Zwentendorf: Science Fiction à la 70er

Zwentendorf
Zwentendorf(c) Clemens Fabry
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30 Jahre, nachdem eine Volksabstimmung verhindert hat, dass das AKW Zwentendorf in Betrieb geht, erwägt die EVN, das Areal für eine Biomasse-Anlage zu nutzen.

Johann Fleischer ist nicht zu beneiden – oder doch? Tag für Tag zieht der EVN-Techniker, begleitet nur von seiner Hündin Leonie, Runden um Österreichs größtes Milliardengrab: dem nie in Betrieb gegangenen Atomkraftwerk Zwentendorf am Tullnerfeld. Bis heute überragt der mehr als 60 Meter hohe Kraftwerksblock am Donauufer die umliegenden Auwälder. 2005 hat die EVN ihn um kolportierte 2,5 Millionen Euro von der Trägergesellschaft erworben. Ein Schnäppchen: Das Areal, mit seinen zehn Hektar Fläche so groß wie der Wiener Uni-Campus, ist ein bewilligter Kraftwerksstandort – ein solcher könnte heute nur mehr nach Jahren teurer und komplizierter Verfahren unter Bürgerbeteiligung bewilligt werden.

Trockentraining für Kerntechniker

Hinter den 1,2 Meter dicken Stahlbetonwänden des Kernkraftwerks liegt Fleischers Reich: Grüne Pfeile weisen den Weg über PVC-Böden und Stiegen, durch Stahlbetongänge und Industrieaufzüge. Sie verbinden, durchzogen von hunderten Rohrleitungen, die weiten Hallen miteinander, die bis heute die metallischen Innereien der Anlage enthalten: Die riesigen Pumpen, die pro Sekunde 30 Kubikmeter – 30.000 Liter – Kühlwasser aus der Donau durch die Adern der Anlage gejagt hätten. Die Turbinen, die den Dampf, der durch die von der Kernspaltung erzeugte Hitze entstanden wäre, in über 700 Megawatt Leistung umgesetzt hätte – 100 weniger, als heute im wenige Kilometer entfernten Kohlekraftwerk Dürnrohr, 1986 als Ersatz für Zwentendorf in Betrieb genommen, produziert werden. Und natürlich den Reaktorschacht, der sich in einer Halle 39 Meter über dem Boden befindet. Hätte das Volk anders entschieden, würden dort 484 Uran-Brennstäbe Hitze von bis zu 4000 Grad Celsius produzieren.

Tatsächlich klettern heute aber deutsche Kerntechniker in dem fünfzehn Meter tiefen Schacht herum: Die Kraftwerksschule Essen veranstaltet Kurse in Zwentendorf, bei denen ohne Gefahr, ohne Schutzanzug, alle Teile genau und aus der Nähe begutachtet werden können. Dass die Technologie mittlerweile mehr als 30 Jahre alt ist, tut dem Lerneffekt keinen Abbruch.

Das Alter ist auch kein Hindernis für die EVN, Teile der Anlage an andere Atomkraftwerke zu verkaufen – erst vor kurzem hat eine deutsche Gesellschaft einen Bestandteil der Reaktorverriegelung um 90.000 Euro gekauft. 90 Prozent der Anlage seien aber noch vorhanden, erklärt Fleischer. Und die wirken wie aus einer Zeitreise: Im Kontrollraum, der mit vielen Schaltplänen und bunten Lämpchen, dafür mit wenigen Bildschirmen bestückt ist, fühlt man sich in einen Science-Fiction-Filme der 1970er Jahre versetzt. Am Kontrollpult liegt ein Notizbuch, in dem sich Techniker verschiedener Schichten bei der Konstruktion Nachrichten über ihre Erfahrungen in der Anlage hinterlassen haben: Dass dieses Rädchen klemme, jene Anzeige nicht richtig funktioniere. Als wären sie nur kurz weg.

Vor 30 Jahren, Fleischer war gerade 21, ließ der mit absoluter Mehrheit regierende SP-Bundeskanzler Bruno Kreisky die Österreicher erstmals seit Bestehen der Republik direkt über eine Materie entscheiden. Kreisky hatte nur eine dünne Mehrheit im Parlament; der Atomkraftbefürworter wollte seine Entscheidung, Strom aus Kernenergie zu produzieren, nach Protesten direkt von der Bevölkerung absegnen lassen. Die entschied jedoch – knapp – anders: Bei der Volksabstimmung am 5. November 1978 stimmten – bei einer Beteiligung von 62,6 Prozent – 50,47 Prozent gegen die Inbetriebnahme des Kraftwerks Zwentendorf.

Bei der Abstimmung war die Anlage aber bereits errichtet, rund 200 Techniker jahrelang ausgebildet worden. „Für die brach eine Welt zusammen“, sagt heute EVN-Sprecher Stefan Zach. Einige der Techniker ließen sich umschulen, andere fanden im Ausland Anstellung, wieder andere wechselten die Fronten und wurden entschlossene Atomgegner, als ihre Karrierepläne sich mit dem nach der Abstimmung beschlossenen Atomsperrgesetz in Luft auflösten. Insgesamt hat dieses Lehrstück der Demokratie Österreich 14 Milliarden Schilling (1,02 Milliarden Euro) gekostet.

Übungsplatz und Filmkulisse

Ob Fleischer, durchaus stolz auf „sein“ Kraftwerk, sich wünscht, dass Zwentendorf damals in Betrieb gegangen wäre? Der 51-Jährige zuckt mit den Schultern, EVN-Sprecher Zach springt ein: „Die Rechtslage ist klar, das ist keine Option.“ Stimmt: Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 endeten alle politischen Initiativen, das Abstimmungsergebnis zu revidieren, 1999 schrieben die Parteien die Atomfreiheit Österreichs einstimmig in die Verfassung. Die EVN plant heute Alternativen für die Anlage: Entschieden sei nichts, sagt Zach, spricht aber mittel- bis langfristig von der Idee eines Biomasse-Kraftwerks, das die vorhandene Donau-Anlegestelle beim Areal zur Anlieferung nutzen könnte. Die EVN werde die Standortlizenz sicher nicht ungenutzt lassen.

Bis dann nutzen andere das Areal: Einsatzkräfte, die Übungen abhalten. Tierschützer, die Igelfindlinge in der ruhigen Au um das Kraftwerk aussetzen. Oder Filmschaffende: Der schwedische Actiondarsteller Dolph Lundgren drehte in Zwentendorf – in die Kinos kam der Film nie, die Produktionsfirma ging pleite. Und Johann Fleischer zieht weiter Runden in seinem Reich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2008)

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