Krise der Sozialdemokratie: Der Verlust der Mitte

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Die politische Mitte ist deutlich nach links gerückt. Das stürzt die Sozialdemokratie in ein Paradox: Sie führt einen Mehrfrontenkampf auf eigenem Territorium.

Das Desaster, das die deutschen Sozialdemokraten am gestrigen Wahlabend erlitten haben, lässt sich mit dem Debakel der SPÖ bei den oberösterreichischen Landtagswahlen natürlich nur bedingt vergleichen. Erstens geht es bei der Wahl zum gesetzgebenden Körper der größten Volkswirtschaft um etwas mehr als in der verfassungsmäßigen Operettenliga des österreichischen Föderalismus. Zweitens ist Erich Haider, der Spitzenkandidat der oberösterreichischen SPÖ, unvergleichlich.

Dennoch sind die Serienniederlagen, von denen die österreichische Sozialdemokratie seit dem Regierungsantritt von Parteichef und Bundeskanzler Werner Faymann heimgesucht wird, am Ende auch nur Teil jenes Strukturproblems, das die europäische Sozialdemokratie „ausgerechnet“ in der Wirtschaftskrise erfasst hat. So sehen das zumindest viele Sozialdemokraten: dass diese Krise eine Überraschung ist, weil eigentlich in Krisenzeiten Parteien, die soziale Absicherung und staatlichen Schutz für alle propagieren, gewinnen müssten.

Das Gegenteil ist der Fall: Diejenigen, die sich der ökonomischen Realität verweigern und lieber an staatliche Lösungen für alle Probleme glauben, sind in Deutschland mit der Linkspartei besser bedient, in Österreich lassen sich derartige Fantasien sogar links (bei den Grünen) und rechts (bei der FPÖ) verkaufen. In der Mitte der gesellschaftlichen Leistungsträger aber, dort, wo diese Krise wirklich angekommen ist, weiß man inzwischen ganz gut, dass sich die Bonusregelungen für viele der internationalen Spitzenbanker außerhalb jeder Relation befunden haben und vor allem unternehmensschädigend gewesen sind. Das Märchen, dass man die Reichen schröpfen und den Staat nur machen lassen soll, glaubt dort längst niemand mehr. Man weiß in der Mitte der Gesellschaft, dass das, was wir derzeit erleben, die Folgen einer unfassbaren Verschuldungskrise sind, die man nicht so einfach mit einer Ausweitung der staatlichen Schulden wird bekämpfen können.


Die Sozialdemokratie befindet sich in einer paradoxen – und lebensgefährlichen – Situation: Zwar hat sich die politische Mitte, der sie sich seit dem Ende der 70er-Jahre zugehörig fühlt, während des letzten Jahrzehnts deutlich in ihre Richtung verschoben. Das hat aber dazu geführt, dass sie mit den nach links gerückten Volksparteien, die ehemals rechts der Mitte agiert haben, auf ihrem eigenen Territorium ringen muss. Zugleich wandern jene, die mit der Mitte-Position nichts anzufangen wissen, weiter nach links.

Sowohl in der SPD als auch in der SPÖ machen nach den Niederlagen dieses Jahres die Parteilinken Druck für ein „klareres“, das heißt natürlich „linkeres“ Profil: mehr Staat, mehr Umverteilung, mehr Klassenkampf. Was da verlangt wird, ist der Abschied aus der Mitte. Vielleicht fällt das jetzt leichter: Man hat sie ja gerade verloren.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2009)


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