Eremiten: Luxus Stille

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Nicht nur in der Hektik der Weihnachtszeit fällt ein Projekt von Linz09 besonders auf: In den Turm des Mariendoms ziehen Woche für Woche Eremiten ein.

Strauß
Strauß(c) Die Presse (Julia Stix)
Nitsch
Nitsch(c) Die Presse (Julia Stix)
Pallausch
Pallausch(c) Die Presse (Julia Stix)

Ganze acht Quadratmeter – groß ist sie nicht, die Eremitage. Dafür hat sie einen unschlagbaren Ausblick. Denn sie befindet sich 69 Meter über Linz. Im Mariendom wurde für ein Kunstprojekt der Kulturhauptstadt Linz09 eine Türmerstube eingerichtet. Mit Sanitäranlagen, einem Bett, einem Tisch, einer kleinen theologisch-philosophischen Bibliothek und vor allem sehr viel Stille. Seit 28. November zieht nun jede Woche ein anderer Eremit hier ein – der Kontakt mit der Außenwelt beschränkt sich auf ein Mittagsgebet in der Kirche und ein tägliches Gespräch mit einem spirituellen Begleiter.

Denn Kommunikationsmittel wie Handy oder Laptop müssen draußen bleiben. Es gibt bereits Überlegungen, die Türmerstube auch nach dem Kulturhauptstadtjahr zu nutzen – etwa für Artists in Residence.

Das Projekt hat verschiedenste Menschen angelockt, gleich viele Männer wie Frauen, vom Tischler über die Hausfrau bis zum Ministerialbeamten ist alles dabei, erzählt Ideengeber Hubert Nitsch. Stellvertretend für sie alle hat das „Schaufenster“ neben Hubert Nitsch die jüngste Teilnehmerin, die Kunststudentin Esther Strauß, und den ältesten, Pensionist Werner Pallausch, zum Interview gebeten. Um nicht nur zu fragen, warum man bei so einem Projekt eigentlich mitmacht. Sondern auch:

Gibt es da oben eine Heizung?

Esther Strauß: Ja, es gibt eine, und die funktioniert auch sehr gut. Das ist komisch, das fragt irgendwie jeder. Die Menschen stellen sich offenbar vor, da werden die Leute in die kalte Türmerstube geschickt, und die sitzen frierend da oben und denken sich „Scheißprojekt!“ (lacht).

Sie waren als Erste dran und haben es jetzt schon hinter sich. Was haben die Menschen in Ihrer Umgebung dazu gesagt?

Strauß: Da gab es zwei Fraktionen. Die einen haben gesagt: Ich will auch! Und die anderen: Was machst du da bitte den ganzen Tag?

Wieso haben Sie sich entschieden mitzumachen?

Strauß: Mich interessieren Situationen, in denen sich die Wahrnehmung verändert, in denen es eine Chance gibt, dass sich Ideen, die man hat, verändern. Und die Eremitage hat mich auch als Gegenbild dazu gereizt, was mich als angehende Künstlerin im Berufsalltag erwartet. Ich finde Klausursituationen total spannend. Heute gibt es zwar noch Feierabend und Wochenende, aber trotzdem ist es doch kaum möglich, dass man einfach einmal die Zeit dafür hat, auf etwas zu warten. Einfach sitzt und wartet, was kommt an Gedanken, Ideen oder Wünschen daher. Es ist in unserer Gesellschaft ein Risiko, so etwas zu machen, weil wir nur das zielgerichtete Arbeiten gewöhnt sind.

Was haben Sie mitgenommen in den Turm?

Strauß: Ich habe keine Bücher mitgenommen, nur eine Schreibmaschine, Malsachen und eine Kamera, weil ich auch im Performancebereich arbeite.

Und hat sich die Wahrnehmung geändert?


Strauß: Es gibt die Möglichkeit, Spaziergänge zu machen durch Linz. Ich habe das nur einmal gemacht, und das war gegen Ende der Woche. Da muss ich sagen, das hat mich relativ schnell überfordert. Die Autos waren sehr laut. Und ganz schwer war, was ich sonst total gern mache, Gesprächsfetzen auf der Straße aufzufangen, das war mir fast schon zu viel.


Herr Nitsch, wie kamen Sie auf die Idee zu dem Projekt?

Hubert Nitsch: Das hat mit einer Eigenerfahrung zu tun. Ich war während meines Studiums neun Monate auf „Lebensschule“ in einem Kloster in Italien und hab dort nachgedacht, wie es weitergeht. Eremiten in der Stadt sind nicht so etwas Ungewöhnliches: Das gibt es nicht nur in Jerusalem und Bethlehem, sondern auch in Paris.

Herr Pallausch, was hat Ihre Frau zu Ihrem Vorhaben gesagt?

Werner Pallausch: Typisch.

Warum?

Pallausch: Ich habe immer gern allein Urlaub gemacht. Ich bin ein leidenschaftlicher Bergsteiger. Ich habe einmal allein drei Wochen lang Korsika durchquert von Norden bis Süden. Meine Frau hat oft gesagt: Jetzt wird’s schon wieder Zeit, wann bist denn wieder weg? Mir hat das Alleinsein und Schweigen immer viel gebracht.

Das Schweigen ist heutzutage nicht unbedingt
positiv konnotiert . . .


Pallausch: Ja, natürlich, wenn man seinen Partner anschweigt, ist das nicht schön.

Nitsch: Andererseits kann man vielleicht auch sagen: Nur wer miteinander schweigen kann, kann auch miteinander reden.

Pallausch: Ich muss ja da oben allein auch nicht nur schweigen. Ich kann ja auch allein fluchen. Solange nicht gerade eine Turmführung ist . . .

Nitsch: Es überrascht mich eigentlich, dass dieser Rückzugsgedanke in unserer Gesellschaft so außergewöhnlich ist. Für Theologen ist das üblich, einmal einen Einkehrtag zu machen. In anderen Kulturkontexten ist das auch ganz normal, dass sich zum Beispiel junge Menschen zurückziehen und über ihre Zukunft nachdenken.

Strauß: Ich finde, jetzt jung zu sein bedeutet, sich genau überlegen zu müssen, wo man sich positionieren will. Gerade im Kunst- und Kulturbereich muss man sich fragen: Was kann ich künstlerisch verantworten, was kann ich menschlich verantworten, wo kann ich im globalen Kapitalismus meinen Platz finden? Für mich ist an dem Projekt aber auch interessant: Wer nimmt sich eine Woche frei, eine Woche Urlaub, die man sonst vielleicht mit der Familie verbringen würde, um in einem Turm zu sitzen. Das ist schon eine Art Luxus.

Herr Pallausch, Sie haben ja schon eine Vorgeschichte mit dem Turm . . .

Pallausch: Als 15-Jähriger habe ich mich während des Krieges als Beobachter von Flugzeugangriffen freiwillig gemeldet. Es war ja Gott sei Dank nicht oft was los. Grausam war: Einmal hat ein Flugzeug direkt auf uns zugesteuert, und die haben mit Schnellfeuergewehren auf uns geschossen, da sind die Querschläger nur so geflogen. Aber es ist uns nichts passiert. Wir haben als junge Burschen auch viel Blödsinn gemacht. Ich hab einmal mit meinem Kollegen gewettet, dass ich noch weiter hinaufklettere und oben abschlage. Schiach war es, wie ich wieder runter bin, da sind Bomben gefallen, und ich musste über diese Leitern, die sind ja nicht richtig fixiert, sondern einfach nur angelehnt.

Mehr als die Hälfte der Eremiten macht das mit einem religiösen Hintergund. Wie ist das bei Ihnen?

Pallausch: Ich bin aus der Kirche ausgetreten. Aber ich bin religiös. Ich denke, dass jeder halbwegs intelligente Mensch irgendwo religiös ist.

Strauß: Ich bin auch aus der Kirche ausgetreten. Ich habe keinen Gottesbegriff. Aber ich bin insofern mit Theologie befasst, als meine Mutter Theologin ist.

Und was hat sie zu Ihrem Eremitendasein gesagt?


Strauß: Sie hat zur Fraktion „Ich will auch“ gehört.

Herr Pallausch, Sie ziehen nächstes Jahr zu Weihnachten ein. Ist das nicht hart, da will man vielleicht doch lieber bei der Familie sein?

Pallausch: Ich werde die Stille in der Türmerstube genießen.

Strauß: Man sieht sicher von oben auch genug Weihnachtsbäume.

Nitsch: Die Frage ist ja, ob man in der Stille nicht wesentlicher zum Weihnachtsgeheimnis Zugang findet, weil diese aufgebaute Inszenierung wegfällt.

Pallausch: Und die ganze Hektik in der Vorweihnachtszeit hab ich auch nicht. Herrlich.

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