Sprayer in der Wiener Hofburg: Werden Graffiti salonfähig?

(c) EPA (Michael Reynolds)
  • Drucken

Erstmals weniger Sachbeschädigung, Graffiti-Deko für OSZE-Säle, eine „blühende“ Szene: Wiens Streetart etabliert sich. Endlich.

Wien. Lange hat die Stadt ihren aufmüpfigen „Dekorateuren“ die kalte Schulter gezeigt: Freie Flächen für Graffiti waren rar, wer dennoch sprayte, wurde – juristisch eine klare Sache – wegen Sachbeschädigung verfolgt. Doch das Bild des vermummten nachtaktiven Sprayers wird, langsam aber stetig, zum Klischee: So zieht morgen, Freitag, Graffitikunst als Wanddekoration in zwei OSZE-Kongresssäle der Wiener Hofburg ein.

Gleichzeitig verzeichnet die Wiener Kriminalpolizei erstmals seit Jahren einen Rückgang bei den Sachbeschädigungen durch Graffiti. Experten sprechen von einer blühenden Szene, die ihre Qualität laufend steigert. Wird Graffitikunst salonfähig – oder am Ende gar brav?

„Das würde ich so nicht sagen“, kontert Richard Kästner alias „scun“, der im Auftrag des Strebersdorfer Jugendzentrums (21. Bezirk) und der OSZE im Rahmen eines Menschenrechte-Projekts fünf großflächige Graffitibilder gestaltet hat. Sie werden ab morgen offiziell zwei Kongresssäle der OSZE-Diplomaten in der Hofburg zieren. „Es gibt immer noch genug illegale Sprayer – aber es stimmt schon, in Wien geht es derzeit ab.“ „Abgehen“ – damit meint Kästner, der eigentlich als Produktionsleiter bei einer Firma für Insektengitter arbeitet, auch die gute Auftragslage: „Egal wo ich derzeit hinkomme, ich werde ständig gefragt, ob ich was sprayen kann.“ Dass der Künstler nach jedem zweiten Satz betont, „nur legal“ zu arbeiten, ist bezeichnend für seine Szene.

Illegal = cool, das war

Denn ein Hauch von jenem Image, Illegalität und Coolness beim Sprayen gleichzusetzen, ist ihr geblieben – obwohl „man ja derzeit sieht, dass das gar nicht zum Selbstverständnis der Sprayer gehört“, sagt Norbert Siegl vom Wiener Institut für Graffiti-Forschung. Der Psychologe beobachtet die Szene schon seit Jahrzehnten – so viele künstlerisch wertvolle Graffiti wie heute habe es „noch nie“ gegeben, Wien liege international „im Spitzenfeld“. Wie bitte, Wien vor dem hippen Berlin, das den urban-künstlerischen Wildwuchs derzeit geradezu abonniert hat? „Statt einer eigenen Polizei-Sonderkommission hat Wien einen toleranteren Weg gewählt“, sagt zumindest Siegl.

90 Prozent des gesamten Graffiti-Potenzials lassen sich, so der Forscher, durch geeignete Maßnahmen „kanalisieren“, also auf legale Wände verlagern. Wer die verbleibenden, illegal agierenden zehn Prozent nicht weiter anheizen will, möge diesen Anteil „tolerieren“.

Was Norbert Siegl derzeit besonders auffällt: Die politische Seite der Graffitikunst, die die Sprayer im Vorfeld der Nationalratswahl „so stark zeigen wie zuletzt im EU-Wahlkampf 1994“, indem sie Wahlkampfplakate besprayen.

Höhere Aktivität an allen Ecken und Enden – alles eitel Wonne, also? Nicht ganz. Denn wegen Platzmangel würden sehr gute Produktionen nicht erhalten, sondern schnell wieder übermalt.

Donaukanal: Wände freigeben?

Möglich ist legales Sprayen derzeit an acht Stellen in Wien, etwa unter der Nordbrücke, an der Oberen Donaustraße und der Rossauer Lände, am Ottakringer Yppenplatz und im Esterházypark in Mariahilf.

Doch Platz ist rar, in Zukunft könnten auch Flächen am Brigittenauer Frachtenbahnhof (Nähe Handelskai), im Skaterpark in der Längenfeldgasse in Meidling oder in der Geiselbergstraße in Simmering für Sprayer freigegeben werden. Auch der Donaukanal findet sich auf der Gaffiti-Agenda der Stadt: Zwischen Schwedenplatz und Urania gibt es prinzipiell Flächen, allerdings stehen hier Gesetze im Weg: Die Sandsteinwände am Donaukanal sind denkmalgeschützt – bis jetzt zumindest.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.