Die Asche meines Mannes

Der gellende Schrei der Gräfin hallte durch die großzügigen Räume der Villa im Währinger Cottage.

Sofort stürmte Anni, das Dienstmädchen, herbei. Sie fand die Gräfin im Salon ausgestreckt auf dem Sofa liegend. Sie stöhnte und fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu. „Einen Cognac" verlangte sie. Dann ließ sie nach Marco Martin, dem Detektiv, der das Vertrauen der Familie genoss, schicken. In den Kreisen der Gräfin Valerie Waldorf-Biarits setzte man seit jeher auf Diskretion. Vor allem ließ man die Polizei nicht freiwillig in sein Heim, solange es nicht unbedingt sein musste. In delikaten Angelegenheiten setzte man auf private Investigation.
Marco Martin, Ermittler, wie er sich auf seiner Visitkarte bezeichnete, machte der Gräfin sofort seine Aufwartung. Martinec, wie in seiner Taufurkunde stand, war nach seinem Dafürhalten bei seinem Kundenstock nicht förderlich, also ließ er die „geschäftsschädigende" Endung einfach weg. Aus Markus Marco zu machen war weniger auf eine italophile Ader zurückzuführen, sondern auf die nervende Frage nach dem Nachnamen.
Es war Aschermittwoch. Entsprechend gezeichnet erschien er im hochherrschaftlichen Haus. Aber auch dort schien gefeiert worden zu sein.
Worum es sich handle, fragte er höflich. Die Gräfin deutete auf den Kaminsims, der durchgehend von Konfetti bedeckt war und erläuterte ihm, dass in der vergangenen Nacht von dort die Urne mit der Asche ihres verstorbenen Mannes gestohlen worden wäre. Sie habe gestern Abend Gäste zu einem Faschingsempfang geladen. Da sei die Urne noch an ihrem Platz gestanden. Heute, nach dem Aufstehen gegen 11 Uhr, habe sie sofort den Diebstahl entdeckt.
Martin stellte daraufhin die Frage, die es zu Beginn jeder Untersuchung zu stellen galt: „Haben Sie einen Verdacht?"
„Ob ich einen Verdacht habe?", wiederholte die Gräfin auf ihre aristokratisch schnippische Art. „Natürlich habe ich einen Verdacht. Fragen Sie doch Max Hiedler, diesen Erbschleicher! Seit über einem Jahr versucht er mit allen Mitteln zu beweisen, dass er der uneheliche Sohn von meinem Carl-Gustav ist. Dabei hat er so was nicht gemacht, ... also das mit anderen Frauen. Er hat ja mich gehabt."
Sie warf ihren molligen Körper in Positur. Martin blickte betreten zu Boden.
„Aber warum sollte jemand die ...", setzte er an, doch die Geste der Gräfin ließ ihn verstummen. An ihrem Blick erkannte er, dass es nichts mehr zu besprechen gab und er sich an die Arbeit machen solle. Also sah er sich im Salon um. Auf dem Boden lag ebenfalls Konfetti verstreut, ebenso einzelne zertretene Papierschlangen. Die Tür zur Terrasse war angelehnt, ein Glas war eingeschlagen worden, einzelne Splitter lagen auf dem Boden. Auf dem Teppich waren feuchte Fußabdrücke zu erkennen. Martin nahm noch einmal den Kaminsims in Beschau und wandte sich grübelnd ab. Er ließ sich die Adresse des von der Gräfin Belasteten geben und verabschiedete sich einstweilen.

Die Fahrt dauerte nicht lange, da Hiedler in Neuwaldegg ein Apartment bewohnte. Er öffnete nach dem zweiten Läuten. Martin fiel der Verband an Hiedlers rechter Hand auf. Er stellte sich vor und sagte dem jungen Mann den gegen ihn geäußerten Verdacht auf den Kopf zu.
„Wie bitte?", erboste sich dieser. „Diese Schlange! Warum hätte ich das tun sollen? Mein Anwalt hätte ohnehin bald einen Ausfolgungsbeschluss erwirkt. Das weiß sie doch. Nur ..."
Hiedler wurde bleich. Martin sprach aus, was dieser gedacht haben musste: „Wenn es keine Urne gibt, dann auch keinen Vaterschaftstest, obwohl, ich glaube ... na ja, egal. Ist nicht so wichtig. Was ist übrigens mit Ihrer Hand passiert?"
„Den falschen Hund gestreichelt." Hiedler lächelte gequält.
Martin nickte. Er machte sich noch eine kurze Notiz, dann verabschiedete er sich und steuerte wieder die Waldorf´sche Residenz an.
Das Stubenmädchen hatte inzwischen sauber gemacht. Die Reste der Feier vom Vortag waren ebenso beseitigt wie sämtliche Spuren. Doch die Gräfin, die ihn mit einem süffisanten Lächeln begrüßte, hatte nicht mit Martins fotografischem Gedächtnis, das sich jedes Detail im Raum eingeprägt hatte, gerechnet. „Ich glaube, wir sollten uns darüber unterhalten, warum Sie einem jungen Menschen möglicher Weise sein Erbe vorenthalten möchten", sagte er.
Die Blässe, mit der die Gräfin reagierte, war alles andere als nobel.

Frage:
Wodurch ist Martin der Gräfin auf die Schliche gekommen?
Und welchem kriminologisch-wissenschaftlichen Irrtum sind die beiden Kontrahenten aufgesessen?

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Der Autor

Christian Klinger, Jahrgang 1966, arbeitet als Jurist im öffentlichen Dienst, spielt E-Bass in mehreren Bands und schreibt seit 2001 Kurzgeschichten und Romane („Die Spur im Morgenrot", „Tote Augen lügen nicht"). www.krimiautoren.at

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