Der Mythos vom billigen Deutschen

Mythos billigen Deutschen
Mythos billigen DeutschenREUTERS/Fabrizio Bensch
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Mit zu niedrigen Löhnen habe Deutschland Europas Staaten unnötig Konkurrenz gemacht und Eurokrise entfacht, heißt es oft. Stimmt nicht, sagt die Statistik. Deutschland hat von der Euro-Einführung nicht profitiert.

Wien. Wer nach Schuldigen an der Eurokrise sucht, wird schnell fündig: Die faulen Griechen, tönt es aus der einen Ecke. Die billigen Deutschen, aus der anderen. Die Bundesrepublik habe von der Einführung des Euro am meisten profitiert: Die deutschen Arbeiter hätten über Jahre hinweg zu niedrige Löhne erhalten. Das hätte einerseits die deutsche Nachfrage nach griechischem Olivenöl und italienischer Pasta geschwächt. Und andererseits die deutschen Exporte so stark verbilligt, dass die Industrien in den südlichen Ländern der Eurozone keine Chance mehr hatten, am Heimmarkt zu bestehen.

Während beim Export-Weltmeister Jobs geschaffen wurden, gingen diese im Rest Europas verloren, heißt es immer wieder. „Um das Gleichgewicht in der Eurozone herzustellen“, soll Deutschland sein Lohnniveau an das Frankreichs und Italiens anpassen, fordert auch der Internationale Währungsfonds in seinem jüngsten Länderbericht über Deutschland. IWF-Chefin Christine Lagarde wetterte schon mit Vorliebe gegen die moderate Lohnpolitik der Deutschen, als sie noch Frankreichs Finanzministerin war. Nun hat sie offenbar auch Angela Merkel überzeugt: Die Zeit sei reif für höhere Löhne, räumte die deutsche Kanzlerin ein.

Lohnstückkosten im EU-Schnitt

Stimmt die verführerische These vom „billigen Deutschen“ also tatsächlich? Ist die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahren auf Kosten anderer EU-Länder gewachsen?

Mitnichten, zeigt ein Blick in die Statistik. Deutschland hat von der Euro-Einführung de facto gar nicht profitiert. Auch die Lohnstückkosten entwickelten sich nicht langsamer als im Schnitt der Eurozone, schreibt Georg Ebner, Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seiner Studie „Dichtung und Wahrheit: Deutschlands Position bei Lohnstückkosten, Extrahandel und realen Wechselkursen in der Euro-Zone – was sagt die Statistik“.

Deutschlands Exporte in die Eurozone veränderten sich seit Einführung des Euro nämlich kaum. Zwischen 2001 und 2007 stagnierten die Ausfuhren. Erst in den Jahren nach Ausbruch der Krise konnten die deutschen Unternehmen etwas mehr in Europa absetzen. Die deutsche Industrie konnte also die Unternehmen der anderen Euroländer auf ihren Heimmärkten gar nicht verdrängen – sie war nicht stärker vertreten als vorher. So konnten auch Länder wie Portugal oder Griechenland ihre Export-Anteile innerhalb der Eurozone annähernd halten. Die großen Gewinner waren die Länder Osteuropas.

Auch der Vorwurf, dass Deutschland die Löhne zu stark drückte und so quasi „zu wettbewerbsfähig“ wurde, entkräften die Daten. Zwar stiegen die deutschen Löhne nominell tatsächlich nur schwach. Die Lohnstückkosten entwickelten sich, auch aufgrund sinkender Produktion, in Deutschland allerdings nicht anders als in Frankreich, Italien oder im Schnitt der Eurozone (siehe Grafik). Lediglich zwischen 2004 und 2007, während der Amtszeit der rot-grünen Regierung, senkte Deutschland seine Lohnstückkosten deutlicher.

Die wahren Ausreißer sind die heutigen Krisenländer: Während Deutschland seine Lohnstückkosten von 2000 bis 2010 um ein Zehntel anhob, stiegen sie in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien mehr als doppelt so schnell, was diese Staaten um ihre Wettbewerbsfähigkeit gebracht hat.

Chinesen lieben deutsche Autos

Das deutsche Exportwunder fand zwar statt – allerdings außerhalb des Kontinents. Vor allem die Fahrzeugindustrie des Landes erfreut sich seit einigen Jahren guter Exporte in die USA und die aufstrebenden Schwellenländer – allen voran China. Auch das sei nicht nur auf billige Löhne zurückzuführen, heißt es in der Studie. Vielmehr habe es das Land geschafft, hochwertige und innovative Produkte zu einem angemessenen Preis zu verkaufen. Zum Nutzen aller Euroländer, argumentiert der Ökonom. Denn auch die These vom konsumfaulen Deutschen entpuppt sich bei näherer Betrachtung als unwahr. Ein gutes Drittel der deutschen Importe kam schon zwischen 2000 und 2007 aus der Eurozone. Bei den restlichen Ländern der Währungsunion sieht es ähnlich aus. Am Boom der Deutschen naschten aber auch diese kräftig mit: Die Einfuhren aus der Eurozone stiegen seit dem Jahr 2009 um 1,1 Prozentpunkte.

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