Oktoberfest: Die fünfte Jahreszeit der Bierseligkeit

(c) AP (Christof Stache)
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Deutschland. Ausnahmezustand in München – das muss wohl das Oktoberfest sein.

MÜNCHEN. Der Boden bebt, die Menge johlt, das Zelt tobt. Die Stimmung im „Hippodrom“, am Eingang zur „Wiesn“, ist auf den Siedepunkt geklettert. Auf der Bühne presst die Sängerin den Tina-Turner-Hadern „Proud Mary“ hervor, und das partywütige Volk kennt kein Halten mehr. Es rast mit im Crescendo. Alle hüpfen, wippen, tanzen und trampeln auf den Bänken und liegen sich in den Armen – und das seit Stunden.

Unterm Zeltdach mischen sich Bierdunst, Zigarettenrauch und Schweiß zu einer würzigen Duftnote. Drinnen schnappen die aufgebrezelten Dirndl- und Zöpfchenträgerinnen im Disco-Sound nach Luft, draußen im Gebüsch fließen die Körpersäfte in allen Aggregatzuständen. Längst sind die Hemmschwellen gefallen, längst ist das Zelt wegen Überfüllung geschlossen. Klaus, ein bulliger Zerberus aus Amstetten, bewacht den Notausgang. Keiner kommt ohne Einlasskarte an ihm vorbei – selbst dann nicht, wenn er einen Geldschein zückt; oder sie aufdringlich mit dem Dekolleté wackelt.

Das größte Volksfest der Welt

Tag für Tag versuchen Hunderttausende irgendwie mit dabei zu sein beim größten Volksfest der Welt, dem Münchner Oktoberfest. Die U-Bahn-Station Theresienwiese bricht unter der Last der Völkerwanderung regelmäßig zusammen. Die großen Zelte sind über Monate im voraus ausgebucht, reserviert für Firmen und VIPs. Und doch warten allüberall Menschenschlangen auf Einlass. Viele Wiesn-Besucher belagern das „Hippodrom“, das „Weinzelt“ oder den Holzzaun vor „Käfers Wiesnschänke“, dem Promi-Treff schlechthin, – auch nur, um den Bayern-Stars und der Neo-Münchner Schickeria beim Feiern auf die Wadln zu schauen.

Während der 16 Tage des Oktoberfests herrscht Ausnahmezustand in der Weißwurst-Metropole. Es ist die „fünfte Jahreszeit“, wie einer sagt – zwei Wochen, in denen der Nepp regiert. Trotz saftiger Aufschläge sind die Hotels prallvoll, eine Maß Bier kostet heuer 7,80 Euro – und doch geht sie mehr als sechs Millionen Mal über die Tresen. An Spitzentagen machen die Wirte bis zu einer halben Million Euro Umsatz. Insgesamt spült das Oktoberfest eine Milliarde Euro in die Kassen.

Der Andrang ist groß. Allein eine Invasion von einer viertel Million Italienern wälzt sich samt Wohnmobilen über die Alpen nach „Monaco di Baviera“. Und die Stadt steckt voller herausgeputzter Dirndl- und Lederhosenträger, die ihre Sepplhüte, Joppen, Haferlschuhe und Wadlstrümpfe spazieren führen. Das gehört zum ungeschriebenen Kleidungskodex. „Es ist für uns die Gelegenheit, einmal im Jahr die Tracht aufzutragen“, bekundet eine bayerische Geschäftsfrau.

Viele Einheimische bleiben dem Rummel mittlerweile fern. Die Jugend zieht es aber wieder hinaus zur Wiesn – und sei es nur, um im „Sky Flyer“ nächtens über die Dächer zu wirbeln oder auf der Achterbahn zu donnern, bis der Kopf dröhnt. Noch gibt es im Vergnügungspark althergebrachte Lustbarkeiten wie das „Teufelsrad“; oder die „Karoline“, das Bierkarussell, auf dem eine Blasmusik-Kapelle zum Hum-Tata aufspielt.

Roland, Freddy und Otto aus Köln fühlen sich derweil pudelwohl im „Schottenhamel“-Zelt, in dem Münchens Bürgermeister mit dem traditionellen Ruf „Ozapft is“ die bierselige Zeit eröffnete. Auf den Spießen brutzeln die Grillhendln, die Kellnerinnen in schwarzer Adjustierung und weißem Häubchen wuchten die Bierkrüge durch die Menge, die Kellner balancieren ihre Tabletts an den Menschenschlangen vor den Toiletten vorbei. „Oans, zwo, gesuffa.“ Gerade hat die Musik-Combo das „Prosit der Gemütlichkeit“ intoniert. Es erschallen DJ Ötzi und der STS-Klasiker „I wü wieder ham“.

Hammerharte Heldentaten

Noch bleibt den drei Kölnern und ihren Stammtischkumpels Zeit für die letzte Maß. Zum Gassenhauer „Viva Colonia“ schunkeln sie, bis der Nachtzug sie von der Isar zurück an den Rhein befördert. „Das ist fast besser als Karneval“, stöhnt Otto im ohrenbetäubenden Lärm.

Vorbei an Bierleichen, Pappbechern und Glasscherben wälzt sich eine Karawane, wankend und lallend, zur After-Wiesn-Party in die Innenstadt oder nach Schwabing. Noch nicht ausgenüchtert brüstet sich eine Hamburger Jungmännerrunde anderntags ihrer Heldentaten: „Hammerhart. 14 Stunden Saufen.“ Jetzt ist ihnen nach Frühstück. Am besten „Rührei mit Bier“.

IN ZAHLEN

Das 174. Oktoberfest besuchten bisher mehr als drei Mio. Menschen, die 56 Ochsen und 3,4 Mio. Maß Bier verzehrten. 15% der Gäste kommen aus dem Ausland (USA, Kanada, Australien und Russland). Im Fundbüro sind bisher eingelangt: 110 Schlüssel, 80 Handys, eine Zahnprothese.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2007)

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