Christoph Leitl: "Sanktionen machen Putin zum Helden"

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Christoph LeitlDie Presse
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Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl will längere Öffnungszeiten in den Kindergärten und eine Freihandelszone mit Russland.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie hören, dass die Lohnsteuereinnahmen ein Rekordniveau erreicht haben und die Arbeitslosenzahlen wieder steigen?

Christoph Leitl: Man muss leider sagen: Der Staat nimmt mehr ein als je zuvor, kommt mit seiner Budgetpolitik aber trotzdem nicht zurande. Es werden weiter Schulden gemacht, weil die notwendigen Reformen ausbleiben.

Alle wissen das, aber keiner unternimmt etwas. Auch die ÖVP nicht, in deren Vorstand sie als Wirtschaftsbund-Obmann sitzen.

Im Parteivorstand gibt es Übereinstimmung, dass wir dringend strukturelle Reformen brauchen. Und dass es mühsam ist, die SPÖ dafür zu motivieren.

Und die ÖVP? Die sitzt seit 1986 in der Regierung, hätte also ausreichend Zeit gehabt, Reformen einzuleiten. Hat sie aber nicht.

Der frühere Ministerpräsident von Schweden, der Sozialdemokrat Göran Persson, war einmal in der Wirtschaftskammer zu Gast. Man hat ihn gefragt, wie Schweden alle Reformen so toll über die Bühne gebracht hat. Und warum das in Österreich nicht möglich ist.

Und was hat er geantwortet?

Dass es Österreich nie so schlecht gegangen ist wie Schweden nach dem Einbruch in den Neunzigern. Und das ist der Punkt: Wir hatten seit 1986 immer eine dynamische Wirtschaft, daher sind die strukturellen Schwächen nicht so stark ins Bewusstsein gedrungen.

Das klingt ein bisschen so, als wollte die Große Koalition ihre Versäumnisse im Nachhinein rechtfertigen. Dafür ist es zu spät.

Aber ich habe immer gewarnt. Nur hat man gesagt: „Was hat denn der Leitl schon wieder? Wir sind doch die Besten Europas in der Arbeitsmarktstatistik.“ Dabei sind wir längst nicht mehr Spitze, wenn man die Frühpensionen rausrechnet. Und auch so werden uns die Deutschen noch heuer überholen, obwohl sie viel später in Pension gehen.

Was schlagen Sie vor?

Wir brauchen Konjunkturimpulse. Die Prognosen werden laufend nach unten korrigiert. Da muss man jetzt etwas tun.

Sie haben angeblich ganz gute Kontakte in der Regierung.

Bei diesem Thema ist man auch in der ÖVP zurückhaltend – was ich nicht nachvollziehen kann. Wenn nämlich das Wachstum einbricht, brechen auch die Steuereinnahmen weg. Und die höhere Arbeitslosigkeit ist auch teuer. Wenn wir nichts investieren, bekommen wir auch nichts heraus.

Sie wollen auch schon kommendes Jahr eine Steuerentlastung. Finanzminister Michael Spindelegger, Ihr Parteiobmann, aber sagt: „Das können wir uns nicht leisten.“

Ich habe dem Vizekanzler vor Kurzem Folgendes gesagt: Der Streitfrage, ob die Reform 2015 oder 2016 kommen soll, interessiert niemanden, weil es ohnehin keiner mehr glaubt. Die Regierung hat ein Vertrauensproblem. Es ist doch nicht lustig zu sehen, wie Heinz-Christian Strache in den Umfragen zulegt, ohne einen Finger zu rühren. Nicht, weil er so gut ist. Sondern weil die Regierung zu wenig zusammenbringt.

Sie schlagen vor, die gesamtstaatlichen Ausgaben – also von Bund, Ländern und Gemeinden – in den Jahren 2015, 2016 und 2017 um jeweils ein Prozent zu reduzieren.

Wir würden pro Jahr 1,5 Milliarden Euro lukrieren, insgesamt also 4,5 Milliarden. Damit könnten wir den Eingangssteuersatz in der Lohnsteuer stufenweise von 36,5 Prozent auf 25 Prozent absenken. Das wäre relativ einfach zu erreichen.

Was hindert Spindelegger daran, Ihren Vorschlag umzusetzen?

Ich bin überzeugt, dass er sich das über den Sommer überlegen wird.

Sie glauben, er wird am Ende auch für eine Steuerreform im Jahr 2015 sein?

Er wird die Koalition in die richtige Richtung bewegen.

Glauben Sie auch, dass sich die ÖVP in die richtige Richtung bewegt? In manchen Umfragen liegt man bereits unter 20 Prozent.

Natürlich macht mir das Sorgen. Die Regierungsperformance ist deutlich ausbaufähig. Dann werden sich auch die Umfragewerte wieder verbessern. Die sind ja derzeit eher ernüchternd.

Abgesehen vom Bild der Zerstrittenheit, das die Regierung wieder einmal abgibt, hat die ÖVP ein Problem in den Städten. In Wien droht nächstes Jahr ein einstelliges Wahlergebnis. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Das hat sicher auch kommunalpolitische Gründe.

Gesellschaftspolitische nicht?

Ich glaube schon, dass wir Liberalität nicht anderen überlassen sollten. Die ÖVP hatte immer auch eine liberale Tradition. Das muss heute vielleicht noch stärker herausgearbeitet werden.

Können Sie uns ein Beispiel geben?

Ich will das nicht an Beispielen festmachen. Es geht um das gesamte Denken.

Was denken Sie über die Forderungen von Klubchef Reinhold Lopatka? Er hat gemeint, die ÖVP müsse familienpolitisch umdenken. Es brauche deutlich mehr Kinderbetreuungseinrichtungen, also einen massiven Ausbau.

Da gebe ich ihm recht, da haben wir ein großes Manko. Das Nächste sind die Öffnungszeiten. Bitte: Wenn die Kindergärten im Sommer zwei Monate zugesperrt haben, wird es schwierig, Beruf und Familie zu vereinbaren. Wer kann sich schon zwei Monate freinehmen? Und wenn der Kindergarten um 17 Uhr schließt, sind Handelsangestellte im Geschäft gerade unentbehrlich. Das müssen wir ändern. Das ist der Kernpunkt einer modernen Familienpolitik.

Warum fällt das der ÖVP so schwer?

Das scheitert doch nicht an der ÖVP.

In diesen Fragen muss man die SPÖ vermutlich nicht überzeugen, da blockieren manche Kreise in der ÖVP.

Mehr Kinderbetreuungseinrichtungen, längere Öffnungszeiten: Das sind Dinge, die unter den Nägeln brennen und deshalb auch in der ÖVP kein kontroverses Thema sind. Da sollte ein koalitionärer Konsens rasch gefunden sein.

Wenn Sie das sagen. Wie halten Sie es mit den EU-Sanktionen gegen Russland? Schaden die der heimischen Wirtschaft?

Natürlich schaden sie. Wer andere sanktioniert, sanktioniert sich mit. Die ersten Auswirkungen spüren wir schon: im Tourismus, bei den Warenlieferungen. Jenen, die da mit einem „Hurra“ hineingestürmt sind nach dem Motto: Jetzt zeigen wir es dem Putin – denen muss man schon einige Fragen stellen.

Welche denn?

Warum machen wir das nicht auch mit anderen Ländern? China ist gerade dabei, die tibetische Kultur umzubringen. Wenn wir den Menschenrechtskatalog von Amnesty als Maßstab hernehmen, bleiben nicht mehr viele Staaten übrig: die Schweiz und noch ein paar andere.

Das heißt: Bei Putin hätte man auch ein Auge zudrücken sollen.

Nein. Aber wir müssen uns fragen, was die Sanktionen bewirken. Glauben Sie ernsthaft, dass sie Herrn Putin zu einer reumütigen Umkehr von seiner Handlungsweise, die ich – nebenbei gesagt – absolut nicht billige, bewegen? Oder bewirken sie nicht vielmehr, dass viele Russen in Putin jetzt erst recht den angegriffenen Helden sehen?

Muss man Putin gegenüber nicht irgendein Zeichen setzen?

Alle reden gerade über die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg. Heute weiß man: Den Konflikt hätte man politisch-diplomatisch lösen können. Trotzdem fällt uns 100 Jahre später nichts Gescheiteres ein, als auf politische Waffen wie Sanktionen zurückzugreifen. Da gäbe es doch andere Dinge, die die Verantwortlichen durchdenken könnten.

Zum Beispiel?

Gründen wir doch eine große Freihandelszone. Die Amerikaner machen das in alle Richtungen. Aber wir Europäer überlassen Afrika den Chinesen. Die transkontinentale Schiene mit Russland sind wir im Begriff zu zerstören.

Sie wünschen sich eine Freihandelszone mit Russland?

Von Lissabon bis Wladiwostok.

Damit würde man Putin erst recht entgegenkommen.

Das wäre ein Geben und Nehmen. Putin müsste den Markt aufmachen, Russland hat ja zum Teil exorbitant hohe Importzölle. Uns stünde dann der große russische Markt zur Verfügung, während die Russen vom europäischen Know-how profitieren würden.

Mit dem Ukraine-Konflikt hat das allerdings genau nichts zu tun.

Richtig. Aber in einer Krise haben solche Ideen die Kraft zur Verwirklichung.

Es gibt das Gerücht, dass Sie 2016 Bundespräsident werden wollen.

Das höre ich jetzt schon seit drei, vier, fünf Jahren. Langsam ist es ermüdend, immer wieder dieselbe Frage gestellt zu bekommen.

Ist das ein Nein?

Ich trete 2015 als Spitzenkandidat bei der Wirtschaftskammer-Wahl an.

Das schließt nicht aus, dass Sie ein Jahr später für die Hofburg kandidieren.

Ich bin der Realwirtschaft verbunden und nicht der Spekulationswirtschaft.

Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist das ein Jein.

Wie gesagt: Real ist, dass ich jetzt in den Wirtschaftskammer-Wahlkampf ziehe.

ZUR PERSON

Seit dem Jahr 2000
ist Christoph Leitl (65) Präsident der Wirtschaftskammer Österreich. Bei den Kammerwahlen 2015 tritt er erneut an.

Von 1990 bis 2000war er Wirtschaftslandesrat von Oberösterreich, von 1995 bis 2000 Vize-Landeshauptmann. Seit 1999 ist Leitl Obmann des ÖVP-Wirtschaftsbundes, seit 2004 steht er auch der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vor.

Von 1977 bis 1990führte der promovierte Wirtschafter die familieneigenen Bauhütte Leitl-Werke in Eferding.

Mitterlehner steht zu Härte

„Die EU muss in der konkreten Situation politisch Leadership zeigen.“ Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) steht dazu, dass Österreich bei den Sanktionen gegen Russland mitzieht, auch wenn die Wirtschaft leidet. Im ORF-Radio am Samstag sagte er, man müsse die Folgen „einigermaßen erträglich“ gestalten. Die einzige Alternative wäre ein militärisches Eingreifen, „das kommt nicht in Frage“. Sorge bereitet ihm die fehlende Perspektive. Mit dem herannahenden Herbst werde vor allem die Frage der Gasversorgung aktuell. Allerdings gebe es eine wechselseitige Abhängigkeit. Die Strategie einer Preisdrohung durch Russland würde nur bei einer Monopolstellung funktionieren. (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2014)

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