Der Virtuose mit dem inneren Feuer

Kirill Gerstein brillierte mit Brahms und Liszts transzendentalen Etüden im Konzerthaus: großes Klavierspiel.

In Amerika ist der 37-jährige US-Staatsbürger russischer Abstammung längst ein Begriff. Weniger in Europa, wenngleich Kirill Gerstein in den letzten Jahren bei den besten europäischen Orchestern gastiert hat. So im Herbst 2014 bei den Wiener Philharmonikern mit dem 2. Schostakowitsch-Konzert. Klassische Musik und Jazz sind für ihn gleich wichtig. Einige Jahre schwankte er zwischen den Genres, ehe er sich für Letzteres entschied, ohne seine Liebe für den Jazz ganz aufzugeben. Auch Kammermusik spielt bei ihm eine große Rolle, so spielt er oft mit Kolja Blacher und Clemens Hagen oder mit dem Hagen Quartett.

Als umfassender Musiker bewies er sich auch bei seinem jüngsten Soloabend im Großen Konzerthaussaal. Wie ideal sich Expressivität und Sachlichkeit miteinander verbinden lassen, demonstrierte er vor der Pause vor allem bei der zweiten Klaviersonate von Brahms. Selbst in den vertracktesten Passagen dieses technisch anspruchsvollen Werks brillierte er mit exemplarischer Durchsichtigkeit, überzeugte durch weiträumige Disposition, ohne Details zu vernachlässigen. Es ist ein inneres Feuer, das in Gerstein brennt, deswegen wirkt seine Emotion stets kontrolliert. In seinen Interpretationen dominiert die genaue Darstellung des Notentextes über subjektiver Eigenwilligkeit. Show ist nicht seine Sache, umso mehr höchste gestalterische Kompetenz.

Bei Bach wirkte er etwas kühl

Sie zeichnete auch das Einleitungsstück aus, die Vier Duette BWV 802-805 von Johann Sebastian Bach. Ihre Darstellung wirkte bei aller Souveränität etwas kühl, hätte mehr dynamischer Differenzierung und eine elegantere Phrasierung vertragen. Ein bewusster Kontrast zu den folgenden Programmpunkten, eine Einladung an das Publikum, sich erst einmal zu sammeln, um sich auf die kommenden virtuosen Herausforderungen konzentrieren zu können? Fast hatte es diesen Anschein. Nicht nur Brahms' fis-Moll-Sonate gelang ungleich atmosphärischer, lockerer und farbiger, erst recht faszinierte er mit Liszt. Dessen teuflisch schwere Etudes d'exécution transcendante präsentierte er mit einer atemberaubenden Mischung aus klanglichen Differenziertheit, Virtuosität und Transparenz der Stimmen, machte dabei auch noch die Idiomatik dieser so unterschiedlich konzipierten, in ihrer Harmonik weit in die Zukunft reichenden zwölf Stücke deutlich. Hervorragend!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2017)

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