Konferenz: Stolze Roma stürmen Brüssel

(c) APA (Andreas Tröscher)
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Gegen Ausgrenzung und Fingerprints: Die EU-Kommission sagt auf einem Roma-Gipfel der Diskriminierung der Minderheit den Kampf an.

BRÜSSEL. Nathan Kavvadas kann es nicht fassen. Ungläubig fährt er sich über seinen dunklen Bart, in den sich schon graue Haare mischen. Schweiß steht ihm auf der hohen Stirn. „Das ist eine Diskriminierung“, wettert er und rudert mit der Faust durch die Luft.

Dabei sollte es für den Vertreter der griechischen Roma ein Anlass zur Freude sein: Die EU-Kommission, oberste Verwaltungsbehörde Europas, hatte einen Roma-Gipfel einberufen, mit Prunk und Prominenz; ein besseres Verständnis mit den Roma und Sinti sollte er bringen, für Austausch und gegen Diskriminierung stehen.

In mehrere EU-Sprachen sind die schönen Worte von Kommissionspräsident José Manuel Barroso übersetzt worden. Eigentlich auch in Romanes, die Sprache der Roma, die in Scharen nach Brüssel gekommen sind. Nur leider konnte lange niemand den Übersetzer hören: technische Probleme, so hieß es hilflos vom Veranstalter. Viele Roma konnten der Konferenz so anfangs nur schwer folgen.

Keine Chancengleichheit

Für Kavvadas war es symptomatisch: Die Institutionen würden an den eigentlichen Bedürfnissen der Roma „vorbeiarbeiten“, sagte er der „Presse“: „Was nützt mir die Aussicht auf ein Auto, wenn mir Schuhe fehlen?“ Dabei wolle er gar nicht leugnen, dass sich Verantwortliche auf allen Ebenen bemühen. Doch zu oft bleibe es bei schönen Worten und Perspektiven.

Am Ende, so Kavvadas, würden Förderungen für Organisationen in Studien über die Roma versickern, statt dass sie den Roma selbst helfen. Immerhin haben solche Studien einiges an Fakten zu Tage gebracht: Mit etwa zehn bis zwölf Millionen Menschen ist die Volksgruppe der Roma die größte Minderheit in Europa. Um die erste Jahrtausendwende wanderten sie von Indien nach Europa aus und verteilten sich über den Kontinent. Seit dem 16. Jahrhundert wurden sie gezielt vertrieben und diskriminiert.

Den Höhepunkt erreichte ihre Verfolgung unter den Nazis. Eine halbe Million Roma kam in den KZ um. Doch auch heute noch, unter dem theoretischen Schutz von EU-Richtlinien gegen Diskriminierung, werden sie in ganz Europa ausgegrenzt.

Zu sagen, Roma hätten nicht die gleichen Chancen, wäre „eine Untertreibung“, betonte Barroso gleich zu Beginn der Konferenz. Bildung, Wohnen, Arbeiten, Geld verdienen – überall seien Roma im Hintertreffen. Zu lösen sei das Problem aber nicht nur durch (finanzielle) EU-Initiativen. Die Regierungen sollten stärker aktiv werden, forderte Barroso.

Spielt die EU den Ball damit an ihre Mitgliedstaaten zurück? 275 Mio. Euro sind von 2000 bis 2006 in Projekte geflossen, die spezifisch auf die Probleme der Roma zugeschnitten waren. Vielleicht zu spezifisch – denn vielfach wurden die Förderungen dazu missbraucht, die Segregation noch weiter zu verschärfen.

Eine EU-Studie von 2004 zeigte etwa auf, dass in der Slowakei den Roma der Zugang zu Sozialwohnungen verwehrt wird. Dafür werden mit Fördermitteln eigene „Sozialwohnungen für Roma“ geschaffen und damit jegliche Integration blockiert. Auf solche Fehlentwicklungen spielte Barroso an: Das Ziel dürfe nicht sein, ein Paralellsystem aufrechtzuerhalten, sondern den Zugang zu Bildung, Arbeit und Wohnungen zu garantieren. Dafür könne Brüssel nur Rahmenbedingungen liefern, die Umsetzung läge bei den Mitgliedsländern. Im Klartext: Rassismus bekämpfen kann man nur vor Ort.

Soros wettert gegen Italien

Aus seiner Sicht falsche Maßnahmen eines bestimmten EU-Landes prangerte George Soros an. Der prominente US-Investmentbanker ungarischer Herkunft trat als Gastredner auf. Er engagiert sich für die Roma, denen häufig ein „falsches Image anhaftet, das sie kaum loswerden“. Dass nun in Italien nur von den Roma angeblich aus Sicherheitsgründen Fingerabdrücke genommen werden, sei ein „ethnisches Profiling, das verboten werden müsste“. Damit erntete Soros tosenden Applaus im Kommissionsgebäude.

Auch Nathan Kavvadas, zu Beginn des EU-Gipfels besonders skeptisch, will da Fortschritte nicht mehr ausschließen: „Ich schau' mir das an. Wir kommen wohl einen Schritt weiter. Aber sehr optimistisch bin ich nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2008)

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