Anna Netrebko in frommer Umgebung

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In der Reihe "Great Voices": Die Operndiva Anna Netrebko sang in Gioachino Rossinis "Stabat Mater" und exponierte sich nur so weit, wie ihr Part das verlangt. Ruxandra Donose harmonierte im Duett gut mit ihr.

Eine „schwärmerische Dilettantenwelt“ habe diesem „Stabat Mater“ einzig zum Durchbruch verhelfen können, spöttelte nach der Uraufführung 1842 ein unter Pseudonym schreibender Autor in Schumanns „Neuer Zeitschrift für Musik“: „Rossini ist fromm – alle Welt ist fromm, und die Pariser Salons sind Betstuben geworden.“

Kein anderer als der 29-jährige, noch keineswegs erfolgsverwöhnte Richard Wagner war es, der dem älteren, als Opernkomponist längst freiwillig „pensionierten“ italienischen Kollegen damals Triumph und Salär neidete. Häme begleitet das angeblich so andachtsarm-säkulare Werk für Soli, Chor und Orchester Rossinis zum Teil bis heute, vor allem nördlich der Alpen – vielfach durch Unkenntnis seines historischen Kontexts.

Nun, um der geistigen Einkehr willen hatte sich das Gros des Publikums am Dienstag wohl auch nicht gerade im Wiener Konzerthaus versammelt – viel eher war da ein Hauch von „schwärmerischer Dilettantenwelt“ zu fühlen: wenn etwa vor der Pause Einzelne zwischen den Sätzen von Mozarts (mit kleinen Überraschungen garnierter) Linzer Symphonie justament applaudieren wollten.

Selbstredend ging es für viele um eine Huldigung anderer Art, nämlich darum, im Rahmen der Reihe „Great Voices“ Anna Netrebko zu hören, ihr zuzujubeln, seitenblickend vielleicht auch Erwin Schrott im Publikum zu finden – wenn dergleichen Klassik-Novizen erzeugt, soll uns das nur recht sein.

Vehemente dramatische Teile

Netrebko ist allerdings disziplinierte Künstlerin genug, um sich innerhalb des Solistenquartetts nur so weit zu exponieren, wie ihr Part das verlangt. Über Fülle, Wohllaut und dramatischen Impetus gebietet sie in reichem Maße, über fein ziselierte Trillerketten (im „Inflammatus“) weniger. Ruxandra Donose harmonierte im Duett gut mit ihr, wenn sie auch in der Cavatina ihren Mezzosopran nicht ganz so leicht wie wünschenswert führen konnte.

Ausreichend Leichtigkeit konnte indes Colin Lee mit seinem nicht direkt einschmeichelnden, aber stets sicheren Tenor mobilisieren, als er im berühmten „Cujus animam“ bis zum hohen Des aufzusteigen hatte: Im Verein mit dem hoch motiviert und nicht zuletzt in den Bläsersoli klangschön agierenden Wiener Kammerorchester gelang es dem Dirigenten Frédéric Chaslin, hier keinen putzigen Militärmarsch, sondern eine rhythmisch unterfütterte Kantilene zu präsentieren.

Dafür ließ Chaslin, ganz ähnlich seiner tags zuvor in der Staatsoper präsentierten „Werther“-Lesart, die dramatischen Teile besonders vehement ausbrechen – vielleicht zu vehement. Denn gerade an dergleichen markerschütternden Posaunenstößen schien sich John Relyea zu orientieren und fiel dadurch als auch an ruhigen Stellen allzu mächtig orgelndes Bassbariton-Raubein immer wieder aus dem homogenen Klang der Soli heraus.

Die Wiener Singakademie schließlich gab ihr Bestes – und steuerte jene unverzichtbare Basis an kollektiver Inbrunst bei, auf der auch Rossinis Sakralmusik basiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2011)

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