Requiem für den „Mozart-Effekt“

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Klassische Musik fördert Intelligenz auch dann nicht, wenn sie aktiv ausgeübt wird. Und auch sonst steht das Gehirn eher unter der Macht der Gene.

Keine Komposition der Musikgeschichte hat derartigen Lärm ausgelöst wie Mozarts Sonate in D-Dur für zwei Klaviere, KV 448. 1998 veranlasste dieses Werk bzw. eine besondere Rezeption den Gouverneur des US-Bundesstaats Georgia, Zell Miller, per Gesetz jedem frisch geborenen Landeskind eine CD mit klassischer Musik zukommen zu lassen, Florida folgte mit einer Verordnung, derzufolge in staatlichen Kindergärten täglich eine Stunde klassische Weisen zu ertönen hätten.

All das kam von der Mozart-Rezeption der Psychologin Frances Rauscher (UC Irvine): Sie hatte bei Tests bemerkt, dass das bloße Hören einiger Sequenzen von KV 448 den IQ erhöht, vor 20 Jahren stand es in Nature (363, S. 611), die Medien gierten danach, ein Genie erfand den Namen „Mozart-Effekt“, ein noch größeres Genie ließ sich den Namen als Marke für allerlei Hirnförderndes schützen. Nur Rauschers Kollegen murrten, sie konnten den Befund nicht reproduzieren, 1999 gab Nature beiden Seiten Raum (400, S. 827): Kenneth Steele (Appalachian State University) trug den Effekt zu Grabe – und empfahl ein „Requiem für den Mozart-Effekt –, aber Rauscher blieb dabei, selbst bei Ratten habe sie den Effekt bemerkt. Steele replizierte, dass das Gehör von Ratten erst in Frequenzen fein wird, in die die Musik des Meisters nicht hinaufdringt.

Zu einem abschlägigen Befund kam 2007 auch eine Expertenkommission der deutschen Regierung, sie ließ eine Möglichkeit offen: Das passive Hören von Musik bringe zwar nichts, aber vielleicht sei das aktive Erlernen eines Instruments hilfreich. Das ist auch die Hoffnung vieler Eltern, die ihre Kinder zum Musikunterricht schicken und dafür oft innerfamiliäre Misstöne hinnehmen. Aber auch damit ist es nichts, Samuel Mehr (Harvard) hat es gezeigt: Er hat auf dem Campus Eltern mit vierjährigen Kindern rekrutiert und sie in zwei Gruppen aufgeteilt, die eine erhielt Musikunterricht, die andere Malstunden.

Musik sagt etwas über den Menschen


Dann wurde nicht generell der IQ gemessen, sondern es wurden detailliert verschiedene Fähigkeiten getestet. Zwar zeigten sich Differenzen, aber die waren erstens minimal („keine statistische Signifikanz“) und zweitens hatte in manchen Bereichen die eine Gruppe das Gehirn vorn, in anderen die andere (PLoS One, 11. 12.). „Der ,Mozart-Effekt‘ ist nicht da“, schließt Mehr, und er bedauert es nicht, Musik habe schon ihren eigenen Wert: „Musik ist alt, und jede Kultur hat Musik. Musik sagt etwas darüber, was es heißt, Mensch zu sein. Wir wären verrückt, wenn wir das unsere Kinder nicht lehren würden.“

Wenn aber schon die Himmelsmacht nichts bewegt, kann es dann irgendein anderer Umwelteinfluss? In Großbritannien gibt es für alle 16-Jährigen eine Prüfung, natürlich sind auch Zwillinge dabei, eineiige und zweieiige, Erstere teilen hundert Prozent der Gene, Letztere im Schnitt die Hälfte. Wenn also Erstere anders abschneiden, dann hängt das an den Genen. Nicolas Shakeshaft (London) hat die Daten von 11.000 Zwillingen ausgewertet, er fand einen Unterschied: Fast 60 Prozent der Intelligenz hängen mit den Genen zusammen, zum Rest trug die Umwelt bei (PLoS One, 11. 12.). „Dabei geht es nicht um 60 Prozent der Intelligenz einer Person“, erläutert Shakeshaft, „sondern um 60 Prozent der Unterschiede zwischen Personen, in der Population, wie sie heute ist. Das heißt, dass die Erblichkeit nicht fixiert ist. Wenn sich die Umwelt ändert, mag sich auch der Einfluss der Gene ändern.“

Oder die Gene selbst ändern sich. Das vermutet man etwa bei den Ashkenasim, den Juden Mittel- und Osteuropas. Von den anderen Bewohnern der Region haben vier Promille einen IQ über 140, von den Ashkenasim sechs Mal so viel. Wie das? Ashkenasim haben auch gehäuft Mutationen – etwa an Genen für Lipide in Zellmembranen –, die den Körper krank machen, aber das Gehirn fördern. Darauf machte 2005 Henry Harpending (Utah) aufmerksam. Und warum setzten sich diese zwiespältigen Mutationen durch? Ashkenasim durften lange nur Berufe ausüben, die Rechenkunst erfordern, Handel und Geldverleih: „In diesen Berufen fördert ein erhöhter IQ den Erfolg, anders als bei der übrigen Bevölkerung, die vor allem aus Bauern bestand“, schloss Harpending.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2013)

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