Triumphe, Weltrekorde, Legenden: Seit 66 Jahren ist der Kulm Schauplatz historischer Titelkämpfe und großer Erfolge. Doch die Weitenjagd forderte auch Opfer. Zur WM präsentiert sich der Bakken in neuem Gewand.
Bad Mitterndorf. Den Berg hinaufgehen, Schuss mit 100 km/h auf eine Kante zufahren, in acht Flugsekunden auf 130 km/h beschleunigen und möglichst unbeschadet landen. In der Verrücktheit des Skifliegens liegt auch dessen ungebrochene Anziehungskraft. Bis zu 100.000 Besucher werden erwartet, wenn auf dem Kulm im obersteirischen Bad Mitterndorf von Donnerstag bis Sonntag zum fünften Mal nach 1975, 1986, 1996 und 2006 die Skiflug-WM in Szene geht.
In den 66 Jahren seit der Errichtung der Schanze auf Initiative des wenig später aufgelösten Salzkammergut-Skiverbandes haben Springer am Kulm Triumph und Freude, aber auch Angst und Schmerz erlebt. Den Premierensprung tat 1950 ein gewisser Hubert Neuper, Vater des WM-Organisators. Der Sohn hat 1982 gleich zweimal gesiegt. „Das ist so klar in Erinnerung, weil der Finne Matti Nykänen damals als unschlagbar galt“, erzählt Neuper. Andreas Felder gewann die WM 1986, zehn Jahre später erlebte Andreas Goldberger am Kulm einen Karriere-Höhepunkt.
Doch auch Tragödien ereigneten sich am Kulm. Der Finne Pekka Salo blieb nach seinem Sturz und Wirbelbrüchen 1962 gelähmt. Der Steirer Reinhold Bachler erlitt bei der WM 1975 Prellungen am ganzen Körper, beim Titelgewinn Felders zog sich Ulf Findeisen (DDR) ein Schädel-Hirn-Trauma zu. Masahiro Akimoto (JPN), Rolf Berg (NOR) und Gregor Peljkan (SLO) mussten mit Brüchen und Bänderrissen ebenfalls ins Spital.
Auch Superstars stürzen
In jüngster Vergangenheit war der Kulm vor allem wegen des folgenschweren Unfalls von Thomas Morgenstern im Jänner 2014 in den Schlagzeilen. Der dreifache Olympiasieger erlitt bei seinem Trainingssturz schwere Kopfverletzungen und eine Lungenquetschung. Der Kärntner gewann zwar im Februar noch Olympia-Silber mit dem ÖSV-Team, beendete aufgrund des Sturzes aber seine Karriere.
Dreimal hat der Kulm einen neuen Skiflug-Weltrekord erlebt. Durch den Deutschen Peter Lesser 1962 (141 m) und 1965 (145 m) sowie durch Felder 1986 (191,0 m). Nach zahlreichen Umbauten, zuletzt 2014, liegt der K-Punkt nun bei 200, die Hillsize bei 225 m.
OK-Chef Neuper ist überzeugt, dass der Kulm-Schanzenrekord des deutschen WM-Titelverteidigers Severin Freund (237,5 m) heuer fallen wird. „Meinem Gefühl nach sind ohne wirklich großes Risiko Sprünge bis 245 m möglich.“ Bei perfekten Bedingungen gehe es auch in Richtung Weltrekord. Der liegt bei 251,5 m, aufgestellt von Anders Fannemel 2015 im norwegischen Vikersund.
Millioneninvestitionen
Die größte aller Skiflugschanzen war lange Zeit Planica, ehe Vikersund 2011 gleichzog und den slowenischen Bakken dank günstigerer Flugkurve als Weltrekordschanze ablöste. Der Kulm hat nach dem über vier Millionen Euro teuren Umbau 2014 zu den beiden größten Schanzen aufgeschlossen.
Der Anlauf ist nun dank Kühlung mit einer Eisspur ausgestattet, es herrschen „von oben bis unten perfekte Anlaufbedingungen“, sagt Neuper. Im Vorjahr sei der Kulm noch zu hoch gegangen. Deshalb wurde der Vorbau um zweieinhalb Meter angehoben. „Die Springer haben mehr Bezug zum Untergrund. Ein erheblicher Beitrag für die Sicherheit.“ Trotzdem bleibe Skifliegen gefährlich. „Für den normalen menschlichen Verstand muss so einer verrückt sein.“ (joe)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2016)