Traiskirchen: Bürgermeister gegen Apparat

Bürgermeister Andreas Babler
Bürgermeister Andreas BablerStanislav Jenis
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Das Asylaufnahmelager Traiskirchen ist wieder einmal überbelegt. Bürgermeister Andreas Babler hofft, dass die Bundespolitik nun ein Scheitern des Asylwesens eingesteht.

Es sind keine 20 Schritte, bis man in Traiskirchen seinen ersten Kontakt mit der Obrigkeit hat, wenn man, 51 Minuten ab Staatsoper, aus der Badner Bahn steigt: Ein kruder Plan, den die Bezirkshauptmannschaft an den hohen Metallzaun geheftet hat, der den Garten der Volksschule umgibt. Verordnet wird einer der stärksten Eingriffe, den der Staat in den Alltag seiner Bürger nehmen kann: eine Schutzzone nach dem Sicherheitspolizeigesetz. In dem ausgeschilderten Areal ist das Recht, sich im öffentlichen Raum frei zu bewegen, eingeschränkt – die Polizei kann jedermann auf bloßen Verdacht hin wegweisen und ihm verbieten, die Zone wieder zu betreten.

Gedacht waren solche Zonen vom Gesetzgeber für große Städte mit substanziellen Drogenprobelmen; Wien etwa hat eine verhängt, am Karlsplatz. In Traiskirchen, einer Kleinstadt mit 17.000 Einwohnern, sind vier davon verhängt worden.

„Mit dem Lager haben die Schutzzonen nichts zu tun“, entkäftet Andreas Babler die erste Vermutung, die sich einem Ankömmling aufdrängt, wenn er nach Traiskirchen kommt. „Eher, um unsere eigenen Problemfälle im Ort von den Schulen fernzuhalten.“

Babler ist seit Ende April Bürgermeister der Gemeinde, in der die SPÖ fast 73 Prozent der Stimmen hält. Und trotz dieser komfortablen Mehrheit ist das kein Job, den ihm viele seiner Kollegen neiden.

Dabei ist Traiskirchen als Gemeinde eigentlich gut unterwegs: Den Wegfall großer Industriebetriebe – allen voran des Semperit-Werks im Zentrum, das 2009 nach 113 Jahren im Ort für immer geschlossen hat – hat die Ortschaft verhältnismäßig gut verkraftet, in den Gewerbeparks haben sich (nicht zuletzt dank der günstigen Lage an der Autobahn) neue Unternehmen angesiedelt, die Beschäftigung liegt deutlich höher als vor zehn Jahren. Traiskirchen ist demografisch eine der jüngsten Städte Österreichs, wächst sowohl durch Zuwanderung als auch durch ein positives Geburtensaldo und hat zuletzt viel in seine Schulen investiert. Und auch die Weinregion hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht.


Überbelegung.
Aber da ist eben auch das Flüchtlingslager – genauer gesagt, die Betreuungsstelle Ost des Innenministeriums, in der Asylwerber untergebracht werden, bis ihr Verfahren beginnt und sie auf Unterkünfte in ganz Österreich verteilt werden.

So wäre zumindest der theoretische Idealfall; denn seit der damalige ÖVP-Innenminister Ernst Strasser die Betreuung der Asylwerber aus dem Ministerium in private Hände ausgelagert und die Ministeriumskommission zur Suche neuer Quartiere eingestellt hat, sei die ehemalige k.u.k. Artillerieakademie immer wieder überbelegt gewesen. Einmal habe sein Amtsvorgänger Fritz Knotzer mit Innenministerin Liese Prokop eine Maximalbelegung von 300 Personen vereinbart, aktuell gelte theoretisch eine zwischen Landeshauptmann Erwin Pröll und Maria Fekter paktierte Grenze von 480 Menschen – Anfang dieser Woche waren es 1300, die hier untergebracht waren.

Dass das nur Schuld der Länder sei, die die Asylwerber nicht schnell genug abholten, hält Babler für „Propaganda“ des Innenministeriums: „Knapp 600 Leute sind im Moment bereit, in die Unterkünfte in den Ländern gebracht zu werden – das heißt, selbst wenn die Länder ihre Quoten erfüllen würden, wäre Traiskirchen noch immer überbelegt.“ Der 41-Jährige, einst Verbandssekretär der Sozialistischen Jugend, trommelt seit Wochen medial eine Botschaft: „Traiskirchen ist das Symbol für eine gescheiterte Asylpolitik.“

Babler spricht dabei mit zwei Gedanken: Einerseits als Sozialist, der heftige Kritik an den Zuständen in der Erstaufnahmestelle übt – „das sind unvorstellbare, kasernenartige Umgangsweisen; solche Massenanlagen sind keine Art, mit Menschen umzugehen, die eine weite Flucht hinter sich haben“ –, andererseits auch als Bürgermeister, der kommendes Jahr eine Gemeinderatswahl schlagen muss.

Denn natürlich komme es durch die Dichte auch zu negativen Auswirkungen auf Traiskirchen, bestätigt Babler: „Es gibt eine subjektive Angst der Bevölkerung in der Nähe der Erstaufnahmestelle“, sagt der Bürgermeister. Will man wissen, was er damit meint, muss man nur auf die Straße gehen: Zwei Mädchen ziehen die Köpfe ein und huschen schnell weiter, während ihnen eine Männergruppe aus dem Zentrum nachgröhlt. Unter Sträuchern einer Wohnhausanlage suchen einige andere Asylwerber Schatten; nachdem sie ihre Jause beendet haben, lassen sie den Müll einfach liegen.

„Was die Leute ärgert, ist, dass die Asylwerber den ganzen Tag herumlungern – aber sie sind dazu gezwungen, weil arbeiten dürfen sie ja nicht“, sagt Babler missmutig: „Ich würde das ändern.“ Überhaupt würde Babler, in seiner Partei sowohl als Rebell (er hat zu den Delegierten gehört, die Werner Faymann auf dem Parteitag 2012 die Stimme verweigert haben) als auch als Zukunftshoffnung gehandelt, das Asylwesen komplett neu aufstellen: „Vor allem darf keine Unterkunft mit mehr als 100,150 Leuten belegt sein – und die Bürgermeister müssten das gesetzlich garantiert bekommen, dann finden sich auch leichter Quartiere.“ Aber es sei ein „sehr starrer Apparat“, gegen den man mit solchen Wünschen kämpfe.

Trotz allem sieht Babler jetzt die Chance für eine solche Änderung: „Die Stimmung ist am Kippen“, glaubt er, „so kann es nicht weitergehen.“

In Zahlen

480 Asylwerber sollten in Traiskirchen maximal betreut werden, so eine – sanktionslose – Vereinbarung.

1300 Asylwerber waren in dieser Woche im Lager untergebracht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2014)

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