„Damit ich auch einmal ins Gymnasium komme“

(c) Clemens Fabry
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An der früheren Hauptschule in Klosterneuburg zählen die Aussichten auf eine spätere Karriere – bei den Schülern und den Eltern. Das Nebeneinander von Zehn- und Elfjährigen funktioniert ganz ohne Selektion.

KLOSTERNEUBURG. „Ich will auch irgendwann einmal das Gymnasium sehen“, sagt Alexander, neun Jahre alt. Gerade hat er sich bei Frau Direktor Ingeborg Berger von der Haupt- und Neuen Mittelschule in Klosterneuburg, Hermannstraße 11, über die Neue Mittelschule informiert. Alexanders Volksschulklasse ist ein Stockwerk über der Neuen Mittelschule angesiedelt, für eine Stunde ist er mit seinen Klassenkollegen zu einem Vortrag von Frau Berger hinuntergegangen. Die Tafel an der Wand des Klassenzimmers – „Wie komme ich von der Volksschule bis in den Beruf?“ – gefällt Alexander gut. Denn: Die Neue Mittelschule erlaubt eigentlich alles.

Nach vier Jahren kann Alexander eine Lehre absolvieren oder auch ein Gymnasium besuchen. So wie seine Verwandten. „Von meiner Familie sind alle ins Gymnasium gegangen“, sagt Alexander. Ab Herbst werde es bei ihm noch nicht so weit sein, die Deutsch- und Mathematiknoten könnten nicht gut genug sein, befürchtet er bei einem „Presse“-Lokalaugenschein in der Haupt- und Neuen Mittelschule in der Hermannstraße. Aber später vielleicht, nach der Neuen Mittelschule (NMS)? Das ist Alexanders große Hoffnung.

Konkurrenz um neue Schüler

25 Schüler, darunter der Bub, haben sich am Donnerstagmorgen das Angebot der NMS präsentieren lassen, das es am Klosterneuburger Standort erst seit Herbst 2009 gibt, an manchen anderen Standorten schon ein Jahr länger. Für den späteren Vormittag hat sich noch eine Volksschulklasse aus Mödling angesagt. Insgesamt elf Klassen aus der Region empfangen Direktorin Ingeborg Berger und ihre 13 Lehrer in diesen Tagen, damit sie bei einem Vortrag und einem Rundgang „schnuppern“ können. Die Schule will schließlich für sich werben und sieht sich selbst in „Konkurrenz“ zum Klosterneuburger Gymnasium, sagt die Direktorin. Immerhin gibt es dort mehr als 1000 Schüler und mitunter sogar sieben erste Klassen. Ob die Neue Mittelschule den Andrang aufhalten kann, wagt Berger nicht einzuschätzen.

Unterricht mit BHS-Lehrern

Noch nicht jeder der Schüler, die sich dafür interessieren, weiß, wofür das Schlagwort NMS eigentlich steht. Die Bezeichnung „Gesamtschule“ wird hier vermieden. Aber: Die Zehn- und Elfjährigen, die sich – mit Unterstützung ihrer Eltern – seit Herbst bereits im Rahmen dieses neuen Schulversuchs in der Klosterneuburger Schule befinden, werden gemeinsam nach einem Lehrplan unterrichtet – jenem der AHS nämlich, wie an jedem Gymnasium. Alle Zehn- bis Elfjährigen unter einem Dach, ganz ohne Wahl zwischen AHS und Hauptschule, die sie sonst schon nach der Volksschule hätten treffen müssen. Auch zwei BHS-Lehrerinnen von der Handelsakademie Tulln stehen sechs Stunden in der Woche gemeinsam mit den bisherigen Hauptschullehrern in der ersten Klasse: Doris Czesany und Claudia Lang.

So sei es möglich, die besseren Schüler zu fördern und den schwächeren zu helfen, sind sich alle Lehrer einig, und so lautet auch das Prinzip des Schulversuchs „Neue Mittelschule“. Dafür gibt es mehr Geld von Bund und Land. Die Kinder müssen in Deutsch, Mathematik und Englisch nicht in Leistungsgruppen getrennt werden.

Erst nach den ersten zwei Jahren, so will es ein niederösterreichisches Spezifikum der NMS, werden die Schüler gemeinsam mit ihren Eltern und Lehrern entscheiden, ob sie nach dem AHS- oder nach dem Hauptschulstoff weiterunterrichtet werden wollen. Allerdings wird auch das immer noch in einer Klasse, im Klassenverband, passieren.

An den anderen Standorten außerhalb Niederösterreichs dauert die NMS vier Jahre lang. So lange gibt es keine Selektion der Schüler – egal, ob sie aus sozial schwachen oder starken, ob sie aus weniger oder höher gebildeten Familien kommen. Das, so argumentiert vor allem die SPÖ, werde die Chancen der Schüler erhöhen. Ein solches (Gesamtschul-)Modell sei fairer, auch benachteiligte Kinder könnten es so – wenigstens nach der NMS – ans Gymnasium oder bis an die Universität schaffen. Bevor die NMS auf weitere Standorte ausgedehnt wird, solle man den ersten „Durchgang“ von vier Jahren abwarten und prüfen, hält die ÖVP dagegen: Sie will im Gegensatz zur SPÖ die Quote der NMS-Schulen nicht von zehn auf 20 Prozent anheben (siehe unten).

Dreier kein Hindernis

Während für Alexander und seine Altersgenossen erst die Schuleinschreibung ansteht, nämlich im Februar, wissen die Schüler in der ersten Klasse der Neuen Mittelschule schon, wie es danach weitergehen könnte. „In Deutsch bin ich noch nicht so gut, aber meine Cousine ist im Gymnasium, und ich werde in einem Jahr entscheiden, ob ich später auch hingehe“, erzählt Jackie, zehn Jahre alt. Seine Klassenlehrerin, Christl Nagl-Eder, traut ihm viel zu. Zu Hause mit seinen Eltern spricht der Sohn von Migranten vorrangig eine chinesische Sprache, in der Schule und mit Freunden Deutsch, und jetzt lernt er bei Lehrerin Dorothea Dürauer und Begleitlehrerin Nagl-Eder Englisch – mit viel Erfolg, wie die Lehrerinnen betonen.

„Can you swim?“, fragt Frau Dürauer am Donnerstagvormittag ihre Schüler. „Yes, I can“, sagt Mona. „Ich wollte noch nicht aufs Gymnasium“, erzählt die Zehnjährige der „Presse“. „Ich wäre dort nicht so gut wie hier in der Neuen Mittelschule“, glaubt sie. In Englisch steht sie inzwischen bei Sehr gut, in Deutsch bei Gut, nur in Mathematik sei sie „nicht so gut“. „Ob ich später ins Gymnasium gehe, weiß ich noch nicht.“

„Prestigefrage für die Eltern“

Für viele Eltern sei es eine „Prestigefrage“, dass ihre Kinder in der AHS unterkommen, sagt Direktorin Ingeborg Berger. So klinge auch „Neue Mittelschule“ für Interessenten heute besser als „Hauptschule“. Und die Aussicht, nach der NMS vielleicht doch leichter an ein Gymnasium wechseln zu können als nach einer regulären Hauptschule, wiege schwer. Die jetzige erste Klasse in der Hermannstraße zählt 19 Schüler. Wie viele Erstklassler mit Herbst an diese Neue Mittelschule kommen werden, kann Berger noch nicht abschätzen.

„Schule braucht Wandel“

Die Umgestaltung des Schultyps von einer Haupt- zu einer Neuen Mittelschule erklärt die Direktorin damit, dass „Schule Wandel braucht“. Die Neue Mittelschule eröffne den Schülern neue Chancen, und die Lehrer aus Hauptschule und BHS könnten „Team-Teaching“ zum Wohl des Kindes praktizieren. Schüler könnten eher zum „Selbstlernen“ hingeführt werden, sagt Berger.

Die Englischstunde neigt sich dem Ende zu, die erste Klasse an der Neuen Mittelschule in der Hermannstraße ist noch ganz bei der Sache. „Schön ist es hier“, findet Daniel, elf Jahre. Warum er hauptsächlich in die NMS gekommen ist? Viele Freunde seien hier. Darunter Tobias, einer seiner besten Freunde aus der Volksschule. Und was könnte nach der Neuen Mittelschule kommen? „Mal schauen. Da ist ja noch ein bisschen Zeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2010)

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