"Eden": Antanzen gegen das Älterwerden

Eden
Eden(c) Thimfilm
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Regisseurin Mia Hansen-Løve beschreibt in „Eden“ eine Musikszene im Wandel – und wird dabei dem Lebensgefühl einer bislang filmisch vernachlässigten Generation gerecht.

Daft Punk müsste man sein. Das nach wie vor erfolgreiche DJ-Duo mit den glänzenden Robotermasken gehört zu den großen Gewinnern der French-House-Welle, die in den Neunzigerjahren über die Tanzflächen schwappte, als Beats und Bässe boomten und die Rave- und Clubkultur zum Massenphänomen wurde. Doch auch Daft Punk waren einst nur zwei schräge Typen unter vielen, die in ihren Wohnzimmern auf der Suche nach dem perfekten Sound an Synthesizerreglern drehten. In Mia Hansen-Løves weitschweifigem Musikdrama „Eden“ kommen sie am Rande vor – der Film folgt lieber den heute weitgehend vergessenen Dancefloor-Jüngern, deren Träume auf der Strecke blieben.

Das Motto ist: „One More Time“

„One more time we're gonna celebrate/Oh yeah, all right, don't stop the dancing“ – deutet man das Mantra des Daft-Punk-Hits „One More Time“ melancholisch, fasst er „Eden“ ganz gut zusammen: Ebenso wie um das Porträt einer Musikszene im Wandel geht es um das (vergebliche) Ansingen, Anfeiern und Antanzen gegen die Bedrängnisse des Älterwerdens. Im Mittelpunkt steht der junge und aufstrebende DJ Paul (Félix de Givry). Ein vom stetig mutierenden Soundtrack der Zeit befeuerter Bilderfluss führt den Zuschauer durch seine 20-jährige Laufbahn, von intimen Auflegereien in Pariser Underground-Schuppen bis zum Beinahe-Durchbruch in New York. Irgendwann rosten die Plattenteller und der Nachtschwärmer-Lebensstil fordert seinen psychischen und physischen Tribut, während die Welt bereits nach neuen Pfeifen tanzt.

Hansen-Løve schrieb „Eden“ zusammen mit ihrem älteren Bruder Sven, der die Szene kennt; Pauls Geschichte ist im Grunde seine eigene. Ein klassisches Rockstar-Biopic im Elektronikmantel sollte man aber nicht erwarten, von Glamour und Sensationalismus fehlt hier jede Spur. Drogen werden genommen, Partys gefeiert, aber ob dies Haupt- oder Nebensachen sind, lässt der eilende Ereignisreigen offen. Authentizität ist eine Frage scheinbar unbedeutender Details: Wenn Paul beim Basteln an Tracks den Klang eines Beats als „zu feminin“ abtut oder mit Freunden verdutzt den verkannten Kultfilm „Showgirls“ schaut, gründet das offenkundig auf gelebter Erfahrung.

Mit Loops und Samples im Ohr

Inszenatorisch halten sich Empathie und Distanz die Waage, die Lichtsetzung ist naturalistisch; nur manchmal übernimmt die Musik das Ruder und „Eden“ gönnt sich einen Moment rauschhafter Ekstase an der Seite seiner Figuren. Dann spürt man, was Techno, House und Garage im postideologischen Vakuum bedeutet haben müssen – die Hingabe an eine pulsierende Gemeinschaft, das Ausschwitzen von Zukunftsängsten mit Loops und Samples im Ohr.

„Eden“ erzählt, wie schon die letzten drei Langfilme seiner erst 34-jährigen Regisseurin, nach dem Heraklit'schen Panta-rhei-Prinzip. Alles fließt, Vergänglichkeit und Veränderung treiben die Handlung an, das bewegte Leben der Hauptfigur spiegelt sich in der Flüchtigkeit von Eindrücken und der Unbeständigkeit von Freund- und Liebschaften. Größere und kleinere Ellipsen gehörten immer schon zum Stilrepertoire Hansen-Løves, hier treibt sie die Technik auf die Spitze. Die vielen Charaktere, die mal ausgewiesenen, mal unmerklichen Zeitsprünge fordern die Konzentration, den Überblick hat man schnell verloren. Wie die Kapitelstruktur verrät, hätte „Eden“ ursprünglich ein Zweiteiler werden sollen, was jedoch an der Finanzierung scheiterte.

Das Resultat ist eine enorme Verdichtung des Materials, die trotz periodischer Überlastung vermittelt, wie schnell das Rad des Lebens rotiert. Gerade eben war Greta Gerwig noch als Pauls Jugendfreundin im Bild, schon sitzt sie mit Babybauch in Brooklyn neben ihrem neuen Mann. Gerade eben scheint der Erfolg für Pauls DJ-Gruppe „Cheers“ noch zum Greifen nah, schon läuft ihnen David Guetta den Rang ab. Die Wendepunkte stecken irgendwo zwischen den Schnitten, und wenn nicht, finden sie trotzdem im Off statt: In einer Szene erfährt Paul kurz vor einem Interview vom Selbstmord eines alten Freundes. Auch diese Art von abrupter Verlusterfahrung mit unterschwelligen Nachwirkungen zieht sich als Leitmotiv durch das Werk von Mia Hansen-Løve.

Vergleich mit Olivier Assayas

Obwohl Hansen-Løve ohne Zweifel eine eigenständige Ästhetik entwickelt hat, fällt es schwer, auf einen Vergleich zu den Arbeiten ihres Ehemanns Olivier Assayas zu verzichten. Dessen Filme zeichnen sich ebenfalls durch permanente Gestaltwerdung aus, sie kreisen um labile Identitäten im globalisierten Zeitalter. Unlängst ließ Assayas in „Die wilde Zeit“ seine Post-68er-Teenagerjahre neu aufblühen. „Eden“ wirkt wie eine Mischung aus diesem Film und „Inside Llewyn Davis“ von den Coen-Brüdern.

Sein narrativer Rhythmus wird dem Lebensgefühl einer bislang vom Kino vernachlässigten Generation gerecht und findet paradoxerweise Trost im Scheitern seiner Hauptfigur. Jedes Ende ist ein möglicher Neuanfang, und solange die Musik spielt und die Lichter noch an sind, gilt das alte Credo: „One More Time“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2015)

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