucht ausleben, dass man sich sexuell überhaupt nix mehr scheißen muss. Aber das ist ein völlig falsches Bild, das auf ihn geworfen wird. Wenn man Casanovas Memoiren liest, wird ganz klar, dass er vor den Menschen grundsätzlich großen Respekt hatte, und vor allem vor den Frauen.

Er ist sogar in unseren Sprachgebrauch übergegangen. „Du bist aber ein Casanova" ist für Männer nicht unbedingt ein Schimpfwort.

Hochgatterer: Ja, das mag schon sein, aber in Wahrheit ist er, um diesen Begriff zu strapazieren, keine „Marke", die man gerne tragen möchte.

Hauer: Ich glaube schon, dass er eine Projektionsfigur geworden ist. Lustigerweise erlebe ich das jetzt bei Pressefotos, da fällt dann auch manchmal der Satz: „Na, du bist ein Casanova" - und er fällt meistens mit einem Lachen. Offenbar macht dieser Name Menschen, ohne dass sie etwas über ihn wissen, einfach viel fröhlicher.

Hochgatterer: Ich glaube, man lacht, weil man Angst hat. Er repräsentiert etwas, das Angst macht.

Hauer: Aber so genau kennen ihn die Leute nicht. Sie haben höchstens Angst, sich auch so auszuleben.

Hochgatterer: Triebhaftigkeit oder scheinbare Triebhaftigkeit macht immer Angst, auch heute noch.

Hauer: Und weil man das gleichzeitig gerne selber erleben würde.

Hochgatterer: Wesentlich mehr Angst macht der Anspruch, nicht nur triebhaft zu sein, sondern alle Frauen, die man begehrt and besitzt, auch zu lieben, diesen Anspruch hat Casanova.

Casanova sagte den schönen Satz: „Die Liebe besteht zu drei Viertel aus Neugier".

Hochgatterer: Das ist sehr sympathisch und durchaus glaubwürdig, vor allem in Verbindung mit seinem Umgang mit Sexualität. Die sexuelle Neugier hat ihn von Kindheit an bestimmt, in einer unglaublich unschuldigen Art. Der hat die Frauen nicht betrogen - er hat sie verführt und sich verführen lassen und war dann immer wieder neugierig auf andere.

Hauer: Hier geht es auch um eine Sehnsucht nach Neudefinition des Moralbegriffs. Wenn du von betrügen sprichst, ist das ja nichts anderes als unsere katholische Moralvorstellung. Im Prinzip muss man einfach sagen, dass zu Casanovas Zeiten Ehe, Sexualität und Liebe drei vollkommen getrennte Themen waren. Das „Vernaschen" ist ja davon übergeblieben. Früher war es wirklich so: Essenseinladung, miteinander ins Bett gehen und dann wieder heimfahren ...

Hochgatterer: Das ist abgekommen (lacht).

Hauer: Ja, das ist leider abgekommen. Insofern gab es damals einfach ganz andere Moralvorstellungen und Begrifflichkeiten. Ich sag immer flapsig: Die Verbindung zwischen Liebe, Sexualität und Ehe ist erst möglich seit der Einführung der Sozialversicherung. Denn früher war die Ehe die Sozialversicherung und der Rest hat woanders stattgefunden.

Tipp
Casanova - Giacomo Brennt

Donauarena Melk:
15.7.-16.8.

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