Anleger flüchten aus der Türkei: Lira im freien Fall

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Politische Unsicherheit und Terroranschläge treiben die türkische Währung von einem Rekordtief zum nächsten.

Die türkische Landeswährung Lira stürzt immer weiter ab. Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei im Sommer hat sie rund 30 Prozent ihres Wertes verloren. Wegen politischer Turbulenzen und Terroranschlägen ziehen Anleger scharenweise ihr Geld aus dem Land am Bosporus ab.

Jetzt führen ehrgeizige Pläne von Staatschef Recep Tayyip Erdogan zu noch mehr Verunsicherung - und treiben die Lira auf immer neue Rekordtiefs. Die Notenbank sieht machtlos zu.

Seit Jahresbeginn rauscht die Lira immer schneller bergab. Wertverluste von mehr als zwei Prozent an einem Tag sind keine Besonderheit, am Mittwoch war die Währung so schwach wie nie zuvor. Inzwischen müssen die Türken mehr als vier Lira hinblättern, um einen Euro zu erhalten - noch im Sommer waren es kaum mehr als drei Lira. Und Hinweise auf baldige Besserung gibt es nicht. "Eine Stabilisierung oder gar eine Gegenbewegung ist nicht in Sicht", sagt Manuel Schimm, Experte bei der Bayerischen Landesbank. Auch in diesem Jahr werde die Lira für Investoren äußerst unattraktiv bleiben.

Anleger fürchten unberechenbaren Staatschef

Zwar ist die Währung bereits seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 deutlich unter Druck. Aber jetzt nimmt die Verunsicherung der Anleger wegen neuer Sorgen um die politische Entwicklung in der Türkei noch weiter zu. Denn im Parlament in Ankara wird dieser Tage über eine von Erdogan angestrebte Verfassungsreform abgestimmt.

Der Staatschef will ein Präsidialsystem einführen und somit seine Macht noch weiter ausbauen. Die ersten beiden von 18 Artikeln haben die Abgeordneten in der Nacht zum Mittwoch vorerst abgenickt. Am Ende soll noch das Volk abstimmen. Weite Teile der Opposition laufen Sturm gegen die Reform und warnen vor einer "Diktatur" in der Türkei.

Nichts aber fürchten Anleger an den Finanzmärkten mehr als einen unberechenbaren Staatschef, der schalten und walten kann wie er will. So gerät die Lira ins Taumeln; und die türkische Notenbank schaut offenbar machtlos zu. Zwar hat sie sich gegen die Lira-Schwäche gestemmt, indem sie den heimischen Banken erlaubt, mehr Dollar zu verkaufen. Zuvor mussten die Geldhäuser höhere Dollar-Bestände als Sicherheit bunkern. Dies sei aber weder das richtige Mittel noch reiche es aus, kritisiert Tatha Ghose, Experte bei der Commerzbank.

Erdogan fordert Zinssenkung

Auch Appelle Erdogans, die Türken sollten ihre Devisen unterm Kopfkissen hervorholen und zur Bank bringen, klingen eher verzweifelt als nach einer durchdachten Strategie. Auf die Dauer werde die Notenbank um Zinserhöhungen nicht herum kommen, meint Ghose.

Das Problem aber ist: Höhere Leitzinsen drohen die türkische Wirtschaft noch weiter abzuwürgen. Deshalb sitzt Erdogan den Währungshütern im Nacken. Bereits mehrfach hat der Staatschef sogar Zinssenkungen gefordert. Zwar stellt er offiziell die Unabhängigkeit der Notenbank nicht infrage. Als Präsident habe er aber das Recht zur Kritik. "Denn ich bin es, der vor seinem Volk die Ohrfeige abbekommt, nicht der Notenbank-Bürokrat", so sein Argument.

Und Erdogans Sorgen um die Konjunktur kommen nicht von ungefähr. Die türkische Wirtschaft ist im dritten Quartal 2016 erstmals seit dem Krisenjahr 2009 geschrumpft. Vor allem der Tourismussektor leidet. Eines der beliebtesten Reiseländer der Deutschen versinkt im Chaos, aus Angst bleiben Besucher weg, die Hotels sind leer. Für dieses Jahr hat die türkische Regierung ihre Wachstumsprognose für die Wirtschaft von 5,0 auf 4,4 Prozent gesenkt.

Leistungsbilanzdefizit gibt Lira den Rest

Zu allem Überfluss hat die Türkei schon lange mit einem chronischen Leistungsbilanzdefizit zu kämpfen. Seit der Jahrtausendwende exportiert das Land fast kontinuierlich viel weniger als es importiert. Das macht die Türkei besonders verletzlich bei einer Talfahrt der Währung, denn diese macht Importe teurer. Das heizt die Inflation an, zuletzt lag die Teuerungsrate bei satten 8,5 Prozent. Für die Türken bedeutet das: Bei gleichem Geld im Portemonnaie landet weniger in der Einkaufstüte.

Und selbst wenn die Notenbank gegen den Willen Erdogans die Zinsen anhebt, ist nicht sicher, ob sie damit gegen die Lira-Schwäche ankommt. Zweifel daran wurden im November bestärkt, als die Notenbank erstmals seit Anfang 2014 den Leitzins anhob; auf das jetzige Niveau von 8 Prozent. Die Lira konnten sie dadurch nur vorübergehend stützen, schon bald fiel sie weiter. Die gefährliche Medizin war verabreicht worden, aber die Krankheit blieb - sehr zum Ärger Erdogans.

Coface sieht Risiko für Unternehmen

Der internationale Kreditversicherer Coface geht in Anbetracht der politische Unsicherheit und der geschwächten Lira für die Türkei nur von einem Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent für 2017 aus. Nach Ansicht von Coface wird der Staat mit einer offensiven Ausgabenpolitik für die verunsicherten Investoren und Unternehmen in die Bresche springen müssen. Denn die schwache Landeswährung bremse den wichtigsten Treiber der türkischen Wirtschaft, den privaten Konsum. So leide der Einzelhandel schon erkennbar unter der schwächelnden Inlandsnachfrage. Die negative Entwicklung werde verstärkt durch weitere Faktoren wie die Terroranschläge, Spannungen an der Grenze zu Syrien, steigende Kreditzinsen und anziehende Inflation. Auch das veranlasse Verbraucher, Ausgaben zu verschieben. Vom Tourismus, der wegen der Sicherheitsproblematik und des angespannten Verhältnisses zu einigen Nachbarländern eingebrochen ist, seien keine Impulse für eine Besserung zu erwarten.

„Die weitere Entwicklung ist auch von den Kapitalzuflüssen aus dem Ausland abhängig“, erklärte Michael Tawrowsky, Country Manager Coface Austria. Diese sanken von Jänner bis September 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 12 Prozent auf 26,9 Milliarden Dollar. Dieser Rückgang trug mit zur Abwertung der Lira um 16 Prozent gegenüber dem Euro-Dollar-Währungskorb bei.

In der Coface-Länderbewertung ist die Türkei schon seit September 2014 nur in B eingestuft und damit außerhalb der Top-Kategorien (A1 bis A4). Coface misst dabei nicht die Staatsbonität, sondern das Risiko für Forderungsausfälle, das Unternehmen bei Geschäften mit Abnehmern in dem jeweiligen Land haben.

(APA/dpa)

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