Steuerexperte Kirchhof: „Die Erbschaftssteuer ist gerecht“

(c) AP (Roberto Pfeil)
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Paul Kirchhof erhielt 2005 im deutschen Wahlkampf Schelte für sein Flat-Tax-Konzept. Heute fühlt er sich in seiner Ansicht bestätigt und fordert ein Steuermodell ohne Schlupflöcher für Reiche.

Die Presse: Sie mussten im deutschen Wahlkampf 2005 wegen ihrer Forderung nach einer Flat Tax schwere Prügel einstecken. War es ein Fehler, mit einer derart radikalen Steuerreform vor die Wähler zu treten?

Paul Kirchhof: Ich habe bei allen Versammlungen nach Diskussion Zustimmung erfahren. Mein Problem war nur: Ich hatte das kleine Mikrofon: Vor mir war ein Saal mit 300 bis 3000 Leuten, der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte im Fernsehen acht Millionen Zuschauer. Deswegen hatte ich keine Chance. Und vier Wochen Zeit waren zu kurz. Es war nicht das Problem, dass die Menschen von der Flat Tax verunsichert waren. Nicht, nachdem ich ihnen klar gemacht habe, dass wir etwa bei der Körperschaftsteuer schon eine Flat Tax haben und bei den Kapitalerträgen einen einheitlichen Steuersatz erwarten, der inzwischen mit 25 Prozent beschlossen ist. Wir werden dann aber, wenn wir 25 Prozent für Kapitalerträge genügen lassen, nicht mehr 45 Prozent für Arbeitserträge einheben können.

Weil es eine Ungleichbehandlung wäre?

Kirchhof: Dann wäre die Arbeit gegenüber dem Kapital wesentlich benachteiligt. Wenn Sie dann noch wissen, dass die Progression in Deutschland bei 10.000 Euro ansetzt und bei 52.000 endet, dann sehen Sie, dass die Progression im Grunde nur eine Entlastung des mittleren Einkommens ist. Die haben wir ja auch in unserem Modell.

Wenn Sie diskutieren, werden Sie bemerken, dass es in Westeuropa als vergleichsweise unsozial gilt, wenn der Vorstandsvorsitzende den gleichen Steuersatz bezahlt wie sein Chauffeur?

Kirchhof: Nicht, wenn die Leute wissen, dass er heute noch weniger bezahlt. Er zahlt 42 Prozent plus Solidaritätszuschlag, kann aber seine Bemessungsgrundlage wesentlich verringern. Und 42 mal null ist immer noch null. Es kommt darauf an, dass das Einkommen unausweichlich vollständig besteuert wird. Ich habe den Menschen gezeigt, wie man heute, wenn man gut beraten ist, sein Einkommen verringern kann. Wer dann 40 Prozent auf das halbe Einkommen bezahlt, zahlt im Grunde nur 20 Prozent. Wir wollen aber, dass er 25 Prozent abgibt. Das heißt, wir schaffen mehr Gleichheit, indem wir auch die großen Einkommen vollständig zur Finanzierung des Staates heranziehen. Wenn wir dann feststellen, dass wir mit 25 Prozent Steuern den Staat ausreichend finanziell ausstatten, gibt es keinen Grund, über höhere Sätze nachzudenken. Das Wichtigste aber ist, dass der Mensch wieder lernt, was sich im Steuerrecht gehört.

Damit spielen sie darauf an, dass man den Leuten den Spielraum bei Steuergestaltung und Steuerflucht beschränkt?

Kirchhof: Alle Rechtsgebiete brauchen klare Regeln: Eltern sorgen für ihre Kinder, Eigentum darf man nicht stehlen. Es muss auch wieder den Menschen bewusst sein, dass, wer ein System wie den Staat nutzt, auch etwas dafür tun muss, dass es das System in 20 Jahren noch gibt. Da gehört es dazu, dass die, die in diesem System zu individuellem Einkommen gekommen sind, einen maßvollen Teil davon wieder abgeben. Und das ist ein Viertel. Es können nicht 24 Prozent oder 26 Prozent sein. Es muss eine griffige Zahl sein: Ein Viertel!

Wenn man ein Viertel angibt, gibt der Vorstandsvorsitzende, der eine Million verdient, 250.000 Euro ab, der 80.000 verdient, gibt 20.000 ab?

Kirchhof: Das Problem war, dass die Menschen Steuersatz und Steuerbetrag gleichgesetzt haben. Dabei zahlt bei 25 Prozent für alle der Millionär 250.000 in die Kassa, die Sekretärin, die 20.000 verdient, zahlt rein rechnerisch 5000 Euro, wegen der Freibeträge aber nur 1400 Euro. Und plötzlich hoffen wir, dass der Millionär im nächsten Jahr zwei Millionen verdient, weil wir gerne möchten, dass er 500.000 Euro an Steuern zahlt. Da haben die Menschen wieder Freude an der Leistung und dem Erfolg des anderen, weil er zu einem Viertel ihr Erfolg ist. Dafür braucht es ein klares Konzept, das lautet: Ein Viertel gehört dem Staat, sonst bist du kein anständiger Mensch.

Wie erklären Sie sich den großen Widerstand? Eigentlich müsste ein System, das Besserverdienende zu einer höheren Steuerleistung zwingt und den mittleren Einkommen den Steuerberater erspart, von allen Seiten beklatscht werden. Dringen Sie da nicht durch, oder gibt es Widerstand durch den Staat?

Kirchhof: Nein. Im Grunde will fast keiner mehr ein kompliziertes System. Sogar die Steuerberater kennen sich nicht mehr aus.

In Österreich gab es große Diskussionen um die Abschaffung der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Ist die in Ihrem System drinnen?

Kirchhof: Ja. Wir haben im Moment in Deutschland 32 Steuern, in unserem Modell nur noch vier. Eine auf das Einkommen, eine Umsatzsteuer, eine Erbschafts- und Schenkungssteuer und eine besondere Verbrauchssteuer auf Energie, Alkohol und Tabak. Die Idee hinter der Erbschaftssteuer ist: Wir besteuern den Bürger immer dann, wenn er mit Hilfe dieser Rechtsgemeinschaft leistungsfähiger geworden ist. Wer Kapital erbt, ist leistungsfähiger geworden, und die Rechtsgemeinschaft hat viel dafür getan. Sie garantiert ein Erbrecht, der Erbe muss nicht um sein Erbe kämpfen, das Recht garantiert einen funktionierenden Markt, auf dem er sein Erbe nutzen kann. Das heißt, seine höhere Lebensqualität verdankt der Erbe, der selbst nichts dazu getan hat, auch der Rechtsordnung. Und wir sagen: Wer diese Leistungen empfängt, muss einen maßvollen Teil davon abliefern.

Womit sie aber der Doppelbesteuerung von Einkommen das Wort reden. Wenn ich 100.000 Euro von meinem Erblasser bekomme, sind die schon mit 25 Prozent besteuert worden. Ich müsste also für dasselbe Geld noch einmal 25 Prozent an Steuern bezahlen?

Kirchhof: Man muss immer das Steuersubjekt im Blick haben. Der Erblasser hat seine Einkommensteuer gezahlt. Er geht vorbei am Kassahäuschen der Einkommensteuer, liefert dort seine 25 Prozent ab, und ist dann in den Garten der Freiheit entlassen. Er konnte sein Einkommen sparen, verprassen, zur Spielbank tragen oder vererben. Er hat sich entschieden zu vererben. Jetzt kommt ein Erbe zu Geld, der dafür aber nie Einkommensteuer bezahlt hat.

Wenn jedes Rechtssubjekt besteuert wird, ist aber bald nichts mehr da?

Kirchhof: Nein, weil wir nicht Vermögen und Grundstücke besteuern, sondern immer den Menschen, wenn er freiwillig auf den Markt geht, um zu tauschen. Er geht auf den Arbeitsmarkt und bekommt seinen Lohn, er gibt Kaufkraft und bekommt Ware. Der Staat verteuert den Preis des Leistungstausches. Unser Ansatz ist: Wenn der eine reich geworden ist, muss er Steuern abliefern. Wenn der andere reich geworden ist, auf der Grundlage dieses Geldes, muss er wieder Steuern zahlen.

In anderen Worten: Eine Erbschaftssteuer ist auch gerecht?

Kirchhof: Die Erbschaftssteuer ist gerecht, und zwar aus dem Gedanken heraus, dass der Staat wesentlich dazu beigetragen hat, dass der Bürger erben kann.

Gerecht dann, wenn die Arbeit im Gegenzug auch maßvoll besteuert wird. Hohe Steuern auf Einkommen und eine hohe Erbschaftssteuer können ja nicht der Weg sein, oder?

Kirchhof: Die ganzen Überlegungen gehen davon aus, dass wir eine maßvolle Besteuerung haben. Grundlage ist eine Kultur des Maßes. Und im Rahmen dieser Kultur des Maßes fragen wir, wie wir diese ärgerliche, aber notwendige Steuerlast gleichmäßig verteilen.

ZUR PERSON: PAUL KIRCHHOF

417 Ausnahmen: So viele Schlupflöcher zähle das deutsche Einkommensteuergesetz, sagte der Steuer- und Verfassungsrechtler Paul Kirchhof (* 1943) während des Bundestagswahlkampfs 2005. Dagegen setzte er sein Modell einer Flat Tax von 25 Prozent – und bestimmte damit monatelang die wirtschaftspolitische Debatte. Damit wollte er die „Zehn-Minuten-Steuererklärung“ ermöglichen, die auf einem Bierdeckel Platz fände.

„Dieser Professor aus Heidelberg“, wie ihn Bundeskanzler Gerd Schröder (SPD) despektierlich zu nennen pflegte, konnte sich mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen. Die CDU, als deren Finanzminister er in die neue Regierung hätte einziehen sollen, ließ ihn unter dem Druck der öffentlichen Meinung fallen. „Auf diesem Kirchhof wird die Gerechtigkeit begraben“, ätzte der grüne Außenminister Joschka Fischer damals im „Welt“-Interview.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2008)

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