Ich bin ich, doch wer sind wir?

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Sinnkrise mit 30: Marko Doringers Dokumentation „Mein halbes Leben“ ist ein symptomatisches Zeitbild zur „Generation Ego“ – und lässt die jugendlichen Kinomärchen „House Bunny“ und „Fight Girl Ayse“ alt aussehen.

So schnell zerplatzen die Träume vom Ruhm: Marko Doringers Dokumentarfilm Mein halbes Leben beginnt heiter mit dem Versuch des Regisseurs, samt Kamera den roten Teppich beim Filmfestival Berlin zu entern. „Ich stell' mir vor, ich bin ein gefeierter Star“, murmelt der Filmemacher auf der Tonspur, aber die Vorstellung ist kurz. Schnell interveniert Security-Personal: Doringer solle hier nicht filmen, denn das dürfen „nur die Profis“.

Aber was heißt heute Profi, wenn ohnehin praktisch jeder mit einer preiswerten Digitalkamera Filme machen kann? Und wer ist wirklich ein Star angesichts grassierender Fernsehmanien, wie sie mittlerweile schon in der TV-Nachtschleife am Kinderkanal parodiert werden, wo Bernd das Brot einschlägige Superstar-Showkonzepte durchleidet?

An solchen Punkten hakt Doringers Film ein, der als treffend peinlich-amüsante Nabelschau beginnt, dann gern zum Generationsporträt werden möchte, aber letztlich eher als symptomatisches Zeitbild endet.

Die Uhr tickt, der Beruf drängt

Ausgangspunkt ist eine Sinnkrise zur Lebensmitte. Mit Erreichen der 30 plagen Doringer Alterserscheinungen: „Ich stell' mir vor, ich wär ein alter Mann“ sinniert er angesichts von Haar- und Zahnausfall. Vor allem ist da ein beunruhigendes Gefühl: nichts erreicht zu haben. Kleine Kreuzberger Wohnung statt Berlinale-Palast. Gescheiterte Beziehungen: „Und ich hab beschlossen, du bist mir egal“, erläutert die Exfreundin niederschmetternd. Zukunftsaussichten sind in der sogenannten flexibilisierten Gesellschaft ja sprichwörtlich schwammig. Und die Lebensversicherung zahlt der Vater, der im Übrigen empfiehlt, die Filmerei zu lassen und was Gescheites zu studieren.

Stattdessen hat Doringer Mein halbes Leben gedreht. Drei daheimgebliebene Freunde gleichen Alters fragt er, ob sie seine Krisenerfahrung teilen. Mit subjektiver Kamera, wobei häufig eine spezielle Helmkamera zum Einsatz kommt, die jede Kopfbewegung mitmacht, das persönliche Gefühl verstärkt. Sportjournalist Tom ist mit seiner Anstellung „auf der sicheren Seite“, aber auf das Geleistete nicht wirklich stolz – er wäre lieber schöpferisch tätig. Wie Modesignerin Katha, die aber mit dem Kinderwunsch hadert: Die biologische Uhr tickt, der Beruf drängt. Manager Martin wiederum hat zwar eine Familie zu Hause, verbringt aber die Werkwoche in Sofia. Von der bulgarischen Hauptstadt kennt er „nur ein paar Lokale“. „Arbeiten – Essen – Schlafen“ erklärt Martin dem mitreisenden Regisseur seinen Tagesrhythmus, würdigt im Nachsatz die kleinen Freuden: „Aber des Bier is guat, net?“

Alles also irgendwie auch halbe Leben im Schwanken zwischen den Existenzentwürfen. Zwar werden einige unerwartete Entscheidungen getroffen, aber prinzipiell stellt sich eine gewisse Gleichförmigkeit ein. Doch gerade im Banalen steckt das Lebensgefühl (bezeichnenderweise finden alle Protagonisten genau das eigene Leben nicht interessant), und der subjektive Stil ermöglicht, dass entsprechende Details genau getroffen werden, symbolische (Selbst-)Bilder stellen sich nebenbei ein. Zwischen Befragungen der Freunde lässt sich Doringer analysieren und besucht Ärzte: Da scheint weniger das Röntgen beim Dentisten als der unscharfe Blick beim Augenarzt bedeutend.

Hat die Unsicherheit der Thirtysomethings mit der Undurchschaubarkeit einer sich so rasch wandelnden Gesellschaft zu tun? (Symbolisch passt da auch perfekt, dass Papa die Versicherung zahlt.) Katha findet die Probleme typisch für ihre „Generation von Egoisten“, Martin will durch Übernehmen der Verantwortung für seine Kinder dem „Egotrip“ entkommen.

Bemerkenswert an diesen Selbstzuschreibungen ist, dass der mediale Entwurf „Generation Ego“ (im Gegensatz zu vorigen Generationen wie „Golf“, „X“ etc.) sich sonst nicht wirklich durchgesetzt hat. Die – vielleicht unbewusste – Leistung von Doringers Film ist, bewusst zu machen, warum die Ich-Idee dennoch im Vordergrund steht: Weil es keine oder nur noch eine vage Vorstellung eines sinnstiftenden, solidarischen Wir gibt. Ich bin ich, doch wer sind wir?

Interessant ist da der Vergleich mit zwei ebenfalls aktuell angelaufenen Kinofilmen, die einer (noch) jüngeren Generation in bewährter Manier gesellschaftliche Rückversicherung anbieten, dafür allerdings ihre Welt aus Klischees zimmern müssen.

Die Hollywood-Komödie House Bunnyund das mit modischen Kampfszenen aufgefettete dänische Teenager-Drama Fight Girl Ayse erzählen das Kinomärchen von Selbstverwirklichung und dem Entdecken innerer Werte. House Bunny verschenkt das (dennoch angelegentlich aufblitzende) Genie der Komödiantin Anna Faris an eine formelhafte, von sporadischen Gags belebte Geschichte vom geistesschlichten Möchtegern-Centerfold, das aus dem Häschen-Haus von Hugh Hefner fliegt (der Playboy-Gründer darf sich selbst spielen – als alten Altruisten). Die naive Sexbombe rettet eine Gruppe Außenseiter-Studentinnen, indem sie ihnen äußere Werte näherbringt und im Gegenzug lernt, dass nicht nur die zählen.

Martial Arts: Mädchen gegen Männer

Das Fight Girl Ayse ist Tochter türkischer Einwanderer, es gibt Ärger im konservativen Elternhaus, weil sie Martial Arts praktiziert – sogar mit Männern! Auch Ayse findet natürlich ein Auskommen, das wenig wirklichkeitsnah scheint. Beide Filme laufen absehbar auf Herstellung des Status Quo mit gestreicheltem Protagonistinnen-Ego hinaus.

Solche Auslaufmodelle funktionieren in Mein halbes Leben nicht mehr, trotz Bemühungen um konventionelle Erzählung bis zu einer Art Happy End. Letzteres über den Film hinaus: Zur Berlinale ist Doringer nicht gekommen, aber beim Austro-Filmfest Diagonale gewann er den Hauptpreis. Das mag eine Streicheleinheit für sein Ego sein, aber das Dilemma der Generation löst es nicht. Es bleibt die Frage, ob und wie diese „Generation Ego“ zur Gemeinschaft werden könnte. Da demonstriert Doringers Dokumentation auch die (im Film nie angesprochene) Ratlosigkeit gegenwärtiger Politik. Auch sonst ist der Film bis in die Haltung der subjektiven Kamera symptomatisch für ein paradoxes Zeitalter: Die Ära von YouTube und Facebook, wo Angst vorm Überwachungsstaat mit dem freimütigen Bekanntgeben privatester Details Hand in Hand geht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2009)

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