Berlusconi, der Müll und die Ausländer

(c) Reuters
  • Drucken

Neapels Müllkrise hat sich schon fast zum Aufstand ausgewachsen. Der Premier will nun aufräumen.

NEAPEL/ROM. Was derzeit in Neapel passiert, das ist mehr als die mindestens siebenundvierzigste Müllkrise. Es hat die Züge eines Aufstands. Nicht nur, dass sich wieder einmal 5000 Tonnen Hausmüll in den Straßen sammeln. Nein. Diesmal haben Demonstranten – oder wer immer hinter dieser konzertierten Aktion steckt – die Abfallberge eingeebnet und den Dreck wie einen Teppich gleichmäßig über die Straßen verteilt. Regierungschef Silvio Berlusconi, wenn er sein Kabinett am Mittwoch zur ersten, zur „programmatischen“ Sitzung nach Neapel bringt, soll gebührend empfangen werden.

Gleichzeitig haben Mitglieder dieser unbekannten „Empfangskommandos“ zahlreiche Müllcontainer zu Straßensperren angeordnet und – wie sie es derzeit fast jede Nacht tun – den Unrat an hundert Stellen der Stadt angezündet. Feuerwehrleute wurden tätlich angegriffen. Die Sicherheitsbehörden wissen nicht mehr weiter.

Der im Jänner noch von der Regierung Prodi ernannte Sonderkommissar Gianni De Gennaro steht am Ende seines Mandats vor einem Scherbenhaufen – im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei galt De Gennaro als der fähigste Polizist überhaupt. Italiens Polizeichef Antonio Manganelli sagt, er sei schockiert, „dass nicht einmal ein Mann wie De Gennaro es schafft“.Den Grund sieht Manganelli darin, dass die „Institutionen“ vor Ort nicht zusammengearbeitet haben.

De Gennaro ist, wie alle seine Vorgänger, daran gescheitert, dass in der Region Kampanien keiner den selbstproduzierten Müll lagern oder entsorgen will. Immer wieder aufflammende Bürgerproteste haben die Errichtung von Deponien ebenso verhindert, wie sie seit Jahren den Bau einer Verbrennungsanlage torpedieren. Kommunal- und Regionalpolitiker haben sich an dieser Totalverweigerung beteiligt. Abkommen mit der Stadt Neapel waren schon geschlossen, da zog die populistische Bürgermeisterin Rosa Russo Iervolino ihre Zustimmung zu neuen Deponien wieder zurück.

Vor wenigen Tagen beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft, von diversen Strafanzeigen dazu bewogen, zwei der entscheidenden neuen Zwischenlager – seither versinkt Neapel wieder in Dreck, Gestank und Fäulnis. Was Berlusconi dagegen tun will, ist noch nicht bekannt. Spekuliert wird, dass er Rechte und Gesetze außer Kraft setzen will, um – womöglich mit größeren Befugnissen der Armee als bisher – die Eröffnung von Deponien unter Zwang zu erreichen.

Scharfe Schelte aus Spanien

Auch das zweite Thema, mit dem sich der Ministerrat am Mittwoch beschäftigen will, hat sich in Neapel dramatisch zugespitzt. In der vergangenen Woche war es im Osten der Stadt zu Brand- und Prügelanschlägen auf Roma-Lager gekommen – zur gleichen Zeit, da die neue Mitte-Rechts-Regierung ihr „Sicherheitspaket“ ausarbeitete. Dieses richtet sich in erster Linie gegen illegale Einwanderer und „kriminelle Ausländer“. In Italien kursiert nun die Hypothese, dass sich die Schlägertrupps durch den angekündigten strengen Kurs der Regierung erst so richtig zu ihren Taten angestiftet sahen.

Scharfe Kritik an Italiens Immigrationspolitik kommt indessen aus Spanien: Rom kriminalisiere „Andersartige“ und missachte mit seiner Politik der Abschiebungen die Rechte von Einwanderern, meinte der zuständige Minister Celestino Corbacho. Das Vorgehen fördere Gewalt und Rassismus. Zudem sei Berlusconi „ein Fall für den Psychiater“, meinte die spanische Ministerin für Gleichberechtigung, Bibiana Aido.

„Wir müssen vermeiden, dass die Wut über die Regeln des zivilen Zusammenlebens siegt und dass sich Episoden ungerechtfertigter Gewalt, wie die in Neapel, wiederholen,“ meinte Innenminister Roberto Maroni am Freitag in Rom. Der Staat müsse sein Territorium zurückerobern, sagte er. Aber in Neapel, wo der Staat schon kaum mehr existiert – wie soll das gehen?

NEAPEL IN DER KRISE

5000 Tonnen Müll liegen in den Straßen Neapels und warten auf ihre Entsorgung. Empörte Bürger zünden die Berge an. Zudem ist es vergangene Woche im Osten Neapels zu Brandanschlägen auf Roma-Lager gekommen. Ein umstrittenes „Sicherheitspaket“ soll Abhilfe schaffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.