Ayurveda für die Seele: Auf dem Ego-Trip

Ayurveda EgoTrip
Ayurveda EgoTrip(c) Claudia Jörg-Brosche
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Wer sich auf Ayurveda in Südindien einlässt, gönnt sich nicht nur eine Gesundungskur und erste Erfahrungen mit indischer Transzendenz, sondern auch eine intensive Begegnung mit dem eigenen Ich.

Fünf Uhr fünfundvierzig in der Früh. In der Morgendämmerung huschen weiß gewandete Schatten durch den Palastgarten des Maharadschas und streben dem Meditationstempel zu. Grund der Aktivität: die Yogalektion. Die Stunde vor Sonnenaufgang ist laut indischer Heilslehre die energiereichste, die Europäer sitzen dennoch sehr verschlafen im Türkensitz auf den grellorangen Matten, lenken die Atmung in den Bauch, singen „Om“, stopfen sich die Zeigefinger in die Ohren und summen die „Biene“. Yogalehrer Rajesh hält inne, schaut uns groß an und meint: „This is the real beauty of India.“

Blutrot schiebt sich die Sonne über den Horizont, Gartenanlage und Palast funkeln taufeucht im goldenen Morgenlicht, stimmgewaltige Tropenvögel intonieren ihr Morgenlied, Kokospalmen und majestätische Mangobäume rascheln in der sanften Brise, Eichhörnchen und kleine Affen huschen von Ast zu Ast. Der kahlgeschorene Mann hat recht: Es ist ein wahrhaft magischer Moment, den man nicht so schnell vergessen wird – man muss ihn sich nur bewusst machen. „Awareness“ lautet denn auch das oberste Yogagebot. Plötzlich sind alle hellwach und sehr präsent im Hier und Jetzt –trotz der unchristlich frühen Stunde.

Wer in den Märchenpalast Kalari Kovilakom bei Palakkad in Südindien kommt, meint es ernst. Muss es ernst meinen, denn hier wird das purste, strikteste und authentischste Ayurveda praktiziert – und genau wegen dieser uralten indischen Gesundheitslehre pilgern Europäer hierher. Nach dem Yoga geht’s zum Frühstück – doch das ist karg: Der eine bekommt eine halbe Papaya, der andere ein trockenes Fladenbrot, der Nächste löffelt Vollkorngetreidebrei. Nur der Morgentrunk ist für alle gleich: scharfes, heißes Ingwerwasser, gefolgt von Kräutertee.

Genauso zwingend wie das morgendliche Yoga und Meditationen gehört die individuell abgestimmte Ernährung zur Ayurveda-Kur. „Hardcore-Ayurveda“ tönt es von einem verzweifelten Mitteleuropäer, der aufgrund des totalen morgendlichen Kaffeeentzugs so unterkoffeiniert ist, dass er sich kaum an seinen Namen erinnert. Kaffee ist – ebenso wie schwarzer Tee, Alkohol oder kalte Getränke –  tabu.

Uralte indische Gesundheitslehre

Wer glaubt, Ayurveda sei nur eine Wellness-Modeströmung, der irrt. Ayurveda ist wesentlich mehr – ein 5000 Jahre altes, ganzheitliches medizinisches System. „Ayur Veda“ bedeutet „Wissen um das Leben“. Ayurveda und Yoga sind eng miteinander verwandt, beide stammen aus der vedischen Philosophie. Ziel ist die Harmonie von Geist, Körper und Seele. Anders als die allopathische Medizin des Westens, die „nur“ das Leiden bekämpft, betrachtet Ayurveda den Menschen ganzheitlich und leitet den Organismus zur Selbstheilung an. Ayurveda hilft hervorragend und sanft gegen alle Arten moderner Zivilisationskrankheiten – vor allem bei neurologischen Erkrankungen, Arthritis, Stoffwechselstörungen, degenerativen und Lebererkrankungen, Hautproblemen sowie Störungen aufgrund eines schlechten Lebensstils und Burn-out.

Wer seiner Gesundheit wirklich etwas Gutes tun will, pilgert ins Ayurveda-Resort Kalari Kovilakom im südindischen Bundesstaat Kerala, rund 110 Kilometer von Kochi entfernt. Im einstigen Maharadschapalast der Venguads-Dynastie ist man weit weg vom Alltag, taucht in eine unbekannte, exotische Märchenwelt ein, dreht das Rad der Zeit um 200 Jahre zurück – einziges Zugeständnis an die Neuzeit sind Klimaanlagen in den fürstlichen Suiten –, und wird von einer Unzahl heilender Hände umsorgt und verwöhnt.

„Please leave your world here“ – das Schild an der Rezeption ist unmissverständlich: Neuankömmlinge tauschen beim Palasteingang ihr Alltagsgewand gegen weit geschnittene, weiße Leinenkleidung und das Schuhwerk gegen „vegetarische“ Flipflops – Leder widerspricht dem ayurvedischen Gedanken. Laut Hausordnung dürfen die maximal 36 Gäste während ihrer Kur, die mindestens 14, besser jedoch 21 Tage dauert, das rund zehn Hektar große Anwesen nicht verlassen – nicht einmal für kurze Besichtigungstouren.

(c) Claudia Jörg-Brosche

Die Philosophie

Die Erstuntersuchung bei Dr. Jouhar Kanhirala gleicht einer Einführungsvorlesung in indischer Mystik: Die ayurvedische Theorie besagt, dass der Körper von den drei Doshas (Urkräften) Vatha, Pitta und Kapha kontrolliert wird, die sich ihrerseits aus den fünf Grundelementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther (Raum) zusammensetzen. Gesundheit bedeutet Ausgeglichenheit der Kräfte. Aufgabe des Ayurveda-Arztes ist es, ein mögliches Ungleichgewicht frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren. Die vorwiegend auf Kräutern basierende Ayurveda-Medizin ist heute – nach einem vorübergehenden Verbot durch die britischen Kolonialherren – in ganz Indien wieder überaus populär und verbreitet.

Nach dem ausführlichen Arztgespräch geht’s zum Mittagessen, dem kulinarischen Höhepunkt des Tages. Der Magen knurrt gewaltig, was wird er wohl bekommen? Schließlich ist die ayurvedische Diät eine der wichtigen Maßnahme zur Herstellung der Balance der Doshas. Ayurvedische Kost ist grundsätzlich streng vegetarisch, oberstes Gebot ist der Verzicht auf Weißmehl, raffinierten Zucker und weitgehend auf Salz – die sogenannten „drei weißen Gifte“. Appetitlich auf einem Bananenblatt angerichtet, präsentieren sich die fünf Messingschälchen als farbenfrohe Augenweide. Sie enthalten Vollkornreis, Rote Rüben, Okraschoten, Kohlrabisalat mit Bohnensprossen und Kürbis – alles nahezu salzlos zubereitet. Exotische Gewürze wie Kreuzkümmel, Gelbwurz oder Koriander verleihen den Gemüsegerichten eine interessante Note, die wahre indische Gaumenfreude bleibt aber aus. Dazu nippen wir wieder heißes Ingwerwasser.

Die harte Phase

„Zu Hause wär ich schon längst ausgebüchst und beim nächsten Wirt bei einer ordentlichen Maß Bier“, knurrt Rolf. „Hier aber halte ich die strengen Vorschriften leicht ein.“ Gemeinsam mit seiner Frau Monika ist der Bajuware bereits zum dritten Mal in Palakkad zur Kur. „Ich kämpfe gegen eine schwere Lebensmittelunverträglichkeit“, erklärt Monika ihre Motivation. Beide fühlen sich in der klösterlich-archaischen Stimmung des Kalari Kovilakom geborgen und von der Art und Weise angezogen, wie Ayurveda mit ihren Gesundheitsproblemen umgeht. „Wir sind nach jeder Kur wie neugeboren“, meint Monika. „Und auch jetzt fühle ich mich schon wieder richtig wohl, obwohl ich noch in der harten Phase bin.“ Harte Phase? Die beiden Bayern stehen am Anfang der Entgiftungskur Panchakarma. In den ersten Tagen gibt’s da statt Frühstück einen Entgiftungstrunk aus Ghee, geklärter Butter, und Kräutermedizin. „Schmeckt unbeschreiblich grauslich“, stöhnt Rolf. Durchhalten ist angesagt, denn die Ghee-Kur dauert drei bis sechs Tage – so lange, bis alle Gifte im Körper gelöst sind und ausgeschieden werden können.

Die Tage im Kalari Kovilakom plätschern in der feuchtheißen Schwüle Südindiens träge dahin, die Gäste sind mit dem Ruhen im Palastpark beschäftigt. Jede Anstrengung wie Sport, Schwimmen oder Sonnenbaden ist strikt untersagt –  im Kalari gibt es nicht einmal einen Pool, Fernsehgeräte natürlich auch nicht. Dafür stehen jeden Tag ein Gespräch mit dem Arzt sowie vier bis fünf Anwendungen auf dem Stundenplan. Ayurveda kennt eine Vielzahl an Behandlungen, allein 32 Massagearten – mit Händen, Kräuterstempeln und Füßen. Populär ist der Stirnölguss „Sirodhara“. „Sirovasthy“ mutet kurios an: Hier wird ein offener Zylinder auf dem Kopf mit warmem Öl gefüllt. Allen Anwendungen gemeinsam ist der exzessive Gebrauch von Sesamöl: Hier sind die medizinischen Kräuter gelöst, die über die Haut aufgenommen werden und den Körper entgiften.

Mehr Urlaub, weniger Kur


Doch Ayurveda in Indien muss nicht unbedingt so strikt und klinisch sein wie im Kalari Kovilakom – alle Abstufungen an Intensität sind in den zahlreichen Luxusresorts, die sich auf Gesundheitstourismus spezialisiert haben, möglich. Mehr Urlaubsspaß bedeutet andererseits natürlich weniger gesundheitliche Effizienz.
Ayurveda „soft“ gibt’s beispielsweise im wunderschönen Marari Beach südlich von Kochi. Das direkt am menschenleeren, von Kokospalmen gesäumten Sandstrand gelegene Resort ist ein perfektes Badeurlaubsziel für die ganze Familie: Die Kids buddeln glücklich im Sand, Papa spielt Tennis und Mama lässt sich bei einer Ayurveda-Kur fit machen. Dass diese nicht maximal effizient sein kann, ist klar, dafür macht sie aber auch wesentlich mehr Spaß.

Im Hotel Brunton Boatyard mitten im historischen Zentrum der sehenswerten Stadt Kochi kann man Sightseeing mit Ayurveda verbinden – allerdings werden hier nur einzelne Anwendungen und keine komplette Kur angeboten. Ein vernünftiger Mix zwischen Klinik und Urlaubsdomizil ist das Somatheeram Ayurveda Health Resort in Südkerala. Das mehrfach prämierte Ayurveda-Resort am Strand bietet verschiedene therapeutische Gesamtpakete, für Österreicher stehen auch deutschsprachige Gästebetreuer zur Verfügung.
Ein perfektes Mittelmaß ist im Swa Swara Resort im südindischen Bundesstaat Karnataka möglich. Das adrette Hoteldorf mit 24 palmgedeckten Bungalows im lokalen Stil herrschaftlicher Familien liegt – wie könnte es anders sein – am Om-Beach, einem der schönsten Strände Indiens. Die Umgebung  naturbelassen, die Küste unverbaut, der nächste Ort acht Kilometer entfernt: ein indisches Paradies mit westlichem Luxus. Hier lässt sich’s gut urlauben: Baden in Meer oder Pool, Kreativkurse, Dschungel- und Strandwanderungen, Mountainbiken, Kanutouren, Bogenschießen, Kochkurse, Bird- und Butterfly-Watching und Ausflüge in die interessante Umgebung.

Swa Swara hat noch eine tiefere Bedeutung, wörtlich übersetzt heißt es „der Klang in mir selbst“. So kann man auch in Yoga und Meditation versinken. Wer will, praktiziert den ganzen Tag über Yoga – von körperbetonten Asanas am frühen Morgen bis hin zu Meditationen und dem Singen von Mantras. Wer im Swa Swara eine komplette Ayurveda-Kur absolviert, muss aber wohl oder übel einige Urlaubsfreuden auslassen. Sophie und Mira, zwei Managerinnen aus Großbritannien, kämpfen gegen ein drohendes Burn-out an. Gehorsam befolgen sie die Ratschläge der Ayurveda-Ärzte, verzichten auf das Freizeitangebot und sind höchstens nach Sonnenuntergang am Pool zu finden. Sie klagen auch nicht über die Dosha-gerechte Diät – allerdings nur so lange, bis die widerlichen Österreicher provozierend mit den Weingläsern anstoßen.  Da fragt man sich, was leichter zu ertragen ist: Hardcore-Ayurveda unter Gleichgesinnten oder einer lustigen Urlauberschar beim Weintrinken zuzuschauen.

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