Russell Brand: Ein Komiker will sich ernst geben

Russell Brand opens his Trew Era cafe, London, Britain - 26 Mar 2015
Russell Brand opens his Trew Era cafe, London, Britain - 26 Mar 2015: Mark Thomas / Rex Features / picturedesk.com
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Kritiker halten Russell Brand für einen "Champagner-Sozialisten", Fans sehen ihn als einen Messias. Sein Aufruf zur "Revolution" liegt nun auch auf Deutsch vor.

Für die einen ist er ein Messias, für die anderen ein Scharlatan. Sicher aber ist, dass Russell Brand kaum jemanden kaltlässt. Der Mann mit dem stechenden Blick, langem Haar und dem geöffneten Hemd mit Blick auf sein üppig sprießendes Brusthaar sieht aus wie eine Verbindung von Jesus Christus und Che Guevara. Genauso ist der Schauspieler, Komiker, Radiopräsentator, Buchautor, Politaktivist und Selbstdarsteller nun auch auf dem Cover der deutschen Ausgabe seines Bestsellers „Revolution“ abgebildet. Im Original verspricht er: „Dieses Buch macht die Revolution nicht nur möglich, sondern unausweichlich und zu einem Vergnügen.“

Nicht für den Leser allerdings, denn Russels Werk ist ebenso schwer verständlich wie seine sonstigen Auslassungen. Vom Inhalt ganz abgesehen neigt der selbst ernannte Revolutionsführer zu einer derart verqueren Ausdrucksweise, dass ihm Ende 2014 der „Kauderwelsch“-Preis verliehen wurde. „Während wir seine Entschlossenheit bewundern, eine Debatte über die Demokratie und den tristen Zustand der Welt zu starten, haben wir größte Schwierigkeiten, den Großteil seiner Stellungnahmen zu verstehen“, hieß es in der Begründung.

Halb verstanden

Respekt und Beileid an die Übersetzer von Sätzen wie „dear ol' Thomassy Piketts, ol' Piketty, Licketty, Rollitty, Flicketty, has been given a right kicketty...“, die das Buch durchziehen. Der Politologe David Runciman bezeichnete „Revolution“ als teilweise „jenseits der Parodie“, und der Kritiker Nick Cohen schreibt: „Es ist voller Hinweise auf Bücher, die er halb gelesen, und Denker, die er halb verstanden hat.“ Neben dem erwähnten Starökonomen Thomas Piketty spielen der Linguist Noam Chomsky, aber auch Franz von Assisi und die Schriften des Hinduismus eine zentrale Rolle.

Brands Eklektizismus ist nicht nur stilistisch schwer verdaulich, sein Buch ist auch voller faktischer Fehler und teilweise reiner Unsinn. Erkenntnisse wie „den Kapitalismus zu einer Verhaltensänderung aufzufordern, ist wie von einem Mikrowellenherd zu verlangen, ein Auto zu waschen“ führen zu tiefsinnigen Forderungen wie der sofortigen Streichung aller Privatschulden („Dienstagnacht gehst du mit Schulden auf deiner Kreditkarte, einer Hypothek und verdammten Kopfschmerzen zu Bett. Mittwoch wachst du mit neuem Schwung auf und hast Geld in deiner Tasche.“)

Das würde mit einem Schlag zu einem Ende jeder Banktätigkeit und dem Zusammenbruch der Wirtschaft führen. Doch wichtiger sind die großen Linien: Brand will den Sturz des gesamten politischen und wirtschaftlichen Systems. Die Teilnahme an Wahlen lehnt er ab („Es gibt niemanden, der es wert ist, gewählt zu werden“), Banken sind böse und an allem schuld. Die bestehende Ordnung will Brand durch eine spirituelle Revolution hinwegfegen („Es wird schnell gehen, denn alles, was wir brauchen, ist eine Veränderung des Bewusstseins“).

Es ist nicht schwer, Brands Argumentation und seine bizarren TV-Auftritte zu kritisieren. Tatsache aber ist, dass er ein riesiges Publikum anspricht. Neun Millionen Menschen folgen ihm auf Twitter, mit seinen „Trew News“ („Wahre Nachrichten“) auf YouTube erklärt er einem Millionenpublikum die Welt, wie er sie sieht (die Leser des Intellektuellen-Magazins „Prospect“wählten ihn kürzlich zum „viertwichtigsten Denker der Welt“; das war sogar den Herausgebern spürbar peinlich). Und wenn es in London eine Protestaktion gegen böse Banken, ausbeuterische Unternehmer oder grausame Kürzungen von öffentlichen Leistungen gibt, ist er an vorderster Front dabei.

Da kann es schon vorkommen, dass Brand sich von einer Demo von seinem Chauffeur in seinem Mercedes abholen und in seine Nobelwohnung im In-Bezirk Shoreditch bringen lässt. Auf zehn Mio. Pfund wird Brands Vermögen geschätzt, der kurz mit US-Popstar Kate Perry verheiratet war. Nach drei Monaten war man in Paartherapie, nach 14Monaten geschieden – Brand schickte eine SMS. Ein Engagement beim TV-Sender Channel4 endete mit Rausschmiss, als er einen Tag nach 9/11 als Osama bin Laden verkleidet zur Arbeit erschien. Bei der BBC verlor er einen Job als Radiomoderator nach „Scherzanrufen“ bei einem alten Schauspieler, dem er Nachrichten hinterließ, welch „satanische Nutte“ dessen Enkeltochter sei. Als Kabarettist zieht er erfolgreich durch die Lande, das jüngste Programm „Messiaskomplex“ war jedoch überraschend frei von Selbstironie.

Seinen luxuriösen Lebensstil sieht Brand nicht in Widerspruch zu seiner Weltsicht. „Geld bedeutet mir absolut nichts“, sagt er. Obwohl er für seine Wohnung 5000 Pfund im Monat zahlt, steht er auf der Straße, um den Abriss von Sozialbauten zu verhindern. Der marxistische Historiker Eric Hobsbawm erwiderte einst auf Kritik an seinem Lebensstil: „Wenn wir schon auf der Titanic unterwegs sind, dann wenigstens erster Klasse.“

Yoga im Mercedes

Brand kämpft um seine Vision einer anderen Welt mit dem Engagement des Bekehrten. Lange kämpfte er mit Drogen, seit zehn Jahren hat der bald 40-Jährige keine Drogen und keinen Alkohol mehr angerührt. Stattdessen meditiert er heute und macht Yoga – auch im Fond seines Mercedes. Soeben hat er von dem Erlös seines Buches ein Café finanziert, in dem Menschen mit Drogenproblemen eine zweite Chance bekommen sollen. Er sagt: „Ich glaube fest daran, dass sich alles ändern kann, denn ich habe mich selbst geändert.“

Brand artikuliert ein Unbehagen mit dem Zustand unserer Gesellschaft, das unser Establishment aus Politik und Wirtschaft zu leugnen versucht. Es ist wohl ein Glück, dass er nicht am Steuerrad der Titanic steht. Doch unbeirrt ist das Schiff unterwegs zum nächsten Eisberg.

Buch

Russel Brand: Revolution. Anleitung für eine neue Weltordnung. Heyne Verlag; 23,70 Euro

Biografie:
Geboren 1975 in Grays, England. Startete als Schauspieler in der Serie „Mud“ des Kindersenders CBBC, arbeitete als Stand-up-Comedian und moderierte Shows unter anderem auf MTV. Er spielte in mehreren Kinofilmen, etwa „Nie wieder Sex mit der Ex“ (2008) oder „Rock of Ages“ (2012).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2015)

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