Fischler: "Europas bisheriges Wirtschaftsmodell ist passé"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Franz Fischler will beim Europäischen Forum Alpbach eine neue Sinnorientierung für die Europäische Union diskutieren. Er hinterfragt das Wohlstandsideal, die Sicherheitspolitik und fordert eine offene Debatte über Zuständigkeiten.

Die Presse: Das Europäische Forum Alpbach wird sich dieses Jahr unter anderem mit einem neuen Narrativ für die Europäische Union befassen. Das klingt so, als hätte die Sinnorientierung der EU als Friedens- und Wohlstandsprojekt ausgedient.

Franz Fischler: Bei den Politischen Gesprächen wollen wir eine Diskussion anstoßen, wie die Europäische Union weiterentwickelt werden könnte. Das heißt keinenfalls, dass die bisherige Philosophie nicht mehr gilt. Es braucht aber mehr. Das Friedensprojekt hat – siehe Ukraine – nach wie vor Bedeutung. Es ist leider nicht undenkbar geworden, dass es noch kriegerische Auseinandersetzungen auf unserem Kontinent gibt. Auch das Wohlstandsprojekt ist noch aufrecht. Aber angesichts von Regionen, in denen die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos ist, oder von 100 Millionen Menschen, die von Armut bedroht sind, können wir nicht davon reden, dass das Projekt abgeschlossen ist. Im Gegenteil: Die soziale Frage wird die Schlüsselfrage der nächsten Jahre.

Muss auch Europas bisheriges Wirtschaftskonzept überdacht werden?

Es hat sich längst herausgestellt, dass das bisherige ökonomische Modell der 1970er-Jahre, in dem das Gewinnstreben im Vordergrund stand und es den Glauben gab, dass der freie, ungeregelte Markt die beste Grundlage für Wohlstand bietet, längst passé ist. Wir müssen das alte Wirtschafts- und Sozialmodell durch ein nachhaltiges Modell ersetzen mit einem Gleichgewicht zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Wir müssen uns fragen, ob es in Europa wirklich nur um materiellen Wohlstand geht. Geht es nicht mehr und mehr um Lebensqualität? Reife Volkswirtschaften wie die unsrige können nicht davon ausgehen, dass es ein ständiges Wachstum gibt. Aber es geht auch um die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Hier können wir nur noch durch Innovationen punkten. Die Innovationsunion gibt es aber noch nicht.

Hat die junge Generation einen anderen Zugang zum Wohlstand? Oder scheint es nur so, dass Statussymbole wie Autos oder das Ziel eines ständig erhöhten Reichtums für sie weniger Bedeutung haben?

Das ist richtig. Wir erleben einen Bruch. In Wirklichkeit ist der Solidaritätsgedanke in dieser Generation wieder mehr ausgeprägt, es ist auch die Sensibilität beim Ressourcenverbrauch höher. In meiner Generation war es undenkbar, dass es Carsharing geben könnte. Heute ist das selbstverständlich. Auch die Prioritäten beim Geldausgeben haben sich verändert. Es entstehen neue Werte, neue Perspektiven.

Sind das schon jene Perspektiven, die Sie im Rahmen der Wirtschaftsgespräche mit dem Thema „Wirtschaftsfantasien“ ansprechen wollen?

Da geht es eher in Richtung Innovation. Wie können wir aus der Notwendigkeit zur Innovation neue Bussinesmodelle entwickeln? Die Ein-Personen-Unternehmen boomen wie noch nie. Das kann man auch als soziale Innovation sehen.

Das hat aber auch damit zu tun, dass viele Personen in traditionellen Wirtschaftsunternehmen keine Arbeitsplätze oder Aufstiegsmöglichkeiten mehr finden.

Absolut. Aber die Antwort darauf hat auch mit neuer Wirtschaftsfantasie zu tun.

Im Rahmen der Finanz- und Schuldenkrise wurde in der EU die Frage der Solidarität kontrovers diskutiert. Muss es diese Solidarität weiterhin geben?

Je mehr, umso besser. Wir brauchen zumindest so viel Solidarität, dass die soziale Kohäsion in der Union erhalten bleibt. Sonst fliegt uns nämlich der Laden auseinander. Ich erinnere an die Krawalle vor wenigen Jahren in Paris oder London. Solche Ereignisse können – wenn die Frustration der jungen Menschen größer wird – jederzeit wiederkommen.

Der Solidarität stehen allerdings Tendenzen zu einer zunehmenden Renationalisierung in der Union entgegen.

Das ist der Kern der Frage, wie das künftige Europa strukturiert sein soll. Wir müssen da offen herangehen und die Subsidiaritätsfrage neu stellen. Es gibt ja Punkte, bei denen ich den Briten recht geben muss. Es gibt Bereiche, in denen ungerechtfertigterweise eine Vergemeinschaftung vorgenommen wurde.

Welche zum Beispiel?

Zum Beispiel im Bereich Strukturpolitik oder ländliche Entwicklungspolitik. Hier müssten die Entscheidungen vor Ort in der jeweiligen Region fallen. Da würde es ausreichen, gute Wettbewerbsregeln zu haben, damit die Entwicklung nicht auf Kosten der Nachbarn geht. Sonst sollte das aber ihnen selbst überlassen bleiben.

Ist das eine Absage an Förderungen?

Nein, im Gegenteil. Es ist nur eine Absage, dass das zentral gesteuert werden muss. Auf der anderen Seite gibt es Bereiche, bei denen sich die Mitgliedstaaten weigern, stärker koordiniert vorzugehen, wie etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik. Ich glaube, dass eines der kommenden Projekte eine gemeinsame Sicherheitsstruktur sein muss. Sollen wir uns den Luxus von 28 Armeen weiterhin leisten? Hier bin ich völlig gegenteiliger Meinung als David Cameron. Wenn Europa nicht lernt, nach außen mit einer Stimme aufzutreten, bleibt der Anspruch, dass wir global eine Rolle spielen wollen, eine Illusion.

Bisher schien es so, als sei das einzige außenpolitische Werkzeug der EU die Erweiterung. Das wurde ja auch in der Ukraine deutlich.

Die Ukraine ist in Wahrheit das Musterbeispiel für eine Nichterweiterung. Dafür haben wir das Modell der Nachbarschaftspolitik entwickelt. Es sollte Ländern, die keine Aussicht auf eine Mitgliedschaft haben, eine Alternative bieten. Aber leider haben die EU-Regierungen selbst diese Initiative nicht ernst genommen.

Von ukrainischer Seite wird die Perspektive einer Mitgliedschaft aber in den Vordergrund gerückt.

Von deren Seite ist das ja verständlich. Es war leider so, dass europäische Staatschefs so wie ehemals bei der Türkei hingereist sind und Dinge in den Raum gestellt haben, die überhaupt nicht ausgemacht waren. Diese Kakofonie, in der jeder etwas anderes erzählt, führt leider dazu, dass das Misstrauen gegenüber der EU beispielsweise in Russland immer größer wird.

FORUM ALPBACH

Teilnehmer. Das diesjährige Europäische Forum Alpbach steht unter dem Generalthema „At the Crossroad“. Zu den internationalen Teilnehmern zählen Peter Woodward, Branko Milanović, Catherine Ashton, Tomislav Nicolić, Jeffrey D. Sachs, Philipp Blom, Andris Piebalgs, Rajendra Kumar Pachauri. Das Forum findet von 13. bis 29. August statt. Franz Fischler ist seit 2012 Präsident des Forums.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2014)

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