„Ein idealer Gatte“ im irre korrupten Russland

„Ein idealer Gatte“ von Konstantin Bogomolov
„Ein idealer Gatte“ von Konstantin Bogomolov Wiener Festwochen
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Konstantin Bogomolov überfährt mit seiner fantastisch angereicherten Version von Oscar Wildes Komödie das Publikum. Man muss nicht alles verstehen, um diese Inszenierung doch zu lieben.

Aus scheinbar sicherer Distanz von 122 Jahren ist herrlich anzuschauen, wie Oscar Wilde in „An Ideal Husband“ Londons High Society seziert. Politische Intrigen, Korruption und – Liebe dominieren das Stück. Dieser Cocktail wirkt noch immer, wie die Inszenierung von Konstantin Bogomolov zeigt. Seine vierstündige Version von „Ein idealer Gatte“ hat er mit Wildes Roman „The Picture of Dorian Gray“ sowie mit Szenen aus Werken von Tschechow, Puschkin, Goethe und Shakespeare angereichert. Sie sind hier keine Klassiker, sondern Sprengstoff. Ende 2013 wurde die Bühne des Moskauer Künstlertheaters von orthodoxen Demonstranten gestürmt, Kirche und Politik schrien: „Skandal, Blasphemie und Verhöhnung des Vaterlandes!“

Eine halb nackte Frau auf einem imaginären Kreuz, Politiker und Gangster in Trainingsanzügen, tanzend in Sotschi, der fast heiligen Stätte der Olympischen Winterspiele – ja, darf man denn das? Russlands Schickeria gierte danach, sich in dieser frechen, intelligenten Aufführung verhöhnt zu sehen. Bogomolov hat offenbar einen Nerv getroffen. Der Skandal ist bei ihm die Verquickung von Macht und Kirche sowie die vehemente öffentliche Ablehnung, aber privat offenbar leidenschaftlich praktizierte Homosexualität. Aus scheinbar sicherer Distanz konnte man am Mittwoch bei den Wiener Festwochen erahnen, warum solche Entblößungen (auf Russisch mit deutschen Übertiteln) unter dem strengen roten Zaren Wladimir kaum geduldet werden. Sie sind real. Solche fesche Buberlpartien wären bei uns in der Heimat der Anständigen nicht möglich. Oder?

Flexibler Minister für Gummiwaren

Bleiben wir also in Russland. Das Schöne an dieser ausufernden Aufführung ist, dass man all die vielen Anspielungen gar nicht verstehen muss, um seinen Spaß zu haben – zumindest über weite Strecken, denn besonders im mittleren von drei Akten war sie dann doch zu ambitioniert, eher ein Friedhof epischer Zitate denn flottes Lustspiel. Anfang und Ende jedoch sind fantastisch. Auftritt eines Herrn, Lords (Igor Mirkurbanow), Schnulzensängers der Extraklasse mit langem Haar und Bärenstimme, begleitet von drei tollen Ladys. Er singt von Liebe und Heimat. Auf den Screens sieht man kitschige Bilder, die russische Seele ist ein weites Land. Ein Stoff, aus dem Siegerträume von Song Contests gemacht sind. Schon eilt der Politiker Robert Ternow (Alexej Krawtschenko) herbei, der Minister für Gummiwaren, und zeichnet den Sängerhelden aus. Die Körpersprache der beiden signalisiert Hörigkeit. Der Verdacht verstärkt sich, als Ternows Gattin, Gertruda, auftritt, eine knallharte Geschäftsfrau. Er bestätigt sich, als deren Rivalin Cheavely den Minister erpresst, mit einem Video, das die beiden Männer beim Sex zeigt.

Man versucht nun Schadensbegrenzung. Immer dabei ist die Kirche, mit einem hübschen Geistlichen, der später in die Rolle Mephistos schlüpft. Mitten im „Dorian Gray“ wird nämlich auch „Faust I“ zitiert. Der Pater besiegelt den Pakt mit Rotwein, entkorkt ihn mit einem Symbol. Das Kreuz an seiner Brust entpuppt sich als Flaschenöffner. Ab diesem Mittelteil wird es literarisch etwas unübersichtlich. Onegin tritt auf, Romeo und Julia werden verhöhnt: Altes Theater rostet.

Die Musik ist kongenial, reicht von Lana Del Rey und Frank Sinatra bis zu Tschaikowsky und Haydn zurück. Dessen Schöpfung kommt allerdings nicht bis zum erlösenden, lichten C-Dur-Dreiklang – eine von zahlreichen Subtilitäten. Gröber, aber ein absoluter Höhepunkt: Tschechows „Drei Schwestern“ haben es nach Moskau geschafft. Als gelangweilte, koksende Tussis spielen sie mit ihren Mobiltelefonen und faseln vom Leben, von Arbeit. Aber die Liebe? Die zahlt beim wilden Bogomolov drauf. Sie wird begraben.

(Print-Ausgabe, 27.05.2016)

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