Hunderte Todesurteile – na und? Kurz' Gespür für falsche Töne

Der ÖVP-Außenminister verdeckte mit guter P.R. bisher jede Ungereimtheit und genießt steigende Popularität. In Ägypten leistete er sich einen schweren Fehler.

Wann und wo immer in den letzten zwölf Monaten nach der obligaten Schonfrist Kritik an der doch unkonturierten Außenpolitik Österreichs und der Image-getriebenen Amtsführung von Sebastian Kurz (28) aufgekommen ist, war diese leicht zu entkräften: Kurz habe durch seine Jugend einen hohen Wiedererkennungswert, der international nur von Vorteil für Österreich sein könne. Und er habe bisher keinen Fehler gemacht.

Damit ist es seit vorgestern vorbei. Die Art und Weise des Kurz-Besuchs in Ägypten, dessen Timing und die Aussagen des Außenministers, als er dem autoritären Staatschef Abdel Fatah al-Sisi seine Aufwartung in Kairo machte, müssen als schwere Fehler angesehen werden. Dem Militärdiktator al-Sisi zu attestieren, Ägypten könnte ein „Gegenmodell zum Kalifat“ des IS sein, grenzt trotz aller semikritischen Sätze, die vielleicht bei dem Gespräch noch vorgebracht wurden, an unzulässige Anbiederung. Was bringt diese überzogen freundliche Haltung Österreich – außer internationalem Spott vielleicht?

Österreich ist zu unbedeutend, um mit einer Politik à la „Er ist zwar ein Bastard, aber er ist unser Bastard“ reüssieren zu können. Das Einzige, womit Österreich international auffallen kann, ist Haltung. Und diese wäre bei dem ohnehin unglücklichen Timing des Besuchs besonders notwendig gewesen: Vier Tage nach den Todesurteilen für den einst demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi und über 100 anderen Mitgliedern der Muslimbruderschaft war dieser Besuch bei al-Sisi unangebracht.

Was wäre die Alternative gewesen? Den Besuch absagen. Natürlich. Ohnehin ein paar Worte gegen die Todesstrafe gemurmelt? Vielleicht hätte sich Kurz zwischen dem 16. Mai und dem Abflug nach Kairo doch besser informieren sollen.

Bei Norbert Lammert, dem Bundestagspräsidenten Deutschlands etwa, der aus Protest gegen die Entwicklung in Ägypten ein Treffen mit Staatschef al-Sisi in Berlin mit folgender Begründung streicht: „Verfolgung, Massenverhaftungen und eine unfassbare Anzahl von Todesurteilen.“ Oder bei Michael Lüders, dem langjährigen Nahostkorrespondenten der „Zeit“. Dieser schreibt in seinem Buch „Wer den Wind sät“ über das Repressionsregime und den Gesinnungsterror jetzt: „Über kurz oder lang wird sich die Lage gefährlich zuspitzen..., die Muslimbrüder in den Untergrund gehen, radikalere islamistische Gruppen dem Staat den Krieg erklären.“ So viel zum „Gegenmodell“ von Sebastian Kurz.

Er ist sicher nicht der erste und einzige Außenminister, der Opfer seines eigenen Wunschdenkens wird. Bei seinem bisherigen Gespür für Image und Öffentlichwirksamkeit ist der Fehler bei Timing und Auftreten aber doch verblüffend. Bis jetzt hat Kurz davon profitiert, das glatte Gesicht der österreichischen Außenpolitik zu sein. Da fielen schon bisher manche Ungereimtheiten weniger auf. Der Ukraine etwa empfahl er die österreichische Neutralität als Modell und ließ dabei außer Acht, dass diese nach dem Willen seiner ÖVP aber auch mit einer Teilnahme an der EU-Armee vereinbar sein müsse. Welche Neutralität?

Oder die Sache mit der „einheitlichen deutschen Koran-Übersetzung“, die er im Zuge des Islamgesetzes verlangt hat. Experten bezeichneten das mehr oder weniger als Humbug, denn schließlich gebe es auch keine einheitliche Bibelübersetzung. Jede Schlagzeile eine Profilierung!

Um Profilierung geht es offenbar hauptsächlich. Etwa bei den eher seltsamen „Sebastian Kurz Stipendien“ der Uni Innsbruck, der Med-Uni Innsbruck und des Management Centers Innsbruck für internationale Studenten, offiziell finanziert von den Deutschen Freunden der Universität Innsbruck, einem Verein mit nicht ganz unumstrittener Geschichte. Kolportierte Größenordnung: 764 Euro pro Stipendium, insgesamt 2.238 Euro. Aber immerhin geht es da auch um Integration, wofür Kurz zuständig ist. Alles besser als ein Kotau unter Pyramiden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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